"Startup-Kultur darf nicht auf eine Tischtennisplatte beschränkt sein"
Haufe Online-Redaktion: Deutsche Großunternehmen wie Telekom oder Siemens haben eigene Inkubatoren für Gründer entwickelt, um neue Impulse ins Unternehmen zu holen. Wie können kleinere Firmen, die nicht diese Ressourcen haben, Gründergeist in die eigenen Reihen holen?
Jan Küster: Diese können zum einen extern nach jungen Firmen suchen, die zum eigenen Unternehmen passen – entweder komplementär oder disruptiv. Sprich: Das Startup kann den eigenen Marktanteil mit einer innovativeren Lösung angreifen. Zum anderen können sie intern Startup-Fähigkeiten entwickeln. Dazu sollten sie Techniken wie "Sprints", "Design Thinking" und "Lean Startup" erlernen. Eine lehrreiche Umsetzung bieten wir in einem Workshop an: Ein abteilungsübergreifendes Team bekommt drei Tage Zeit und folgende Aufgabe: "Du bist gefeuert, bekommst aber Kapital – nun werde die stärkste Konkurrenz deines Arbeitgebers." Im Workshop entwickeln wir das neue Geschäftsmodell in Form einer Pitch-Präsentation. Hieraus leitet die Geschäftsführung umsetzbare Schritte ab, um sich aus eigenen Impulsen weiter zu entwickeln.
Haufe Online-Redaktion: Welche Formen der Zusammenarbeit mit Startups bieten sich an?
Küster: Es gibt vier Ziele für die Integration des eigenen Unternehmens in der Gründerszene. Das erste ist die Sichtbarkeit der eigenen Marke im Startup-Umfeld. Das ist für das eigene Branding als Arbeitgeber relevant und wichtig, um aktuelle Innovations-Themen kennenzulernen. Es ist ein budgetschonender Ansatz. Das Unternehmen kann beispielsweise als Gastgeber eines Gründertreffens in der Region fungieren. Bier und Pizza reichen schon aus, um den Dialog zu starten. Das zweite ist der Innovations-Import. Gründer haben Prototypen, die den Marktzugang benötigen. Das bietet Chancen für eine konstruktive Zusammenarbeit, denn das Startup bringt die Innovation, das reifere Unternehmen den Markt – eine perfekte Synergie.
Haufe Online-Redaktion: Und die Ziele drei und vier?
Küster: Das dritte ist ein klassisches Corporate Investment. Ein mittelständisches Unternehmen kann als strategischer Investor einsteigen und eine aktive Rolle übernehmen. Märkte, die vor einem kompletten Umbruch stehen, sind besonders geeignet. So könnte sich beispielsweise ein Hersteller von Plastikteilen im Spritzgussverfahren mit Startups im Drei-D-Druck beschäftigen. Das vierte Ziel lautet Mandanten-Gewinnung. Absolut jedes Unternehmen kann nachhaltig belastbare Geschäftsbeziehungen mit vielversprechenden Startups aufnehmen. Ein schönes Beispiel ist der Künstler David Choe, der 2005 die Büros von Facebook verschönerte und dafür mit einem sehr kleinen Aktienpaket bezahlt wurde. Das war beim Börsengang dann 200 Millionen US-Dollar wert.
Haufe Online-Redaktion: Was können traditionelle Unternehmen von Startups lernen – und umgekehrt?
Küster: Startups haben den Vorteil, in einer Zeit zu wachsen, in der sich die Regeln und Kosten für Marketing, Produkt-Design und Unternehmensführung stark verändert haben. Gerade in der Mitarbeitergewinnung verfügen Startups über den Vorteil, sehr viel Verantwortung zu teilen und somit auch Berufseinsteigern viel Verantwortung zu geben. Für Mitarbeiterführung und Kommunikation stehen heute digitale Werkzeuge und Kanäle zur Verfügung, die es vor zehn Jahren in dieser Form nicht gab. Zügige Positionswechsel bringen ständig neue Impulse, zudem gibt es ein gutes Verständnis der Anforderungen zwischen den Abteilungen, was die klassische Silo-Denkweise verhindert. Wie so etwas funktioniert, kann das etablierte Unternehmen bei Startups im Modell sehen. Das Startup profitiert von der Anschauung des erlebten Wachstums eines größeren Unternehmens. Der Aufbau einer zweiten Management-Ebene und Strategien der Marktexpansion bieten viel Potenzial für einen interessanten Austausch.
Haufe Online-Redaktion: Nach welchen Kriterien führen Sie Startups und traditionelle Unternehmen zusammen?
Küster: Zunächst analysieren wir zusammen mit dem Unternehmen, welche Geschäftsmodelle, Technologien und Märkte relevant sind. Dann schauen wir auf den gewünschten Reifegrad des Startups. Wenn viel gemeinsame Entwicklung gemacht werden soll, lohnen sich Investments in sehr junge Unternehmen. Wenn der Marktzugang zügig erfolgen soll, sehen wir uns reifere Startups an.
