Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl
Leitsatz (amtlich)
Ein Eingriff in eine angelaufene Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung ist nur zulässig, wenn der Wahlvorstand seinen hinsichtlich der Arbeitnehmerzahl bestehenden Beurteilungsspielraum missbräuchlich oder willkürlich überschritten hat.
Ausgeschriebene Stellen darf der Wahlvorstand grundsätzlich berücksichtigen. Eine kurz vor Erlass des Wahlausschreibens getroffene Entscheidung des Unternehmers, Stellen nur bis zur Höchstzahl der Beschäftigten von 200 zu besetzen, die sich auch sonst nicht nach außen dokumentiert hat, während die Stellen weiter ausgeschrieben bleiben, nimmt einer entgegenstehenden Beurteilung des Wahlvorstandes nicht die Grundlage.
Normenkette
ArbGG § 85 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940; BetrVG § 9
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 13.03.2002; Aktenzeichen 5 BV Ga 2/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. März 2002 – 5 BV Ga 2/02 – wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Eilverfahren um den Abbruch einer Betriebsratswahl.
Die Antragstellerin (von nun an: Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen der Arzneimittelbranche. Die Amtszeit des derzeit noch amtierenden, siebenköpfigen Betriebsrats wird mit Ablauf des 29.4.2002 enden.
Der Antragsgegner ist der fünfköpfige Wahlvorstand. Dieser hat am 27.2.02 ein Wahlausschreiben (Bl. 5 ff. d. A.) erlassen, wonach der am 11.4.2002 zu wählende Betriebsrat aus 9 Mitgliedern zu bestehen habe und im Betrieb 116 Frauen und 93 Männer als Arbeitnehmer beschäftigt seien. Die Wählerliste weist gemäß Mitteilung der Arbeitgeberin 188 betriebsangehörige Arbeitnehmer aus.
Die Beteiligten streiten über die regelmäßige Beschäftigtenzahl, insbesondere über die Frage, ob 21 Außendienstassistenten mitzählen und/oder ausweislich Stellenausschreibungen die Aufstockung des Personals auf über 200 geplant ist. Die Außendienstassistenten waren seit Ende 1998 aufgrund Musteranstellungsverträgen auf Basis geringfügiger Beschäftigung eingesetzt. Ab November 2001 erhielten sie ohne Änderung der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit neue Verträge als freie Mitarbeiter.
Die Arbeitgeberin hatte im Vorfeld der Betriebsratswahl wiederholt gegenüber dem bisherigen Betriebsrat verdeutlicht, dass sie die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nicht wünsche, notfalls den Außendienstassistenten gekündigt werden müsse. Tatsächlich erhielten alle Außendienst-Assistenten mit Schreiben vom 22.2.2002 eine Kündigung. Wegen der Stellenausschreibungen vom 15.1.2002 wird auf Blatt 37 ff. der Akte Bezug genommen. Mit vorgerichtlichem Schreiben hat die Arbeitgeberin den Wahlvorstand erfolglos zur Änderung des Wahlausschreibens aufgefordert.
Die Arbeitgeberin hat vorgetragen, sie beschäftige lediglich 188 Arbeitnehmer, wie aus der Wählerliste ersichtlich sei. Sie habe die Tätigkeit der Außendienstassistenten, die im übrigen freie Mitarbeiter gewesen seien, zum 1.4.2002 auf einen Vertragspartner, die P. F. ausgegliedert. Strategie der Geschäftsführung sei, ausweislich bereits früher erfolgter Auslagerungen, das Unternehmen zu verschlanken und unter 200 Arbeitnehmern zu bleiben. Stets würden mehr Stellen ausgeschrieben, als tatsächlich besetzt, was dem Betriebsrat seit Jahren bekannt sei.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
dem Wahlvorstand im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, die Wahl zu einem Betriebsrat in der Firma der Arbeitgeberin fortzuführen;
hilfsweise,
dem Wahlvorstand zu untersagen, einen aus mehr als sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsrat zu bilden;
für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nummer 1 und 2 dem Wahlvorstand – bezogen auf jeden Tag der Fortsetzung des Wahlverfahrens – ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, ersatzweise Ordnungshaft, anzudrohen.
Der Wahlvorstand hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Wahlvorstand hat den Abbruch der eingeleiteten Wahl für unzulässig gehalten, da bei Verkennung der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder jedenfalls kein Nichtigkeitsgrund vorläge. Zudem gebe es keine Mängel, da die Arbeitgeberin regelmäßig mindestens 201 Arbeitnehmer beschäftige. Außerdem stehe dem Wahlvorstand im Rahmen des § 9 BetrVG in Grenzfällen ein Beurteilungsspielraum zu. Der Wahlvorstand hat gemeint, die Arbeitgeberin versuche durch ihr Verhalten eindeutig, die höhere Betriebsratsmitgliederzahl sowie eine Freistellung zu umgehen.
Das Arbeitsgericht Darmstadt hat den Antrag durch Beschluss vom 13. März 2002 – 5 BV Ga 2/02 – als unbegründet zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Wahlvorstand habe nach pflichtgemäßem Ermessen von mehr als 200 Arbeitnehmern ausgehen und berücksichtigen dürfen, dass die Arbeitgeberin im Zeitpunkt der Wahleinleitung unstreitig 17 neue Positionen für Arbeitnehmer ausgeschrieben gehabt hätte. Soweit die Arbeitgeberin im Anhörungstermin eingewandt habe, dem Betriebsrat (nicht dem Wahlvorstand) sei bekannt, dass sie stets mehr St...