Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Auswahl mit Namensliste
Leitsatz (amtlich)
Die soziale Auswahl ist nicht grob fehlerhaft nach § 1 Abs. 5 KSchG, wenn die Betriebsparteien eines Unternehmens der Bauindustrie in einem Interessenausgleich einen 62-Jährigen verheirateten Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 34 Jahren als weniger sozial schutzwürdig ansehen und deshalb auf die „Namensliste” zu kündigender Arbeitnehmer setzen als einen verheirateten 52-jährigen Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 21 Jahren bzw. als einen 55-jährigen verheirateten Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren. Denn der 62-Jährige hat die Möglichkeit, die Zeit bis zum Renteneintritt mit dem Bezug von Arbeitslosengeld wirtschaftlich, wenn auch mit Abschlägen, zu überbrücken, was bei einer Gesamtabwägung zu würdigen ist. Bei einem 52-jährigen bzw. 55-jährigen Arbeitnehmer mit schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt zieht eine betriebsbedingte Kündigung bei einer anzustellenden Prognose weit größere wirtschaftliche Probleme nach sich.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Stade (Urteil vom 12.01.2005; Aktenzeichen 1 Ca 397/04) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 12.01.2005 – 1 Ca 397/04 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner am 14.06.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der von der Beklagten am 25.05.2004 ausgesprochenen ordentlichen betriebsbedingten Kündigung geltend.
Der 1942 geborene Kläger arbeitete bei der Beklagten, die im Kündigungszeitpunkt mindestens 70 Arbeitnehmer beschäftigte, seit dem 18.08.1970 als Betonbauvorarbeiter zu einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 2.865,67 EUR. Er ist verheiratet und hat keine unterhaltsberechtigten Kinder.
Im Mai 2004 beschloss die Beklagte, insgesamt 35 Arbeitsplätze abzubauen, davon 2 der ursprünglich 8 Arbeitsplätze für Betonbauvorarbeiter. Dazu vereinbarte sie unter dem 14.05.2004 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, der eine Namensliste mit den von der Betriebsänderung betroffenen und zu kündigenden Arbeitnehmer enthielt. Auf der Liste stand der Name des Klägers, während unter anderem folgende Arbeitnehmer als Betonbauvorarbeiter weiterbeschäftigt werden sollten:
K., geb. am 11.02.1952, verheiratet, 1 Kind, Eintritt: 30.09.1974
W. S., geb. am 11.04.1949, verheiratet, Eintritt: 26.04.1977
Wegen der Personaldaten der weiteren Betonbauvorarbeiter wird auf S. 4 des Schriftsatzes der Beklagten vom 27.07.2004 Bezug genommen.
Neben dem Interessenausgleich vereinbarten die Betriebsparteien einen Sozialplan, der die Überleitung der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vorsah.
Mit Schreiben vom 17.05.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Am 20.05.2004 erklärte der Betriebsrat, er habe gegen die Kündigung keine Bedenken, woraufhin die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.05.2004 zum 31.12.2004 kündigte. Am 13.05.2004 hatte sie eine Massenentlassung bei der Bundesagentur für Arbeit angezeigt.
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, die Kündigung sei wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam und nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes sozial ungerechtfertigt, wobei er auch die getroffene Sozialauswahl gerügt hat. Insbesondere sei er im Verhältnis zu den vergleichbaren Mitarbeitern K… und W… S… sozial schutzwürdiger. Das rentennahe Lebensalter dürfe sich dabei nicht zu seinem Nachteil auswirken, da er auf dem Arbeitsmarkt faktisch nicht mehr zu vermitteln sei, durch den Arbeitsplatzverlust aber Einkommensverluste sowie Renteneinbußen hinzunehmen habe, selbst wenn er bis zum Erreichen des Rentenalters Arbeitslosengeld beziehen könne.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 25.05.2004 rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die durchgeführte Sozialauswahl als sozial gerechtfertigt verteidigt. Der Kläger habe im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis das 62. Lebensjahr vollendet und für 32 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld. Während der Arbeitslosigkeit würden Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt, sodass er bei Inanspruchnahme seiner Altersrente im Oktober 2007 kaum Einbußen zu vergewärtigen habe. Trotz dieser Einbußen befinde sich der Kläger gegenüber den Kollegen K. und W. S. in einer weitaus besseren Situation, weil er die Zeit zwischen Ende des Arbeitsverhältnisses und Eintritt in den Ruhestand durch Bezug von Arbeitslosengeld überbrücken könne, während seine Kollegen diese Möglichkeit nicht besäßen, obwohl auch sie praktisch kaum eine Chance hätten, wieder einen Arbeitsplatz zu finden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12.01.2005 abgewiesen und zur Begründung im Wesentli...