Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz über den Notdienst zur Schülerbeförderung während zukünftiger Streikmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Üblicherweise schließen die Tarifpartner bereits vor einer Arbeitskampfauseinandersetzung Notdienstvereinbarungen, die sicherstellen sollen, dass infolge des Streiks die Betriebsmittel nicht zerstört werden (Erhaltungsarbeiten) oder Gefahr für Dritte und die Allgemeinheit abgewendet wird (Notstandsarbeiten).
2. Richtet die Gewerkschaft keinen oder einen unzureichenden Notdienst ein, der nach Auffassung des Arbeitgebers Gemeinwohlbelange verletzt, so ist es dem Arbeitgeber möglich, einen Notdienst im Sinne der Beschränkung des Streikumfangs - bzw. hier eine Mitwirkung an dem beantragten Notdienst zur Beförderung schulpflichtiger Personen - im einstweiligen Verfügungsverfahrens zu erreichen.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 29.05.2024; Aktenzeichen 9 Ga 9/24) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 29. Mai 2024 - 9 Ga 9/24 - teilweise abgeändert.
2. Der Verfügungsbeklagten wird bis zum Abschluss einer Notdienst-Vereinbarung, welche die Beförderung schulpflichtiger Personen an Schultagen sicherstellt, aufgegeben, während zukünftiger Streikmaßnahmen, die von ihr nicht mindestens vier Kalendertage vor Beginn angekündigt werden, und von denen Tage betroffen sind, die im Freistaat Sachsen keine Ferien im Sinne von § 33 Abs. 2 SächsSchulG sind, im Unternehmen der Verfügungsklägerin an folgendem Notdienst mitzuwirken.
Es werden an Schultagen in folgenden Bereichen Notdienste eingerichtet:
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Notbetrieb der Einsatzleitung
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Notbetrieb Personal- und Fahrzeugdisposition, bereits ab dem Vortag 16.00 Uhr,
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Notbetrieb operative Dienstbesetzung zur Sicherstellung der Beförderungspflicht gem. Sächsischem Schulgesetz.
Die Anzahl der eingesetzten Beschäftigten muss die Sicherstellung des Notdienstes gewährleisten.
Dementsprechend werden insgesamt 16 Beschäftigte eingesetzt, und zwar
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Bereich Triebfahrzeugführer für Dienste C11 3 Personen
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Bereich Triebfahrzeugführer für Dienste RB92 2 Personen
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Bereich Triebfahrzeugführer für Dienste C13/C14 7 Personen (ohne Burgstädt, solange Ersatzverkehr)
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Bereich Einsatzleitung 3 Personen
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Bereich Disposition und Planung 1 Person
- Für folgende Zugleistungen und daraus abgeleitete Dienste sind Notdienste erforderlich und wie folgt umzusetzen:
bild 1
3. Im Rahmen des Notdienstes nach Ziffer 2. a. bis c. hat die Verfügungsklägerin zunächst Beschäftigte einzusetzen, die nicht am Streik beteiligt sind.
4. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Verfügungsbeklagte zu 80 % und die Verfügungsklägerin zu 20 % zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über den Notdienst zur Schülerbeförderung während zukünftiger Streikmaßnahmen.
Die Verfügungsbeklagte erbringt Verkehrsdienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs innerhalb der Stadt C..., wie auch im Rahmen des sogenannten C... Modells im Umland von C.... Die Parteien schlossen am 25.02.2022 einen Tarifvertrag für das Zugpersonal, der durch die Verfügungsbeklagte zum 30.06.2023 gekündigt wurde. Seit November 2023 befinden sich die Parteien nunmehr in Tarifverhandlungen. Diese wurden durch die Verfügungsbeklagte für gescheitert erklärt und diese ruft ihre Mitglieder sowie die nicht organisierten Beschäftigten der Verfügungsklägerin seither wiederholt zu Arbeitskampfmaßnahmen auf.
Die Verfügungsbeklagte führte die Arbeitskampfmaßnahmen zuletzt in Form sogenannter Wellenstreiks durch, bei denen die einzelnen Wellen mit unterschiedlichen Ankündigungsfristen von wenigen bis einigen Stunden angekündigt werden, ohne einen Beendigungszeitpunkt zu nennen. Auch das Ende der Streiks wurde mit wenigen Stunden Vorlaufzeit angekündigt.
Der 10. von der Verfügungsbeklagten geführte Streik endete am 17.05.2024 um 12:00 Uhr. Mit Schreiben vom 17.05.2024 erklärte die Verfügungsklägerin die Aussperrung der Triebfahrzeugführer und Kundenbetreuer für die Zeit von Freitag, dem 17.05.2024, 13:00 Uhr bis zum Mittwoch, dem 22.05.2024, 2:30 Uhr. Die Schulferien in Sachsen dauerten von Samstag, dem 18.05. bis zum Dienstag, dem 21.05.2024. Für die Zeit ab 17.05.2024, 15:00 Uhr, bis zum 22.05.2024, 8:00 Uhr, rief die Verfügungsbeklagte zum 11. sogenannten Wellenstreik auf.
Am 22.05.2024 wandte sich die Verfügungsklägerin mit anwaltlichem Schreiben an die Verfügungsbeklagte, um den Abschluss einer Notdienst-Vereinbarung zu erreichen, unter Vorlage eines Entwurfs einer Notdienst-Vereinbarung, mit der Aufforderung, dieser, unter Fristsetzung bis zum 23.05.2024, 12:00 Uhr zuzustimmen. Mit E-Mail vom 22.05.2024 lehnte die Verfügungsbeklagte den Entwurf der Verfügungsklägerin ab, erklärte sich im Übrigen bereit, über eine Notdienst-Vereinbarung zu verhandeln und unter Vorschlag von Terminen am 23. und 24.05.2024.
Für die Zeit ab 22.05.20...