Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenbehandlung. kein Kostenerstattungsanspruch für Mastektomie bei sonstiger transidentitärer Geschlechtsidentitätsstörung
Leitsatz (amtlich)
Zum (verneinten) Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine Mastektomie zur Behandlung einer sonstigen transidentitären Geschlechtsidentitätsstörung.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.04.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Klage- und Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Kostenerstattung für eine Mastektomie (Operative Entfernung der Brust) beider Brüste nebst erforderlicher Wundversorgung zur Behandlung einer sonstigen transidentitären Geschlechtsidentitätsstörung.
Die.1997 mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geborene und daher personenstandsrechtlich damals als weiblich registrierte klagende Person, die bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, ließ im Oktober 2019 ihren Vornamen und die Geschlechtsangabe im Geburtenregister ändern; als Geschlecht ist nunmehr „ohne Angabe“ eingetragen.
Am 04.12.2019 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Mastektomie beider Brüste. Sie fügte einen undatierten Arztbrief von Herrn B, Assistenzarzt in der Klinik für plastische und ästhetische Chirurgie im F-Krankenhaus in D, bei, in dem als Diagnose Transidentitäre Geschlechtsidentitätsstörung mit dem Therapievorschlag subkutane Mastektomie, stationär, ausgeführt ist. Bei der klagenden Person bestehe der Wunsch der geschlechtsangleichenden Operation. Zwei unabhängige psychologische Gutachten seien in Bearbeitung. Eine Personenstandsänderung sei erfolgt. Eine Hormontherapie werde nicht durchgeführt.
Mit Bescheid vom 05.12.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Aufgrund der Unterlagen könne eine medizinische Notwendigkeit nicht bestätigt werden. Das Vorliegen eines manifestierten Transsexualismus sei nicht belegt. Insbesondere sei die Alltagserprobung und die Durchführung einer psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlung von mindestens 18 Monaten Dauer nicht nachgewiesen.
Hiergegen legte die klagende Person mit Schreiben vom 20.12.2019 Widerspruch ein. Wann dieser bei der Beklagten einging, lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen. Die erwartete Diagnose Transsexualismus sei von vornherein falsch, da sie nicht auf sie als nicht-binäre Person zutreffe. Die im Bescheid genannten Voraussetzungen der Behandlung verstießen gegen das Leistungsrecht. Sie sei weder Mann noch Frau, also nicht-binär. Daher sei im Personenstandsregister nunmehr „keine Angabe“ erfasst. Die verwendete Begutachtungsanleitung entspreche nicht mehr dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, insofern sei die neue S3-Leitlinie von Februar 2019 zu berücksichtigen. Dort sei auch ausgeführt, dass Dauer und Zeitaufwand für die Diagnostik fallbezogen variabel seien. Nach Möglichkeit sei zu versuchen, den diagnostischen Prozess so kurz wie möglich zu halten, um den Leidensdruck nicht unnötig zu verlängern. Daher sei auch die Alltagserprobung von mindestens 18 Monaten nun nicht mehr Voraussetzung. Vielmehr werde ausgeführt, dass modifizierende Behandlungen körperlicher Geschlechtsmerkmale für Personen, die solche Behandlungen in Anspruch nehmen wollten, die Therapie der ersten Wahl seien. Sie wolle nicht männlich sein, es gebe aber zwischen „männlich“ und „weiblich“ ein breites Spektrum. Sie habe durch ihren weiblichen Körper eine Geschlechtsinkongruenz mit einhergehendem Leidensdruck. Eine Operation in Form der Mastektomie würde ihren Körper in die Mitte des Spektrums schieben und somit der nicht-binären Geschlechtsidentität angleichen, welches auch die Geschlechtsinkongruenz beheben würde. Sie sei transidentitär, durch die Diskrepanz zwischen Geschlechtsidentität und dem durch das Vorhandensein von Brüsten gelebten Geschlecht verspüre sie erheblichen Leidensdruck, weshalb auch von einer Geschlechtsidentitätsstörung gesprochen werden könne, auch wenn die Bezeichnung Geschlechtsinkongruenz treffender sei. Allerdings könne dies bis zur Einführung des ICD-11 nicht als Diagnose angegeben werden. Die Diagnose sei bereits gestellt und nach der S3-Leitlinie auch ausreichend. Zudem liege noch ein Indikationsschreiben einer Diplom-Psychologin vor. Das Verlangen einer Alltagserprobung und einer mindestens 18-monatigen Behandlung widersprächen dem Leistungsrecht und auch dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz. Die Ablehnung sei daher rechtswidrig.
Die klagende Person legte ein Indikationsschreiben der Psychotherapeutin, ein Attest der Hausärztin und einen Auszug aus dem Personenstandsregister vor.
Am 17.01.2020 fragte die klagende Person telefonisch bei der Beklagten nach und teilte mit, ein OP-Termin sei Anfang April geplant. Die Beklagte teilte daraufhin mit, dass der MDK befragt werden solle.
Am 24.01.2020 wurde der Begutachtungsauftrag durch den MDK storniert. Die gesetzliche Krankversic...