Entscheidungsstichwort (Thema)

Dreistufige Prüfung einer krankheitsbedingten Kündigung. Negative Prognose bei lang andauernder Erkrankung. Interessenabwägung bei Kündigungen wegen Krankheit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung ist in drei Stufen zu prüfen, wobei zwischen häufigen Kurzerkrankungen und einer lang andauernden Arbeitsunfähigkeit unterschieden werden muss.

2. Bei einer länger andauernden Erkrankung bedarf es in der ersten Stufe einer negativen Prognose; in der zweiten Stufe muss die Erkrankung des Arbeitnehmers zu erheblichen Störungen des Betriebsablaufs führen, um dann in der dritten Stufe eine Interessenabwägung vornehmen zu können.

3. Bei ausreichendem Personalbestand werden die betrieblichen Interessen durch den krankheitsbedingten Ausfall nicht erheblich beeinträchtigt.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-2, 2 S. 4; ZPO § 91 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 06.06.2019; Aktenzeichen 5 Ca 688/18)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern B-Stadt - vom 06.06.2019 - 5 Ca 688/18 - abgeändert:

    1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.08.2018 nicht zum 31.10.2018 aufgelöst worden ist.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Montagearbeiter weiterzubeschäftigen.
  • II.

    Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2 Instanz) hat die Beklagte zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Der 1977 geborene, verheiratete und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war aufgrund Arbeitsvertrags vom 31. März 2011 (Bl. 17 - 20 d. A.) seit dem 01. April 2011 bei der Beklagten an deren Standort W-Stadt zuletzt als Montagearbeiter beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in W-Stadt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

Ab dem Jahr 2012 sind beim Kläger folgende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten (Arbeitstage = AT) aufgetreten:

2012:

89 AT (mit Entgeltfortzahlung)

2013:

45 AT (mit Entgeltfortzahlung)

2014:

durchgehend erkrankt (14 AT mit Entgeltfortzahlung)

2015:

durchgehend erkrankt (ohne Entgeltfortzahlung)

2016:

bis 08. April 2016:

68 AT (ohne Entgeltfortzahlung)

21. Juni bis 19. Juli 2016:

Betriebsunfall (21 AT mit Entgeltfortzahlung)

21. bis 22. Juli 2016:

Betriebsunfall (2 AT mit Entgeltfortzahlung)

13. bis 14. Oktober 2016:

2 AT (mit Entgeltfortzahlung)

13. bis 16. Dezember 2016:

4 AT (mit Entgeltfortzahlung)

Gesamt:

97 AT (29 AT mit Entgeltfortzahlung)

74 AT ohne Berücksichtigung des Betriebsunfalls (6 AT mit Entgeltfortzahlung)

2017:

24. März bis 13. April 2017:

15 AT (mit Entgeltfortzahlung)

02. Juni 2017:

1 AT (mit Entgeltfortzahlung)

10. bis 21. Juli 2017:

10 AT (mit Entgeltfortzahlung)

31. August bis 15. September 2017:

12 AT (mit Entgeltfortzahlung)

18. September bis 13. Oktober 2017:

19 AT (mit Entgeltfortzahlung)

seit 06. November 2017:

durchgehend erkrankt

bis 31. Dezember 2017:

38 AT (19 AT mit Entgeltfortzahlung)

Gesamt:

95 AT (76 AT mit Entgeltfortzahlungskosten)

Zuletzt fehlte der Kläger seit dem 06. November 2017 durchgehend krankheitsbedingt.

Zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) wurde mit dem Kläger am 16. Januar 2015 ein Gespräch geführt (Protokoll vom 16. Januar 2015, Bl. 54 bis 58 d. A.). Eine von ihm am 13. Januar 2015 begonnene Wiedereingliederung brach er am 13. Februar 2015 ab. Eine Wiedereingliederung für die Zeit vom 18. Mai bis 14. Juni 2015 wurde von ihm am 03. Juni 2015 abgebrochen. Nachdem er aufgrund seiner durchgehenden Arbeitsunfähigkeit am 14. Juni 2015 ausgesteuert worden war, fand am 30. Oktober 2015 ein weiteres BEM-Gespräch statt (Protokoll vom 30. Oktober 2015 = Bl. 60 - 64 d. A.). Eine für die Zeit vom 23. November bis 06. Dezember 2015 angesetzte stufenweise Wiedereingliederung brach er am 01. Dezember 2015 ab. Am 25. Februar 2016 fand ein weiteres BEM-Gespräch statt (Protokoll vom 25. Februar 2016 = Bl. 65, 66 d. A.). Nachdem er in der Zeit vom 29. März bis 08. April 2016 eine Wiedereingliederung im Bereich TE/OSI mit leichteren Tätigkeiten in der "Vormontage Cockpit" und in der "Kommissionierung Cockpit" erfolgreich abschloss, wurde er ab 01. Juli 2016 in diesen Bereich versetzt. Am 19. Januar 2017 und 12. Februar 2018 wurden weitere BEM-Gespräche geführt (Protokolle vom 19. Januar 2017 und 12. Februar 2018 = Bl. 67 und 68 d. A.). Schließlich fand am 06. Juni 2018 ein BEM-Gespräch statt (Protokoll vom 06. Juni 2018 = Bl. 70, 71 d. A.) Eine in der Zeit vom 02. bis 27. Juli 2018 erneut geplante Wiedereingliederungsmaßnahme brach er am 23. Juli 2018 ab. Nach dieser gescheiterten Wiedereingliederung entschied sich die Beklagte zu der krankheitsbedingten Kündigung und wollte den Betriebsrat anhören. In der Zwischen...

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