Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist unverhältnismäßig und damit unwirksam, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Neben der Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder der Weiterbeschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz kommt als milderes Mittel auch das Angebot in Betracht, spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um so Fehlzeiten zu reduzieren.
2. Der Arbeitgeber ist insoweit gehalten, aufzuzeigen, warum bei einer krankheitsbedingten Kündigung Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder medizinischen Rehabilitation i.S. von § 26 SGB IX nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können.
Orientierungssatz
Einzelfall einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage gegen eine krankheitsbedingte Kündigung. Zu klären war, ob und nach welcher Zeit dem von krankheitsbedingter Kündigung bedrohten Mitarbeiter ein erneutes bEM-Verfahren angeboten werden muss, wenn er zuvor ein solches Verfahren abgebrochen hat und welche Darlegungslast den Arbeitgeber trifft, wenn er trotz entsprechender Verpflichtung kein neuerliches bEM-Verfahren angeboten hat, bevor er die krankheitsbedingte Kündigung aussprach.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.01.2015; Aktenzeichen 15 Ca 5510/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 2015 - 15 Ca 5510/14 - teilweise abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Juli 2014 nicht aufgelöst worden ist.
Von den erstinstanzlichen Kosten hat der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen. Die Kosten der Berufung einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht - 2 AZB 21/16 - hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus krankheitsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung. Der am xx. xx 1966 geborene, verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 24. Oktober 1989 (Bl. 3 d.A.) als Paketzusteller mit einem monatlichen Grundlohn von zuletzt 2.855,38 EUR brutto beschäftigt. Er hat einen festgestellten Grad der Behinderung von 30 und wurde mit Bescheid vom 29. Januar 1999 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Bei der Beklagten, einem Unternehmen der Paketdienstleistungs- und Logistikbranche mit ca. 15.000 Beschäftigten in Deutschland, besteht eine Gesamtbetriebsvereinbarung vom 7. Mai 2007 "Rahmenvereinbarung über betriebliche Prävention i.V.m. einem Eingliederungsmanagement und die Integrationsvereinbarung". Diese regelt unter § 5 zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements iSd. § 84 Abs. 2 SGB IX (künftig: bEM), für den Fall, dass der Betroffene eine Teilnahme am bEM ablehnt, dass er im laufenden Kalenderjahr nicht wieder angeschrieben wird. Wegen der Einzelheiten der Rahmenvereinbarung wird auf Bl. 220 ff d.A. Bezug genommen.
Der Kläger trat am 6. August 2014 eine Reha-Maßnahme an, die ihm im Juni 2014 bewilligt worden war und die am 28. August 2014 abgeschlossen wurde.
Der Bescheid des Widerspruchsausschusses des Integrationsamts vom 11. Juli 2015, mit dem dieser die Ablehnung der von der Beklagten beantragten Zustimmung zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung des Integrationsamts aufgehoben hatte, wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 16. Juni 2016 bestätigt. Das Urteil ist rechtskräftig. Wegen des Inhalts der Entscheidung wird auf Bl. 300 ff d.A. Bezug genommen.
Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch Urteil vom 14. Januar 2015 - 15 Ca 5510/14 - (Bl. 138 ff d.A.) die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die ausgesprochene Kündigung sei als krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt, da eine negative Gesundheitsprognose vor dem Hintergrund der hohen Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit gerechtfertigt sei. Die nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Klägers führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten und die Interessenabwägung erfolge zugunsten der Beklagten, da es dieser nicht zumutbar sei, für weitere mehr als 17 Jahre bis zum Erreichen des Rentenalters des Klägers mit den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten wie in der Vergangenheit belastet zu werden. Die Betriebsratsanhörung hat das Arbeitsgericht für ordnungsgemäß gehalten. Soweit sich der Kläger auf ...