Entscheidungsstichwort (Thema)
Notstandsarbeiten während des Streiks. Abwägung zwischen Arbeitskampffreiheit und notwendiger Daseinsvorsorge während des Streiks. Einstweilige Verfügung zur Durchsetzung von Notdienstarbeiten. Tenor der einstweiligen Verfügung
Leitsatz (amtlich)
1. Während eines Arbeitskampfes kann die Durchführung von Notstandsarbeiten erforderlich sein. Notstandsarbeiten sind die Arbeiten, die die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern während eines Arbeitskampfes sicherstellen sollen. Zu den lebensnotwendigen Diensten gehört die Aufrechterhaltung einer Notversorgung der Bevölkerung in Krankenhäusern.
2. Die Frage, welcher Notdienst im Einzelfall einzurichten ist, muss sich einerseits an dessen Zweck orientieren, der Notdienst ist andererseits aber auf das unerlässliche Maß zu reduzieren, um die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Arbeitskampffreiheit zur Geltung zu bringen. Der Notdienst dient nicht dazu, den Betrieb soweit wie möglich aufrecht zu erhalten, sondern es geht um eine am jeweiligen Auftrag der Daseinsvorsorge orientierte "Minimal-Versorgung".
Leitsatz (redaktionell)
1. Können sich Arbeitgeber und Gewerkschaft nicht auf eine Notdienstvereinbarung verständigen, hat der Verfügungskläger einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf Einrichtung eines Notdienstes, dessen inhaltliche Ausgestaltung gerichtlich durchgesetzt werden kann. Richtet die Gewerkschaft einen Notdienst ein, der nach Auffassung des Arbeitgebers unzureichend ist und Gemeinwohlbelange verletzt, so muss es ihm möglich sein, einen Notdienst i.S.d. Beschränkung des Streikumfangs im einstweiligen Verfügungsverfahren zu erreichen.
2. Der Tenor einer einstweiligen Verfügung kann aus einer Kombination von Duldungs-, Unterlassungs- und Mitwirkungspflichten bestehen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass es im Rahmen einstweiliger Verfügungen im Arbeitskampf eines weiter als üblich reichenden Maßstabs der Bestimmtheit des Antrags und damit auch des Tenors bedarf.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1-2, Art. 9 Abs. 3; ZPO § 938
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 10.07.2023; Aktenzeichen 5 Ga 4/23) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 10. Juli 2023 - 5 Ga 4/23 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Der Verfügungsbeklagten wird bis zum Abschluss einer Notdienstvereinbarung, längstens bis zum 28. Juli 2023, aufgegeben, während der für den 19. bis 21. Juli 2023 sowie den 28. Juli 2023 bei der Verfügungsklägerin angekündigten Streiks über die einseitige Notdiensterklärung vom 23. Juni 2023 hinaus einen Notdienst für den Automatischen Warentransport (AWT) mit einer Besetzung von einer fachlich geeigneten Person und einer weiteren Person in der Zeit von 07:00 Uhr bis 17:00 Uhr zu dulden, jegliche Arbeitskampfmaßnahmen zur Verhinderung dieses Notdienstes zu unterlassen und an der Sicherstellung der genannten Besetzung für den AWT mitzuwirken.
- Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Duldungs- und Unterlassungspflicht gemäß Ziff. 1 ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 € angedroht.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die weitergehende Berufung der Verfügungsbeklagten wird zurückgewiesen.
III.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsklägerin und die Verfügungsbeklagte jeweils die Hälfte.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über den Umfang eines einzurichtenden Notdienstes während eines von der Verfügungsbeklagten für die Tage 12., 18. bis 21. und 28. Juli 2023 angekündigten Streiks.
Die Verfügungsklägerin ist eine 100%ige Tochtergesellschaft des Universitätsklinikums H. (UK), eines Krankenhauses der Maximalversorgung und Hochleistungsmedizin.
Sie erbringt mit ca. 250 Beschäftigten für das UK technische Dienstleistungen, wozu auch die Behebung von Störungen der AWT(Automatischer Warentransport)-Anlage gehört. Mit der AWT-Anlage werden Kliniken des UK im N. F. unterirdisch mit Waren wie Sterilgut, Medikamenten, medizinischen Verbrauchs- und Hygienematerialien, Patienten- und Personalverpflegung, sowie Wäsche versorgt, ebenso erfolgt der Rücktransport des teils infektiösen Abfalls der Kliniken mittels dieser Anlage, an die ca. 1.200 Betten des UK angeschlossen sind.
Die AWT-Anlage besteht aus einem unterirdischen Schienennetz von mehr als 7 km Länge. Es gibt 132 Sende- und Empfangsstationen in den verschiedenen Gebäuden des UK, sowie 22 spezielle vollautomatisch betriebene AWT-Aufzüge. In der AWT-Anlage stehen 258 Speise-, 440 Universal-, 350 Gitter-, 150 Sondermüll- und 30 Schmutzwäschecontainer zur Verfügung, wobei das Fassungsvermögen eines Behälters 250 kg beträgt. Die Container werden nach jedem Einsatz in einer der beiden zur AWT-Anlage gehörenden automatischen Waschanlagen gewaschen, desinfiziert und getrocknet. Die Waschanlagen sind mit dem Schienennetz verbunden, sodass die Reinigung vollautomatisch erfolgt. Die C...