Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Bilanzbuchhalterin/Lohnbuchhalterin. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
Zur selbständigen Tätigkeit einer Bilanzbuchhalterin/Lohnbuchhalterin.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. April 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den sozialversicherungsrechtlichen Status der Tätigkeit der Klägerin als Buchhalterin für die Beigeladene zu 1 zwischen dem 1. Januar 2005 und dem 30. April 2013 und das Bestehen von Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aufgrund dieser Tätigkeit.
Die Klägerin ist gelernte Wirtschaftsassistentin, Industriekauffrau und Bilanzbuchhalterin. Sie hat vier in den Jahren 1990, 2000, 2004 und 2006 geborene Kinder. Seit 1. Dezember 1993 hat sie ein Gewerbe „Büroservice“ angemeldet, das sie nach dem Urteil des Senats vom 19. April 2013 (dazu noch unten) zum 30. April 2013 abmeldete; anschließend war sie von der Beigeladenen zu 1 als geringfügig Beschäftigte gemeldet. Die Beigeladene zu 1 ist ein mittelständisches Unternehmen mit im streitgegenständlichen Zeitraum ca. 15 Mitarbeitern.
Bis Ende März 2001 war die Klägerin bei der Beigeladenen zu 1 als Bilanzbuchhalterin/Lohnbuchhalterin in Teilzeit (20 Stunden wöchentlich) tätig und als abhängig Beschäftigte zur Sozialversicherung gemeldet. Sie hatte feste Arbeitszeiten in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1 von täglich 8.00 bis 12.00 Uhr. Ab dem 1. April 2001 war sie - bis zum 30. April 2013 - aufgrund mündlich geschlossenen Vertrages weiter als Buchhalterin/Lohnbuchhalterin für die Beigeladene zu 1 tätig, wobei die Klägerin und die Beigeladene zu 1 nunmehr davon ausgingen, dass es sich um eine selbständige Tätigkeit handele. Die Klägerin verrichtete ihre Tätigkeit nunmehr überwiegend von zu Hause aus. Am 15. Dezember 2001 mietete sie einen neun Quadratmeter großen Büroraum unter ihrer Wohnanschrift von ihrem Ehemann zu einer monatlichen Miete von € 87,64 einschließlich Nebenkosten ab 1. Januar 2002 an. Außerdem ist sie Autorin des Buches „Zeitfalle Kind“, das sie selbst vermarktet. Sie ist bei der Beigeladenen zu 2 freiwillig krankenversichert.
Neben ihrer Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1 hatte die Klägerin zunächst bis 2004 mehrere andere Auftraggeber. Aufgrund familiärer Verpflichtungen beendete sie die übrigen Auftragsverhältnisse 2004 und schränkte auch ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 1 von zuvor 20 auf nunmehr noch 15 bis 16 Stunden wöchentlich ein. Die von ihr abgegebenen Aufgaben, z.B. Zahlungserinnerungen, Mahnungen, erledigte seitdem ein bei der Beigeladenen zu 1 abhängig beschäftigter Bürokaufmann, der ihr insoweit zuarbeitete. Teilweise arbeitete die Klägerin in den Geschäftsräumen der Beigeladenen zu 1, wobei der Umfang und der Zeitpunkt der Tätigkeit in den Geschäftsräumen in der freien Entscheidung der Klägerin lag; sie teilte ihre Anwesenheitszeiten der Beigeladenen zu 1 jeweils in der Vorwoche mit. Zur Anwesenheit verpflichtet war sie lediglich dann, wenn Prüfungen seitens der Sozialversicherungsträger, des Finanzamtes et cetera vor Ort stattfanden. Wenn die Klägerin in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1 tätig wurde, tauschte sie dort Belege und Unterlagen aus, besprach Änderungen und Sonderfälle, besonders im Personalbereich, und erledigte besonders dringende Angelegenheiten. Sie nutzt dort das auf den Betrieb abgestimmte Lexware-Buchhaltungsprogramm in der jeweils aktuellen Version, über das sie selbst nicht verfügte. Die Klägerin verfügte nicht über einen eigenen Schreibtisch bei der Beigeladenen zu 1, sondern nutzte jeweils einen gerade freien Schreibtisch.
Die Klägerin war verpflichtet, alle anfallenden Lohnbuchhaltungsaufgaben zu erfüllen. Die Klägerin und die Beigeladene zu 1 gingen dabei davon aus, dass hierfür im streitgegenständlichen Zeitraum 15 bis 16 Wochenstunden ausreichten. Für eine Tätigkeit in diesem Umfang war die Klägerin berechtigt, der Beigeladenen zu 1 einen Betrag von monatlich € 1.500,00 zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen. Soweit die anfallende Arbeit einen wesentlich größeren Zeitaufwand (etwa bei Prüfungen durch das Finanzamt) oder einen geringeren Aufwand verursachte, war die Klägerin berechtigt bzw. verpflichtet, für die betroffenen Monate abweichend von dem Pauschalbetrag eine höhere oder niedrigere Vergütung zu beanspruchen. Die Rechnungen stellte die Klägerin meist zu Anfang des jeweiligen Monats, jedenfalls weit überwiegend in der ersten Hälfte des Monats. Die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1 machte bis 2004 ca. 88 Prozent des Gesamtumsatzes der selbständigen Tätigkeit der Klägerin aus, 2005 97,5 Prozent, 2006 100 Prozent, 2007 bis 2008 99 Prozent. 2009 akquirierte sie einen neuen Auftraggeber und erledigt seitdem zusätzlich die Buchhaltung ihres Eheman...