Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchG. Kein Zusammenhang zwischen Matrix-Struktur als Arbeitsorganisation und Betriebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchG. Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Betriebsabteilung iSv. § 15 Abs. 5 KSchG ist ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehe und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt.
2. Für die Annahme einer Betriebsabteilung des Vertragsarbeitgebers reicht es bei der Beschäftigung in einer Matrix-Struktur nicht bereits aus, dass nur eine einzelne Arbeitnehmerin aus einer betriebsübergreifenden Organisationseinheit im Betrieb des Vertragsarbeitgebers beschäftigt ist.
3. Matrix-Strukturen stellen vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisationen dar, die über das Vorliegen einer Betriebsabteilung nichts aussagen.
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nicht alle objektiv kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen, sondern nur die aus seiner Sicht für die Kündigung ausschlaggebenden Umstände mitteilen.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 5; BetrVG § 102 Abs. 1; SGB IX § 179 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 03.11.2022; Aktenzeichen 2 Ca 216/22) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 3.11.2022 - 2 Ca 216/22 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.
Die Beklagte ist ein Unternehmen mit dem Geschäftsgegenstand Vertrieb von und Handel mit Arzneimitteln und pharmazeutischen Chemikalien. Im Betrieb der Beklagten in C-Stadt beschäftigt sie regelmäßig ca. 90 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die am 00.00.1963 geborene, verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.10.2003 zuletzt als Global Process Expert in dem Bereich IT ERP - Finance & Controlling beschäftigt. Wegen des Wortlauts des zwischen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages vom 1.8.2003 wird auf Bl. 25R - 28 dA. Bezug genommen. Die Klägerin erzielte zuletzt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung unter Berücksichtigung des ihr gezahlten Bonus in Höhe von 11.250,00 EUR.
Zu den Aufgaben der Klägerin gehörten im Wesentlichen die Entwicklung und Implementierung von SAP-Finanzlösungen, die Analyse von Geschäftsprozessen, die Tätigkeit als interner SAP-Berater, die Durchführung von Anwendungsworkshops und die Entwicklung von Best-Practice-Lösungen für Geschäftsanforderungen. Wegen der Tätigkeitsbeschreibung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 5.9.2022 (Bl. 18 d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin ist fachlich unterstellt dem Director ERP - Finance & Controlling. Dieser ist Teil des weltweit agierenden Global Information Technology Development Center, hauptsächlich angesiedelt in ... und nicht bei der Beklagten am Standort C-Stadt beschäftigt.
Die Klägerin ist die Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.
Mit Schreiben vom 07.07.2021 unterrichtete die Beklagte den am Standort C-Stadt gebildeten Betriebsrat über eine beabsichtigte Betriebsänderung. Das im Zuge der Verhandlungen mit dem Betriebsrat eingeleitete Einigungsstellenverfahren endete durch Spruch der Einigungsstelle vom 30.04.2022 über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans, wegen deren Wortlaut auf Bl. 50 - 64 d. A. Bezug genommen wird.
Mit Schreiben vom 27.1.2022 und 5.5.2022 (Bl. 73 - 77 und 78R - 83 d. A.) unterrichtete die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat über die Absicht, Entlassungen vorzunehmen. Abschriften der Schreiben leitete sie jeweils der Agentur für Arbeit zu. Mit Schreiben vom 19.5.2022 (Bl. 89 - 89R d. A.) nahm der Betriebsrat zu der Unterrichtung Stellung. Unter dem 31.5.2022 erstattete die Beklagte bei der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit C-Stadt eine Massenentlassungsanzeige, wegen deren Inhalt auf Bl. 80R - 99R d. A. Bezug genommen wird. Mit Schreiben vom 31.5.2022 (Bl. 100 d. A.) bestätigte die Agentur für Arbeit C-Stadt der ... GmbH den Eingang der Massenentlassungsanzeige und teilte mit, dass die festzusetzende Entlassungssperre am 30.6.2022 ende.
Unter dem 30.5.2022 entschied die Beklagte, die inländischen Geschäftstätigkeiten der Bereiche Regional Regulatory Labelling, Regional Regulatory Submission sowie IT ERP - Finance & Controlling auf sogenannte Centers of Exellences (CoEs) unter anderem in ... und ... zu übertragen. Wegen des genauen Inhalts der Entscheidung wird auf Bl. 29 - 49 d. A. Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 15.06.2022 (Bl. 65 - 69 d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum ...