Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Wohngemeinschaft. Leistungserbringung in Form eines Persönlichen Budgets. Begrenzung der Höhe auf die Kosten einer stationären Unterbringung. Mehrkostenvorbehalt. Budgetneutralität. Aufklärungspflichten des Sozialhilfeträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs 2 S 3 SGB XII greift bei allen Leistungsformen ein und gilt nicht nur im Verhältnis ambulanter zu stationären Leistungen.
2. Art 19 UN-Behindertenrechtskonvention (juris: UNBehRÜbk) begründet keinen subjektiven Anspruch des behinderten Menschen auf Gewährung von Sozialleistungen und dispensiert weder den Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs 2 S 3 SGB XII noch den des § 13 Abs 1 S 3 SGB XII.
Orientierungssatz
Der Sozialhilfeträger hat den Leistungsberechtigten rechtzeitig und hinreichend über gleich geeignete, zumutbare und tatsächlich zur Verfügung stehende ambulante oder stationäre Alternativen aufzuklären.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juli 2014 abgeändert. Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 29. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2013 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Höhe der Eingliederungshilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Form eines sog. Persönlichen Budgets für Juni 2013 bis Mai 2014.
Die Klägerin ist 1991 geboren. Bei ihr liegt eine paranoide Schizophrenie (F.20.0), eine Intelligenzminderung (F71.1), ein Zustand nach Epilepsie (G40.3) und eine generelle Verlangsamung mit ataktischer Bewegungsstörung (G80.8) vor. Ihre Teilhabe ist in sämtlichen Lebensbereichen erheblich eingeschränkt. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt; ihr sind die Merkzeichen G, H und RF zuerkannt. Im streitgegenständlichen Zeitraum war sie in Pflegestufe III eingestuft.
Die Klägerin besuchte bis zum Jahr 2012 die Schule für Geistig behinderte in F.-G.. Seit September 2012 besucht sie als tagesstrukturierende Maßnahme den Förder- und Betreuungsbereich (FuB) der Einrichtung “A. B.„ (Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 8. August 2012 für die Zeit vom 1. September 2012 bis zum 31. August 2015).
Bis zum 1. Juni 2013 lebte die Klägerin im elterlichen Haushalt im F. Stadtteil V.. Im Juni 2013 zog die Klägerin in das Wohnprojekt “V.„ in der “V.„, einem wohngenossenschaftlichen Inklusionsprojekt im F. Stadtteil V., ein. Die Eltern der Klägerin hatten sich zuvor für dieses inklusive Wohnprojekt engagiert. Es handelt sich um ein genossenschaftliches Wohnprojekt, in dem Inklusion und generationenübergreifendes Wohnen gelebt werden sollen. Das Wohnprojekt besteht unter anderem aus Wohnungen zur freien Vergabe, Wohnungen für gemeinschaftliches Wohnen, der Wohngruppe V. Plus zur Betreuung und Pflege von zwölf Menschen sowie Wohngemeinschaften für je fünf junge Erwachsene mit erhöhtem Betreuungsbedarf. Kooperationspartnerin des Projekts V. ist die Lebenshilfe B. gGmbH, deren Gesellschafter die Lebenshilfe F. e.V. und die Lebenshilfe KV. E. e.V. sind. Sie erbringt die Unterstützungs-, Förder- und Assistenzleistungen. Der Vater der Klägerin ist derzeit Vorsitzender des Aufsichtsrates der V.; die Mutter der Klägerin gehört dem Vorstand der Lebenshilfe F. e.V. an. Der derzeitige geschäftsführende Vorstand der V., U. B., ist zugleich ebenfalls Mitglied des Vorstandes der Lebenshilfe F. e.V.
Die Klägerin beantragte am 20. März 2012 bei der Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets. Sie werde im Frühjahr 2013 in das Wohnprojekt V. in eine Wohngemeinschaft mit vier weiteren jungen Erwachsenen mit hohem Betreuungsbedarf ziehen. Sie beantrage Leistungen für die ambulante Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Es gehe um Unterstützung in Form von Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, Hilfe zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten, Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten und Hilfe zur Pflege.
Am 11. Juli 2012 fand ein Hilfeplangespräch statt, in dem die Eltern der Klägerin den aus ihrer Sicht bestehenden Hilfebedarf schilderten. Die Beklagte beauftragte den medizinisch-pädagogischen Dienst (MPD) des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) anschließend mit der Erstellung einer Stellungnahme. Der MPD erstellte aufgrund der Aktenlage und eines Vororttermines in der Wohnung der Eltern der Klägerin am 26. Oktober 2012 und am 6. November 2012 (versehentlich auf den 25. Oktober 2012 datiert) seine Stellungnahme. Die Klägerin benötige Anleitung und Assistenz bei der individuellen Basisversorgung. Größere Einkäufe, Kochen, Wäschepflege und Geldeinteilung müss...