Das zentrale Element der Richtlinie ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht eine Vermutung zu verankern, dass das Vertragsverhältnis zwischen Plattformarbeitskräften und digitalen Arbeitsplattformen ein Arbeitsverhältnis darstellt, wenn Tatsachen vorliegen, die auf eine Steuerung und Kontrolle durch die Plattform hindeuten. Ist die Vermutung erfüllt, wird ein Arbeitsverhältnis im Sinne des nationalen Rechts angenommen. Möchte die digitale Arbeitsplattform die gesetzliche Vermutung widerlegen, hat sie zu beweisen, dass das betreffende Vertragsverhältnis kein Arbeitsverhältnis ist.
Im Gegensatz zu vorherigen Entwürfen sieht der Richtlinientext jedoch keinen Kriterienkatalog mehr vor, der die Vermutungsregel konkretisiert. Die Abkehr vom festen Kriterienkatalog macht nunmehr eine jeweilige Gesamtbetrachtung im Einzelfall notwendig. Die genauen Bedingungen, unter denen die Vermutung zur Anwendung kommt, liegen daher weitestgehend im Ermessen der nationalen Gesetzgeber.
Die Regelung stellt eine Verfahrenserleichterung für Crowdworker dar, welche das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses festgestellt haben wollen oder Rechte aus einem Arbeitsverhältnis geltend machen. Die festgelegte gesetzliche Vermutung muss dann in allen einschlägigen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gelten, wenn es um die Bestimmung des korrekten Beschäftigungsstatus der Person geht.
Neben der Vermutungsregel enthält die Richtlinie auch weitere Vorgaben:
- Enthalten sind neue Regeln für das algorithmische Management, die sicherstellen sollen, dass die Plattformen nicht mittels automatisierter Beobachtungssysteme oder Entscheidungssysteme wichtige Entscheidungen treffen. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die Plattformen automatisierter Prozesse durch Menschen beaufsichtigen lassen und die Crowdworker die Möglichkeit haben, jederzeit über eine automatisierte Entscheidung eine Erklärung zu erhalten. Arbeitnehmervertretungen, wie Gewerkschaften, müssen Informationen über automatisierte Beobachtungssysteme und Entscheidungsprozesse mitgeteilt werden. Zudem wird der Datenschutz adressiert. Die automatisierte Verarbeitung bestimmter personenbezogener Daten, wie bspw. über den emotionalen oder psychischen Zustand eines Crowdworker wird untersagt.
- Ein Zugang zu einschlägigen Informationen über die Plattformarbeit muss Behörden und Arbeitnehmervertretern zur Verfügung gestellt werden. Somit entsteht ein digitales Zugangsrecht.
Trotz der geschaffenen Möglichkeiten ist es jedoch mehr als fraglich, ob die Richtlinie tatsächlich ihre Zielsetzung erreichen wird. Die den nationalen Gesetzgebern eingeräumten Freiheiten bei der Umsetzung sind so groß, dass an vielen Stellen noch die Möglichkeit besteht, die Regelungen zu verschärfen oder sie bedeutend abzuschwächen. Es bleibt abzuwarten, in welcher Form die Umsetzung im deutschen Recht vorgenommen wird und ob der deutsche Gesetzgeber über die europäisch vorgegebenen Regelungen noch weitere Ergänzungen vornimmt. Zu vermuten ist, dass in Deutschland die im "Crowdworker-Urteil" des BAG aufgestellten Kriterien sowie während der zwei Jahre gefällte Urteile hierzu in die Gesetzeslage einfließen werden. Ob in der Praxis für Arbeitgeber tatsächlich Anpassungsbedarf für ihren Umgang mit Plattformarbeit besteht, muss daher abgewartet werden.
Zwar besteht bis zur Umsetzung der Richtlinie noch Zeit. Dennoch sollten Unternehmen, die Plattformen betreiben, bereits jetzt ein Auge auf die Entwicklungen hatten, um frühzeitig eine Risikoabschätzung vornehmen zu können.