Rz. 31
Die Schwangerschaft wie auch die Entbindung sind keine Krankheiten, sondern natürliche Prozesse eines biologischen Vorgangs. Das Beschäftigungsverbot nach § 3 und Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit schließen sich wechselseitig aus, es handelt sich um unterschiedliche Sachverhalte, die unabhängig voneinander festzustellen sind.
Krankheit i. S. d. § 3 EFZG setzt einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand voraus. Regelwidrig ist ein körperlicher oder geistiger Zustand dann, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist. Arbeitsunfähigkeit besteht, wenn der Arbeitnehmer infolge Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde. Von Arbeitsunfähigkeit ist auch dann auszugehen, wenn erst eine zur Behebung einer Krankheit erforderliche Heilbehandlung dazu führt, dass der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Schwangerschaft ist demnach keine Krankheit.
Im Verlauf der Schwangerschaft oder nachgeburtlichen Phase können sich allerdings Komplikationen ergeben, die zu einer Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit führen. Dabei hat die Arbeitnehmerin die freie Wahl des Arztes und muss nicht bei einem Arzt nach Wahl des Arbeitgebers, z. B. einem Werksarzt, vorstellig werden. Dem behandelnden Arzt steht ein Beurteilungsspielraum zu, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. Möglich sind auch weitere Erholungsprogramme wie Maßnahmen der Rehabilitation und die dafür vorgesehenen Freistellungen.
Auf die absolute Schutzfrist des § 3 Abs. 2 folgt eine mögliche weitere Einsatzeinschränkung nach Wiederaufnahme der Tätigkeit. In den ersten Monaten nach der Entbindung stellt § 16 Abs. 2 MuSchG auf die Leistungsfähigkeit der Frau ab: Die Frau darf nicht zu Arbeiten herangezogen werden, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen. Die verminderte Leistungsfähigkeit muss im kausalen Zusammenhang mit der Mutterschaft stehen. Auch hier ist die Vorlage eines ärztlichen Attestes erforderlich, aus dem
- der Grad der Einschränkung, zumindest als konkretisierte Beschreibung,
- die Spezifizierung der Tätigkeiten sowie
- die voraussichtliche Dauer
der Einschränkungen hervorgeht.
Sind die festgestellten Einschränkungen nicht kausal durch die Schwangerschaft und Geburt verursacht, bleibt die Möglichkeit einer allgemeinen Krankschreibung, sodass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall greift.
Rz. 32
Bei Vorliegen einer Krankheit und Dokumentation der Arbeitsunfähigkeit greifen die Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als vorrangigere Spezialregelung. Gleiches gilt für eine etwaige Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Sofern die Entlassung einer Arbeitnehmerin hauptsächlich aufgrund von Fehlzeiten erfolgt, die sich durch die Schwangerschaft bedingte Arbeitsunfähigkeit ergeben, wird vermutet, dass dies auf die Schwangerschaft zurückzuführen ist. In diesem Fall wird dann eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwangerschaft vermutet und damit eine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Gleiches gilt auch für den Fall, dass eine Kinderwunschbehandlung vorliegt, die zu einer Schwangerschaft führen soll. Die Rechtsprechung nimmt im Fall einer Kündigung durch den Arbeitgeber an, dass die Schwangerschaft als Hauptgrund der Kündigung anzusehen ist, wenn die Kündigung sich auf Fehlzeiten stützt, denen eine Schwangerschaft oder eine künstliche Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation) zugrunde liegt.
Rz. 33
Trotz Beschäftigungsverbots bleibt die Frau im Status einer Arbeitnehmerin, was für die Bemessung der Belegschaftszahl Voraussetzung ist. So ist die Belegschaftszahl bei den Grenzwerten für die Wahlen zum Betriebsrat, für die Bemessung der Zahl der freigestellten Betriebsräte und für Massenentlassungsanzeigen bei Betriebsänderungen relevant.