Plattformarbeit: Viele Risiken – gesundheitlich und arbeitsrechtlich
Zeit für eine Kurskorrektur bei der Plattformarbeit ist aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes dringend geboten: Die körperlichen und psychischen Risiken für Plattformarbeiter sind nämlich erheblich, unter anderem aufgrund der prekären arbeitsrechtlichen Situation und den damit verbundenen Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheiten.
Plattformarbeit – neue EU Richtlinie soll kommen
Eine neue EU-Richtlinie, die Ende 2022 vom EU-Parlament angenommen wurde, soll Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen der Plattformarbeiter in Zukunft deutlich verbessern. Arbeitsrechtlich erscheint der Richtlinien-Entwurf bislang kein Durchbruch für die Plattformarbeiter zu sein.
Die Richtlinie sollte die Probleme effektiv bei der Wurzel packen. Würden grundlegende arbeitsrechtliche Verbesserungen für die Plattformarbeiter nicht erreicht, so droht laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Plattformarbeit aus dem Jahr 2018, ein weitreichendes gesellschaftliches Problem.
Aktuell sei Cloud-, Gig- und Crowdwork noch ein Randphänomen in der Arbeitswelt. In Zukunft würde die Zahl der digitalen Arbeiter aber sehr wahrscheinlich deutlich ansteigen. Ließe man die Entwicklung der Ausbeutung der Plattformarbeiter weiter unkontrolliert voranschreiten, befürchten die Macher der Bertelsmann-Stiftung gesamtgesellschaftlich überwiegend negative Auswirkungen.
Gemeinsamer Nenner der Plattformarbeit: Unsicherheit
Hohe Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheit kennzeichnen alle Arbeitsverhältnisse von Plattformarbeitern. Allerdings ergeben sich je nach Branche dennoch kleine Unterschiede im Abhängigkeitsverhältnis der Arbeiter zu ihren Auftraggebern.
In der Haushalts- und Pflegebranche sind Arbeiter in der Regel als Solo-Selbstständige tätig. Somit erhalten sie auch keine Bezahlung im Krankheitsfall. Auch Arbeitern auf Plattformen für Haus- und Pflegearbeit verfügen über kein Einkommen mehr, wenn sie aufgrund von Krankheit oder Kontaktbeschränkungen nicht arbeiten können.
Beschäftigte auf Fahrdienstplattformen dagegen haben in der Regel immerhin formelle Arbeitsverträge mit Subunternehmen. Dabei werden sie aber pro Einsatzfahrt entlohnt, erhalten also einen festen Pauschallohn. Daher sind viele Beschäftigte auf Boni und Trinkgelder angewiesen, um überhaupt ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Im Gegensatz dazu sind Arbeiter von Essens- und Lebensmittellieferplattformen in einem sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnis und erhalten sogar Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Meistens handelt es sich dabei jedoch um befristete Verträge oder Teilzeitverträge, die Arbeitgeber je nach Geschäftslage flexibel kündigen können.
Psychische Belastungen bei der Plattformarbeit
Selbstständige in der Plattformökonomie müssen also kontinuierlich mit der Angst leben, dass Kunden das Arbeitsverhältnis beenden; eine wichtige oder sogar die Einkommensquellen kann damit manchmal von einem Tag zum anderen verloren gehen. Die fehlende soziale Absicherung führt dabei unter anderem zu großen psychischen Belastungen, wie eine Studie der Organisation „Fairwork“ durch Befragung von Plattformarbeitern nahelegt.
Diese Belastung würde noch vergrößert, wenn Beschäftigte mit der Drohung vor Job- oder Auftragsverlustverlust eingeschüchtert werden. Aus Angst vor dem teilweise vollständigen Einkommensverlust arbeiteten Viele dann selbst bei ernsthaften Erkrankungen. Die psychische Belastung durch mangelnde Einkommenssicherheit wird noch dadurch verschärft, dass auch bei den Arbeitsverhältnissen mit sozialversicherungspflichtiger Anstellung die Stundenlöhne durchschnittlich unter 12 Euro pro Stunde liegen.
Physische Risiken bei der Plattformarbeit
Neben den psychischen Gesundheitsrisiken sind Plattformarbeiter auch einer Vielzahl von physischen Gesundheitsrisiken und starken körperliche Belastungen ausgesetzt. So sind Arbeiter auf Pflege- und Hausarbeitsplattformen vor allem infektionsgefährdet, da sie täglich zahlreiche Haushalte und kranke Patienten aufsuchen müssen. Von den drei von Fairwork untersuchten Plattformen stellte jedoch keine den Beschäftigten Schutzausrüstung wie FFP2-Masken oder Handschuhe zur Verfügung oder beteiligte sich an den damit verbundenen Kosten.
In der Lebensmittel-Lieferbranche ergeben sich die körperlichen Gesundheitsrisiken vor allem aufgrund des hohen Zeitdrucks und der oft unzureichenden Arbeitsausrüstung. Die meisten Essenslieferdienste wiederum, so Fairwork, machten ihren Fahrern zwar keine konkreten Vorgaben bezüglich der Liefergeschwindigkeit, erwarten aber dennoch eine möglichst schnelle Lieferung. Die Fahrer führen aber auch deshalb schnell, weil sie auf das Trinkgeld und Boni für schnelle Lieferung angewiesen sind. Dadurch erhöhe sich natürlich auch das Risiko von Verkehrsunfällen mit körperlichen Verletzungen, insbesondere für diejenigen, die mit einem Fahrrad anstatt mit einem Auto unterwegs sind. Unfallrisiken ergeben sich jedoch auch aus unzureichender und fehlerhafter Arbeitsausrüstung für die Fahrer.
Plattformarbeit – neue EU Richtlinie in der Kritik
Ein Kommentar von Professor Gregor Thüsing auf dem Personal-Portal der haufe.de kritisiert den Entwurf der Richtlinie, die noch nicht verabschiedet ist, scharf. Gut gemeint sei nicht gut gemacht, so formuliert es der Arbeitsrechtler der Universität Bonn. Ihm zufolge gehe die Kommission anscheinend davon aus, dass eine Internet-Plattform tatsächlich erstmal ein Arbeitgeber ist, und nur wenn die vorgeschlagenen Kontrollkriterien nicht erfüllt sind, diese Vermutung widerlegt ist. Für Thüsing kein sinnvoller Ansatz. Fest steht: Allein schon durch eine einfache kleine Anpassung der Geschäftsbedingungen kann sich eine Plattform diesen Kriterien entziehen und weiter mit Selbstständigen arbeiten. Inwiefern an diesen und anderen Punkten des Kommissionsvorschlags noch nachgearbeitet wird, ist Stand heute noch nicht abzusehen.
Studie: „Fairwork Deutschland Ratings 2021: Arbeitsstandards in der Plattformökonomie.“ Weitere Informationen von: www.wzb.eu/de/artikel/viel-arbeit-schlechte-bedingungen.
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