Anwendungsbeispiele von agilen Methoden in HR


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Agile Methoden in HR: Anwendungsbeispiele

Agile Methoden können Personalabteilungen dabei helfen, ihre Services zu verbessern – und den Stellenwert von HR im Gesamtunternehmen erhöhen. Wie agile Teams die Methoden Scrum, Kanban und Co. im Personalbereich einsetzen und sie diese miteinander kombinieren, zeigen drei Beispiele aus der Praxis.

Ob Verbesserungen im Bereich "Learning & Development", die Erhöhung des Stellenwerts von HR im Unternehmen oder ein besseres Zielmanagement mittels der OKR-Methode: Wie drei Praxisbeispiele zeigen, geben agile Methoden den Techniken agiler Teams auch in den Personalabteilungen einen Rahmen. Dabei müssen die verschiedenen agilen Methoden nicht getrennt voneinander gedacht werden, sondern auch eine Kombination der Methoden ist möglich (eine Definition agiler Methoden und die Abgrenzung zu agilen Techniken und Prinzipien finden Sie hier).

1. Design Thinking und Business Model Canvas: Global Learning Strategy bei Evonik

Die Herausforderung in diesem Projekt war, eine weltweit neue und digitale Strategie für "Learning & Development" aller Mitarbeiter zu finden. Einerseits war zu spüren, dass das bisherige Vorgehen (Class Room Trainings, Videotrainings, digitale Lerninhalte wie PDFs und Artikel) immer mehr Wirksamkeit verloren hatte und es andererseits auch nicht mehr dem entsprach, wie Mitarbeiter neues Wissen aufnehmen und trainieren wollten.

Teilnehmer erarbeiten eine gemeinsame Vision

Das Global-Learning-Team setzte ein Projekt auf. Ausgangspunkt war ein Workshop, in dem die Teilnehmer eine gemeinsame Vision erarbeiteten: Lernen sollte wieder Spaß machen – und digital, individuell und an jedem Ort der Welt möglich sein. Anschließend wurde ein Design-Thinking-Prozess mit folgender Struktur erstellt:

Understand (verstehen)

Hier ging es primär darum, alle verfügbaren Quellen (Feedback bisheriger Lerninitiativen, Studien, Best Practices anderer Unternehmen, Trendmonitoring und viele mehr) zu sammeln, einzuordnen und auszuwerten.

Observe (beobachten)

In dieser Phase wurden vor allem Interviews zur aktuellen Lernsituation mit Mitarbeitern geführt, um so möglichst viele Eindrücke aus erster Hand zu erhalten. Ein Review des aktuellen Lernprozesses und dessen mögliche Ausprägungen vervollständigten das Bild.

Point of View (Standpunkt definieren)

Aus den bisherigen Ergebnissen wurden nun Personas erarbeitet (beispielsweise einer Führungskraft, die gerade eben in die Position befördert wurde, einer Führungskraft, die schon mehr als zwei Jahre in dieser Position ist, eines neu eingestellten Mitarbeiters, eines Mitarbeiters, der länger als ein Jahr im Unternehmen ist, eines Azubis usw.) und diese auf einer sogenannten Employee-Journey mit ihren Berührungspunkten zum Learning platziert und ausdifferenziert.

Ideate (Ideen generieren)

Nun ging es darum, aus den bisherigen Ergebnissen möglichst viele neue Ideen für das "Lernen der Zukunft im Konzern" zu generieren. Bewusst wurde hier ein "Out-of-the-box"-Denken provoziert, um nicht nur kleine Verbesserungen zu erhalten, sondern auch große und innovative Ideen.

Prototype (Prototyp erstellen)

Nach der Auswahl der vielversprechendsten Ideen wurde versucht, einen möglichst realistischen Prototypen für jede Idee zu erstellen. Hier waren alle Möglichkeiten bewusst offengehalten: Basteln, zeichnen, ein Lego-Modell konstruieren, ein Service-Rollenspiel einstudieren, einen Prototyp einer Lern-App fürs Handy erstellen – jeder Teilnehmer konnte auf seine Art kreativ werden.

