Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfolgen der einvernehmlichen Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nach vorangegangener Kündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Arbeitsvertragsparteien können aufgrund der grundrechtlich geschützten Vertragsfreiheit ein gekündigtes oder anderweitig endendes Arbeitsverhältnis durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung einvernehmlich verlängern. Aus einer solchen Vereinbarung kann sich ergeben, dass eine vorangegangene Kündigung keine Rechtswirkung mehr entfalten soll, auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt ist.
2. Die in einem Änderungsvertrag unter Bezugnahme auf das ursprüngliche Arbeitsverhältnis vereinbarte vorbehaltlose unbefristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hebt regelmäßig die Rechtswirkung einer vorherigen Kündigung auf.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 625
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 11.09.2019; Aktenzeichen 4 Ca 461/19) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 11.09.2019 - 4 Ca 461/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung sowie zweier nachfolgender außerordentlicher Kündigungen.
Der im September 1971 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten und nahm am 01.08.2009 bei der beklagten Krankenkasse eine Außendiensttätigkeit auf. Die Beklagte ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts, bei der ständig mehr als 10 Vollzeitbeschäftigte ausschließlich der Auszubildenden tätig sind. Nach dem Arbeitsvertrag vom 22.07.2009 soll der Kläger neue Mitgliedschaften in seinem Zuständigkeitsbereich akquirieren. Daneben hatte er die Aufgabe, Bestandskunden zu beraten und die Beklagte auf Messen und Veranstaltungen zu präsentieren.
Der Kläger ist verheiratet und 4 Kindern im Alter von 2, 15, 19 und 23 Jahren (Stand: September 2019) unterhaltspflichtig. Die monatliche Vergütung betrug zuletzt rund € 3.600,- brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden.
Der Vorstand der Beklagten verfasste am 28.01.2019 eine schriftliche Organisationsentscheidung zum Kundenservice, der zufolge die klassische Aufteilung in Außen- und Innendienst aufgegeben werden soll und die Stellen der Kundenberater im Außendienst spätestens zum 01.04.2019 gestrichen werden sollen. Mit Schreiben vom 30.01.2019 unterrichtete die Beklagte den Kläger von der Vorstandsentscheidung.
Die Beklagte beschäftigte zuletzt 15 Arbeitnehmer als Kundenberater im Außendienst. Sechs davon werden als Kundenberater weiterbeschäftigt. Eine freie Stelle als Kundenberaterin am Standort A-Stadt erhielt Frau B.. Bei der Auswahl zwischen ihr und dem Kläger legte die Beklagte folgendes Punkteschema zugrunde:
Dauer der Betriebszugehörigkeit |
1 Punkt je 10 Jahre |
Lebensalter |
1 Punkt je 10 Jahre ab 20. Lebensjahr |
Unterhaltspflichten |
2,0 Punkte je Kind bis zum 6. Lebensjahr 1,5 Punkte je Kind vom 7. - 12. Lebensjahr |
Schwerbehinderung |
1 Punkt GdB 50 zuzüglich 1 Punkt je weiterer 10 GdB |
Dem Kläger gestand die Beklagte danach insgesamt 4 Punkte zu. Frau B., die seit 25 Jahren beschäftigt, 53 Jahre alt und kinderlos ist, erhielt 5 Punkte.
Die am Standort W. zu besetzende Kundenberaterstelle übertrug die Beklagte Frau H.. Die Beklagte wandte diesmal folgendes Punkteschema an:
Dauer der Betriebszugehörigkeit |
wie oben |
Lebensalter |
wie oben |
Unterhaltspflichten |
2,0 Punkte je Kind bis zum 18. Lebensjahr |
Schwerbehinderung |
wie oben |
Die Beklagte errechnete beim Kläger 4 Punkte, bei Frau H., die seit 25 Jahren beschäftigt, 51 Jahre alt ist und ein Kind unter 18 Jahren hat, 7 Punkte.
Am 12.03.2019 unterrichtete die Beklagte den Personalrat über die beabsichtigte Kündigung des Klägers. Beigefügt war eine Tabelle zur Auswahlentscheidung zwischen dem Kläger und Frau H.. Bei beiden Mitarbeitern war jeweils 1 Kind aufgeführt. Der Personalrat widersprach der Kündigung unter Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl mangels Einbeziehung der bisherigen Kundenberater im Innendienst und verschiedener anderer Beschäftigter.
Am 26.03.2019 gab die Beklagte eine Personal-Information zur Modernisierung der Aufbauorganisation heraus. Dort sagt der Vorstand zu, mit der geplanten Umorganisation keinen Personalabbau zu verbinden, und verweist auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen aus Gründen der Umstrukturierung.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 27.03.2019, zugegangen am 29.03.2019, ordentlich zum 30.09.2019 wegen des organisationsbedingten Wegfalls der Tätigkeit als Kundenberater im Außendienst. Zugleich stellte sie den Kläger ab 01.04.2019 unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und Mehrarbeitsstunden von der Arbeit frei, jedoch unter dem Vorbehalt, die Freistellung bei Bedarf zu unterbrechen.
Diese Kündigung hat der Kläger mit seiner am 11.04.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage angegriffen.
Mit Schreiben...