Rz. 725

Die vom Arbeitgeber zu beachtende Rangfolge bei der Durchführung betrieblicher Maßnahmen führt insbesondere dazu, dass eine Versetzung oder eine Änderungskündigung vor Ausspruch einer Beendigungskündigung als mildere Mittel in Betracht kommen können. Es gilt der Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung.[1] Eine Änderungskündigung wiederum ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur zulässig, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht bereits im Wege des Direktionsrechts i. S. v. § 106 GewO einen anderen freien Arbeitsplatz zuweisen kann. Allerdings geht das BAG in diesen Fällen davon aus, dass eine "überflüssige" Änderungskündigung zumindest bei der Annahme unter Vorbehalt nicht zur Unwirksamkeit der Änderungen der Arbeitsbedingungen führt. Es wird davon ausgegangen, dass es bei § 2 KSchG um den Inhaltsschutz des Arbeitsvertrags ginge, der nicht betroffen sei, wenn die angebotenen Änderungen ohnehin bereits gelten würden, sodass es einer sozialen Rechtfertigung für die Änderungskündigung nicht bedürfe. Die Änderungskündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wird dann als unbegründet zurückgewiesen.[2] Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens auf der Grundlage seiner Qualifikation und Erfahrungen weiterbeschäftigt werden, ist die Beendigungskündigung unverhältnismäßig. Der nach der Generalklausel des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu prüfende "ultima-ratio-Grundsatz" wird in § 1 Abs. 2 KSchG insoweit normativ konkretisiert.[3] Für Betriebe und Verwaltungen des öffentlichen Rechts gilt nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b KSchG die Kündigung dann als sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann.[4] Nach der Rechtsprechung des BAG entspricht die Gesamtheit der Dienststellen in einem umschriebenen Bereich dem Unternehmen im Bereich der Privatwirtschaft.[5]

 

Beispiel

Der Arbeitgeber stellt Telefon- und Internetleistungen gewerblichen Nutzern zur Verfügung und bietet darüber hinaus Wartungsdienstleistungen für die Endgeräte an. Er unterhält Betriebe in der gesamten Bundesrepublik. Sein Betrieb in Berlin ist seit einiger Zeit stark defizitär, woraufhin er sich zu einer Betriebsteilstilllegung entschließt. Wartungsdienstleistungen sollen in Berlin nicht mehr durchgeführt werden. Er kündigt daraufhin sämtlichen im Wartungsbereich tätigen Angestellten, darunter auch einem Techniker und einem Sekretär. Beide erheben Kündigungsschutzklage. Der Techniker trägt vor, der Arbeitgeber habe zum Zeitpunkt der Kündigung für seine Betriebe in Köln und Hamburg weitere Techniker gesucht. Der Sekretär macht geltend, er habe als Sekretär für den Bereich Internet weiterarbeiten können; dort sei eine Kollegin zum Zeitpunkt seiner Kündigung ausgeschieden.

Beide Arbeitnehmer haben mit ihrer Klage Erfolg. Vor dem Ausspruch der Kündigungen hätte der Arbeitgeber Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, und zwar sowohl im "Restbetrieb" als auch in den weiteren Betrieben des Unternehmens, prüfen müssen.

 

Rz. 726

Auch wenn ein Betriebsrat, ein Personalrat oder eine sonstige Arbeitnehmervertretung nicht besteht oder untätig geblieben ist, sind die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu berücksichtigen, denn der individualrechtliche Kündigungsschutz ist nicht abhängig von dem Bestehen oder Tätigwerden einer Arbeitnehmervertretung und bereits das ultima-ratio-Prinzip verlangt die Prüfung, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernorts weiterbeschäftigen kann. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der im Jahr 1972 eingeführte Abs. 2 Satz 2 dieses Prinzip einschränken wollte, da ausweislich der Gesetzesmaterialien die Einführung der Widerspruchsgründe zu einer Verbesserung des Kündigungsschutzes des Arbeitnehmers führen sollte.[6]).

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