Test (testen)

Die Testphase war zweistufig – einerseits präsentierten alle Teilnehmer ihre Ideen in einem dreiminütigen Pitch den anderen. Nach der Auswahl der besten zehn Ideen wurden diese dann mit den Interviewpartnern aus der Phase "Observe" durchgesprochen. Mit dem Feedback aus den Pitches und den Interviews verbesserte das Projektteam anschließend die Prototypen und erprobte diese.

Prototypen werden mittels Business Model Canvas verglichen

In weiteren Workshops wurden dann die überarbeiteten Prototypen mit dem Business Model Canvas aus den bekannten Perspektiven (Key Partners, Key Activities, Key Resources, Value Proposition, Customer Relationships, Channels, Customer Segments, Cost Structure und Revenue Stream) beleuchtet. Dies führte zu einer validen Entscheidungsgrundlage für die Umsetzung der Ideen im Unternehmen.

Daraus resultierten dann Initiativen, wie die sogenannten "Lern-Nuggets" (situatives und individuelles Lernen kleinerer Lerninhalte auch von unterwegs, um so beispielsweise den Arbeitsweg zu nutzen), über "Learn-Journeys" (individuelle Lernpfade, die sich je nach Situation, Lernerfolg und Lernbedarf stetig anpassen), bis hin zu "Learn-Circles" (auf Working Out Loud basierende Gruppen, die zwölf Wochen lang mit einem Aufwand von je eine Stunde an ihrer eigenen Lernperspektive arbeiten und diese mit dem Feedback der Teilnehmer anpassen).

2. Scrum und Kanban: HR Acceptance Initiative bei einem der größten bayerischen Energieversorger

Die knapp 100 Mitarbeiter des Personalbereiches bei einem der größten bayerischen Energieversorger stand vor einem Problem: Niemand schien so recht zu wissen, was der Personalbereich für jeden einzelnen der Konzernmitarbeiter leistet, welche Neuerungen es gibt und wen man ansprechen kann, wenn ein HR-relevantes Problem auftritt. Also wurde die Idee der "HR Acceptance" geboren – ein Programm, das es ermöglichen sollte, genau dieses Problem zu lösen. Über einen OKR-Prozess (Objectives & Key Results) wurde zunächst eine gemeinsame Strategie erarbeitet, die in den verschiedenen Abteilungen (wie OE, Legal, PD, Recruiting) natürlich individuelle Ausprägungen hatte, aber gemeinschaftlich auf ein einjähriges Zielbild ausgerichtet war.

Team leitet aus User Stories Tätigkeiten ab

Dann ging es an die Umsetzung. Neben der Ausbildung je eines Mitarbeiters aus jedem Team zum Product Owner und Scrum Master, wurden die Product Owner aufgefordert, einen Backlog mit Anforderungen (User Stories) zu erstellen, um die strategischen OKR zum Leben zu erwecken und diesen mit den anderen Backlogs abzugleichen. Das Team setzte sich dann zum Sprint Planning zusammen und erarbeitete aus den User Stories abgeleitete Tätigkeiten. Diese reichten von "Personal-News aktuell im Intranet" (individualisierbar als Stream à la Facebook), über "Der Personalbereich stellt sich im Video vor" (ein Videoportal mit Interviews und Vorstellungen von Personen und Themen) und einer "Personal-Roadshow durchs Unternehmen" (Events), bis hin zu einem "Personal-Mitarbeiter-Finder", der zusammen mit der IT fürs Firmenhandy entwickelt wurde.

Visualisierung der Arbeitsschritte auf einem Kanban-Board

Als Sprint-Rhythmus hatte man sich auf eine Dauer von einer Woche alle zwei Monate geeinigt, damit das Tagesgeschäft nicht beeinträchtigt wird. Die Tätigkeiten innerhalb eines Teams im Sprint wiederum wurden mit einem Kanban-Board verwaltet, das in die Arbeitsschritte "Sprint-Backlog", "To Do", "Konzeption", "Umsetzung", "Freigabe", "Check" und "Done" unterteilt war. Über ein tägliches Standup, in dem das Team aktuelle Probleme und den Fortschritt der Tätigkeiten reflektierte, wurde sichergestellt, dass jeder auf dem aktuellen Stand über den Fortschritt war und die Tätigkeiten auch alle rechtzeitig fertiggestellt werden konnten.

