Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Von der abstrakten, nicht anlassbezogenen Gefährdungsbeurteilung zu unterscheiden sind die anlassbezogenen, konkreten Schutzmaßnahmen, die der Arbeitgeber im Fall der Schwangerschaft oder Mutterschaft einleiten muss.
Allgemeine Schutzpflicht in § 9 MuSchG
§ 9 MuSchG regelt die vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen in ganz allgemeiner Form. Allerdings ergeben sich auch aus § 9 MuSchG konkrete Pflichten des Arbeitgebers. Neben den geforderten Schutzmaßnahmen hat der Arbeitgeber der Frau auch während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit die Fortführung ihrer Tätigkeiten zu ermöglichen. In § 9 Abs. 3 MuSchG wird der Arbeitgeber verpflichtet, sicherzustellen, dass die schwangere oder stillende Frau ihre Tätigkeit am Arbeitsplatz, soweit es für sie erforderlich ist, kurz unterbrechen kann. Er hat darüber hinaus sicherzustellen, dass sich die schwangere oder stillende Frau während der Pausen und Arbeitsunterbrechungen unter geeigneten Bedingungen hinlegen, hinsetzen und ausruhen kann.
Festlegung von Schutzmaßnahmen gemäß § 10 MuSchG
Weitergehend konkretisiert § 10 Abs. 2 und 3 MuSchG die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers unter mutterschutzrechtlichen Aspekten. Nach § 10 Abs. 2 MuSchG hat der Arbeitgeber unverzüglich nach der Statusmitteilung der schwangeren oder stillenden Frau die auf Basis der zuvor durchgeführten abstrakten Gefährdungsbeurteilung erforderlichen Schutzmaßnahmen festzulegen.
Der Wortlaut der Regelung in § 10 Abs. 2 Satz 1 MuSchG ist in zweierlei Hinsicht zu eng gefasst: zunächst kommt es für die Festlegung der Schutzmaßnahmen nicht darauf an, woher der Arbeitgeber Kenntnis vom Zustand der Frau hat. Erfährt der Arbeitgeber durch andere Umstände als durch die Mitteilung der Frau selbst von den Umständen, entsteht seine Handlungspflicht nach § 10 Abs. 2 MuSchG in gleicher Weise. Zu denken ist hierbei allenfalls an eine zusätzliche Nachfrage bei der Frau, um sicherzugehen, dass die Frau tatsächlich schwanger ist bzw. eine Mutterschaft vorliegt. Angesichts der umfangreichen Pflichten, die den Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem betrieblichen Gesundheitsschutz treffen, wird auch eine Pflicht der Frau zur wahrheitsgemäßen Antwort anzunehmen sein. Von sich aus muss die Frau den Arbeitgeber nach wie vor nicht informieren.
Zu eng gefasst ist auch die Formulierung der "Festlegung" von Schutzmaßnahmen: entscheidend kommt es darauf an, dass der Arbeitgeber die konkret erforderlichen Schutzmaßnahmen nicht nur festlegt, sondern auch tatsächlich durchführt. In diesem Sinne einer Umsetzung oder Durchführung der Schutzmaßnahmen ist § 10 Abs. 2 Satz 1 MuSchG zu verstehen – dies entspricht auch der in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG erkennbaren Intention des betrieblichen Gesundheitsschutzes, wonach alle für die Frau und das Kind erforderlichen Schutzmaßnahmen "zu treffen" sind. Aus diesem Grund darf er die Frau nur diejenigen Tätigkeiten ausüben lassen, für die er die entsprechend der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Schutzmaßnahmen auch umgesetzt hat. Schutzmaßnahmen sind in diesem Sinne vom Arbeitgeber "getroffen", wenn sie wirksam und vollständig realisiert worden sind. Geschieht dies nicht, gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug – bis zur Umsetzung der Schutzmaßnahmen steht der Frau ein Zurückbehaltungsrecht zu. Ihr Entgeltanspruch bleibt bestehen. Allerdings wird man dem Arbeitgeber ein Weisungsrecht einräumen können, die Frau bis zum Abschluss der Schutzmaßnahmen mit anderen Tätigkeiten zu betrauen oder auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen, soweit dies arbeitsvertraglich und mutterschutzrechtlich zulässig ist.
Schutzmaßnahmen ggf. anpassen
Die Beurteilung ist nicht nur einmalig durchzuführen. Das Mutterschutzgesetz fordert in § 9 Abs. 1 Satz 2 MuSchG ein kontinuierliches "Gefährdungscontrolling" im Anlassfall – dabei hat der Arbeitgeber die ursprünglich festgelegten Maßnahmen einer nachgelagerten Wirksamkeitskontrolle zu unterziehen und – soweit erforderlich – anzupassen!