"Startups und traditionelle Unternehmen haben ein unterschiedliches Zeitverständnis: Das etablierte Unternehmen schaut auf den Kalender, das Startup schaut auf die Uhr."
Jan C. Küster, Organisator des Founders Fight Club
Wichtig ist eine realistische Einstellung und Erwartungshaltung des Unternehmens. Das gilt zum einen für die Risiko-Einschätzung, denn wenn das Unternehmen in junge Startups investiert, ist zwar der mögliche Gewinn, aber auch das Risiko groß. Zum anderen sollte eine Struktur für den Umgang mit Start-ups geschaffen werden. Gute Startups entwickeln sich schnell, daraus resultiert ein Unterschied im Zeitverständnis. Das etablierte Unternehmen schaut auf den Kalender und das Startup auf die Uhr.
Haufe Online-Redaktion: Können Sie ein erfolgreiches Beispiel nennen?
Küster: Mein Lieblingsbeispiel kommt aus Hessen. Hier hat ein Energieversorger bereits gute Arbeit in der Startup-Orientierung geleistet. Folgend hat es unser Event "Best of X – Rhein-Main" mit einem Sponsoring unterstützt. Als Preis für drei teilnehmende Startups gab es einen gemeinsamen Workshop, an dem auch Führungskräfte des Unternehmens teilnahmen. Beim gemeinsamen Lösen der Workshop-Aufgaben gab es dann den gewünschten Aha-Effekt: Ein Abteilungsleiter sah einen Anwendungsfall für die mobile Anwendung des Startups, den die Gründer selbst gar nicht gesehen hatten und der eine operative Kostensenkung verspricht. Dieses Projekt wird nun zusammen entwickelt und für die Markteinführung erprobt.
Haufe Online-Redaktion: Inwiefern ist die Zusammenarbeit mit Startups ein HR-Thema?
Küster: Das ist ein riesiges Thema. In vielen Unternehmen ist es aber noch nicht gut genug realisiert. Es gibt drei Punkte, die zu beachten sind: Der erste betrifft die Anwendung von Corporate Entrepreneurship. Wir arbeiten beispielsweise mit einem großen Versicherer zusammen. Der steht vor der Frage, wie er es handhabt, wenn intern ein Projekt umgesetzt werden soll und die Beteiligten andere Freiheiten benötigen. Momentan ist die einfachste Möglichkeit, das über ein Sabbatical zu regeln, was aber nicht sein müsste. HR muss schauen, wie das Unternehmen auf den Arbeitsmarkt der Zukunft ausgerichtet werden kann, wie Mitarbeitern Freiräume für eine professionelle Selbstverwirklichung eingeräumt werden und muss Guidelines für die Umsetzung erstellen. Der zweite Punkt ist die Kultur. Startup-Kultur darf nicht auf eine Tischtennisplatte und einen Kicker reduziert sein, sondern es geht prinzipiell darum, in kleinen Gruppen mit viel Freiraum zu arbeiten und die typischen nine-to-five-Strukturen aufzulösen.
Startup-Kultur heißt in kleinen Gruppen mit viel Freiraum zu arbeiten und Nine-to-five-Strukturen aufzulösen.
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Haufe-Online-Redaktion: Und Punkt Nummer drei?
Küster: Der dritte ist eher ein Zukunftsthema. In der Startup-Welt befassen wir uns viel mit Technologien wie Machine Learning oder Big Data. Es gibt meiner Meinung nach enorm viel Raum für disruptive Lösungen für den HR-Bereich. Schon jetzt erfassen Unternehmen unheimlich viele Daten. Sie könnten einen lernenden Algorithmus gestalten, der es ihnen ermöglicht, die Personalentwicklung darauf abzustimmen. Ich sehe aber noch wenige Umsetzungen. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Startups. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit jemanden, der aus der Neuropsychologie kommt und für Piloten ein Personalentwicklungs-Tool entwickelt hat, das auf einer Einstufung mittels eines Machine-Learning-basierten Algorithmus aufbaut. Auch auf der Zukunft Personal haben wir einige interessante Projekte gesehen, beispielsweise Chatbots, die ein erstes Recruiting-Gespräch abbilden. Da ist viel Potenzial vorhanden, aber im HR-Bereich ist häufig noch nicht der Wille zur Umsetzung gegeben.
Jan Küster ist ist Organisator des "Founders Fight Club" in München.
Das Interview führte Daniela Furkel, Redaktion Personal.
Zum Weiterlesen:
Mehr dazu, was Unternehmen von Startups lernen können, lesen Sie in Ausgabe 01/2016 des Personalmagazins ( hier können Sie die Ausgabe als App herunterladen).
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