Zudem war über das Kanban-Board jederzeit für alle (auch außerhalb des Teams) sichtbar, wer an welchen Themen arbeitet.

3. Zielmanagement mit OKR bei einem der größten bayerischen Energieversorger

Im knapp 100 Mitarbeiter großen Personalbereich bei einem der größten bayerischen Energieversorger gab es das Problem, dass die meist von den Führungskräften vorgegebenen Ziele unzureichend verfolgt wurden und der Koordinierungsaufwand immer größer wurde. Synergien wurden schlecht genutzt, es gab viele konkurrierende Ziele und auch der Fokus war aufgrund der zahlreichen Initiativen nicht vorhanden. So arbeiteten zwar viele Leute an vielen Themen – am Ende gab es aber zu wenige verwertbare Ergebnisse, die das Unternehmen wirklich vorangebracht hätten. (Alles zu Definition, Ablauf sowie Vor- und Nachteilen der OKR-Methode erfahren Sie hier.)

Also wurde klar: Es brauchte einen neuen Zielmanagement-Prozess, der sowohl mehr auf Eigenverantwortung und Selbstorganisation setzt – zudem aber auch den dringend benötigten Fokus mit maximaler Transparenz herstellt.

Nachdem sich die Teilnehmer in einem "Deepdive" ausführlichen mit der OKR-Methode auseinandergesetzt hatten, ging es an die Gestaltung des Startpunkts für den OKR-Prozess. Zunächst wurden zwölf OKR-Master ausgebildet, die als Teilzeitrolle den Prozess führen und auch sämtliche Workshops (wie OKR Planning, Weekly, OKR Review und die OKR Retrospektive) der einzelnen Teams begleiten sollten.

Beispiele für Vision, Moals, Objective und Key Results

Auf der Führungsebene fand anschließend der erste Workshop zu den "Moals" statt. "Moals" sind Midterm Goals, also eine Vision des Personalbereichs für ein Jahr. Dabei verbinden die Moals die Vision mit den OKR.

Vision:

Menschen verbinden mit Energie eine lebenswerte Zukunft.

Moals:

  • Wir haben uns intern und extern gut vernetzt.
  • Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber, weil wir einen Sinn hinter dem vermitteln, was wir tun – Mitarbeiter und potenzielle Mitarbeiter begeistern sich für unseren authentischen und nachhaltigen Ansatz.
  • Wir haben allen Mitarbeitern Freiräume geschaffen, damit unsere Mitarbeiter die Möglichkeiten zur Kollaboration ortsunabhängig nutzen können.

Es wurde zudem entschieden, keine bereichsübergreifenden OKR festzulegen, sondern die OKR direkt in den Teams erarbeiten zu lassen.

So gab es beispielsweise im "Team Personalmarketing" Ziele wie die folgenden:

  • Objective: Wir stärken unser Employer Branding wesentlich.
  • Key Result 1: In mindestens zehn Artikeln in sozialen Medien und Blogs berichten wir über unsere positive Arbeitskultur und erreichen damit ein Rating von 80 Prozent beim Leser.
  • Key Result 2: Unsere Fluktuation sinkt um zehn Prozent.
  • Key Result 3: Unsere Kununu-Bewertung steigt um 15 Prozent.

Dieses OKR zahlt zum Beispiel direkt auf das Moal "Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber [...]" ein.

Anschließend setzte sich das Team zusammen und leitete daraus Aktivitäten und Initiativen ab, mit denen diese Ziele erreicht werden sollten. Wöchentlich gab es nun ein Weekly, in welchem in 15 Minuten im Team diskutiert wurde, was zu tun ist, um die Ziele am Ende zu erreichen. Am Ende des dreimonatigen Zyklus fand ein OKR Review auf Teamebene statt, in dem alle OKR ausführlich besprochen und daraus abgeleitet wurde, was im Prozess verbessert werden kann. In der abschließenden OKR Retrospektive arbeiteten die Teams dann an der Verbesserung der Zusammenarbeit.

Dies wurde analog in allen Teams durchgeführt. Im Anschluss diskutierte der Führungskreis, ob man die Moals für den nächsten Zyklus gegebenenfalls anpassen sollte. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine hohe intrinsische Energie, mittels derer nahezu alle eingangs erwähnten Herausforderungen gelöst werden konnten.