Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Hausgehilfin in einem Klinikum
Leitsatz (redaktionell)
1. Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB i.V. mit § 34 Abs. 2 S. 1 TVöD sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen (hier: § 34 Abs. 2 S. 1 TVöD) ausgeschlossen ist.
2. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung erfolgt im Rahmen einer dreistufigen Prüfung (negative Gesundheitsprognose; erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch prognostizierte Fehlzeiten; nicht mehr hinzunehmende Belastung des Arbeitgebers aufgrund betrieblicher Beeinträchtigungen). Dabei ist bei einer außerordentlichen Kündigung dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger und muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG - 2 AZR 582/13 - 23.01.2014; BAG - 2 AZR 16/99 - 18.01.2001). Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß hinaus gehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte. Insbesondere bedarf es eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Ein solches ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüber stünde.
3. Die Kündigung ist jedenfalls auf der dritten Stufe unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht ergriffen hat. Ein solches setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 S. 3 SGB IX a.F. auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Diesen Anforderungen ist nicht genügt, wenn ein entsprechendes Schreiben dem Arbeitnehmer nicht klar macht, dass es sich ein Ergebnis offenes Verfahren handelt, in das auch der Arbeitnehmer Vorschläge einbringen kann.
Orientierungssatz
Unwirksame a.o. pers. bed. Kündigung mit soz. Auslauffrist, unwirksam entweder mangels negativer Prognose oder wegen Unverhältnismäßigkeit der Kündigung, weil vor deren Ausspruch, die Beklagte die Initiative zur Durchführung eines bEM nicht wie geboten ergriffen hat und insbes. die Klägerin zuvor nicht ordnungsgemäß unterrichtet hat.
Normenkette
TVöD § 34 Abs. 2; BGB § 626; SGB IX a.F. § 84 Abs. 2; TVöD § 34 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 01.08.2017; Aktenzeichen 6 Ca 53/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 01. August 2017 -6 Ca 53/16- wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen personenbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit sozialer Auslauffrist.
Die Beklagte betreibt eine Klinik in A in der Rechtsform der GmbH. Sie beschäftigt ständig mehr als 100 Arbeitnehmer und ein Betriebsrat ist gebildet.
Die am xx.xx.1953 geborene und verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01. Februar 1985 als Hausgehilfin zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 2.400,00 Euro beschäftigt. Die Parteien haben am 07. Februar 1985 einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen. In dessen § 2 findet sich folgende Regelung:
"Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G 11) vom 31. Januar 1962 und den Tarifverträgen, die ihn ergänzen, ändern oder ersetzen. Außerdem finden die für den Bereich der Stadt A jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf die Anlage K1, Bl. 12 d. A. Bezug genommen. Mit Zusatzvertrag vom 03. Juni 1985 haben die Parteien eine Änderung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 36 Stunden ab dem 18. Juni 1985 vorgenommen, wegen der Einzelheiten dieser Vereinbarung wird auf Anlage K1, Bl. 13 d. A. Bezug genommen.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 25. Juli 2010 unter Bezugnahme auf ihre fortlaufend schlechter werdende gesundheitliche Situation die Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 33 Stunden/Woche verlangt (insoweit wird auf Bl. 203 d. A. Bezug genommen). Dazu hat sie ein Attest ihres Hausarztes vom 26. Juli 2010 vorgelegt (insoweit wird auf Bl. 205 d. A. Bezug genommen). Mit Schreiben vom 27. Juli 2011 hat sie wegen "gesundheitlicher Einschränkungen" einen Antrag auf Verlängerung der Stundenreduzierung gestellt (insoweit wird auf Bl. 204 d. A. Bezug genommen).
Sie hat in den Jahren 2008 bis 2010 mehr als 50 Kalendertage arbeitsunfähig gefehlt und ist mit Bescheid vom 20. November 2012 einem schwerbehinderte...