Was Digital Leadership ausmacht


Merkmale von Digital Leadership

Digitale Transformation ist mehr als die Einführung neuer Technologien oder Geschäftsmodelle. Auch Führungskräfte müssen ihre Rolle überdenken und neu definieren. Wie muss Führung im Digitalzeitalter gestaltet werden? Professor Thorsten Petry erläutert die Merkmale von Digital Leadership.

Sicher kennen Sie den Begriff VUCA. Das Akronym setzt sich zusammen aus den vier Begriffen Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Im Digitalzeitalter wirken oft alle vier Kräfte gleichzeitig auf die Unternehmen ein. Eine solche VUCA-Umwelt bedeutet insbesondere, dass Geschäftsentwicklungen immer weniger vorhersehbar und dementsprechend weniger planbar werden. Deshalb müssen in der Vergangenheit erfolgreiche, auf detaillierter Analyse, langfristiger Planung und exakter Planumsetzung basierende Führungsansätze überdacht werden. Eine VUCA-Umwelt erfordert ein flexibles Vorgehen und ein schnelles (Re-)Agieren. In einem Zeitalter der Beschleunigung müssen Manager häufig mit mehreren Optionen "jonglieren" und "auf Sicht fahren". Ein pragmatisches Ausprobieren und Lernen ist oft – aber natürlich nicht immer – erfolgreicher als detaillierte Analyse und Planung.

Merkmale von Digital Leadership: Agilität

Führung verlangt demnach immer häufiger danach, zwar eine grundsätzliche Richtung vorzugeben, aber in Szenarien zu denken, sich mehrere Optionen offenzuhalten, schwache Signale frühzeitig aufzunehmen, mit Lösungsansätzen zu experimentieren und sehr schnell aus den gemachten Erfahrungen – dies beinhaltet ganz bewusst auch Fehler – zu lernen. All dies lasst sich unter dem Oberbegriff Agilität bzw. agile Führung subsumieren. Diese Agilität bildet das erste Charakteristikum einer adäquaten Führung im VUCA-Umfeld des Digitalzeitalters.

Partizipation

Um in einer VUCA-Umwelt agil führen zu können, ist die Erkenntnis notwendig, dass Unternehmenslenker und Führungskräfte selten allwissend sind. Ein komplexes System in einer volatilen, unsicheren, komplexen und ambivalenten Umwelt vollständig kontrollieren und zentral führen zu wollen, ist vermessen. Einzelne Mitarbeiter als Experten in ihrem Gebiet haben häufig mehr Wissen als die Führungskraft und Innovationen entstehen oft beim selbstgesteuerten Austausch auf Augenhohe in crossfunktionalen Teams. Dementsprechend muss Führung stärker verteilt und die gesamte individuelle und kollektive Intelligenz im Unternehmen genutzt werden (Partizipation). Mitarbeiter sollten miteinbezogen werden, was in der Führungsforschung auch mit verschiedenen Blickwinkeln unter Shared Leadership, Servant Leadership, Emergent Leadership, New Leadership oder auch demokratische Führung diskutiert wird.

Aufgabe der Führungskräfte ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter entfalten können. Im Sinne einer transformationalen Führung sollten Manager die Rahmenbedingung dafür schaffen, dass Mitarbeiter ihre intrinsische Motivation und ihre spezifischen Fähigkeiten einbringen können und wollen.

Ein wesentlicher Aspekt von partizipativer Führung ist die Selbstorganisation und -steuerung von (Experten-)Teams und Communities. Führungskräfte können in einer VUCA-Umwelt nicht mehr alles (fremd-)steuern. Sonst leidet die Qualität und/oder die Entscheidungsgeschwindigkeit ist zu gering. Die Detailsteuerung muss daher zunehmend der sozialen Selbststeuerung in Teams bzw. Communities überlassen werden.

Vernetzung

Eine wesentliche Voraussetzung für mehr Partizipation bzw. Selbststeuerung ist eine ausgeprägte Vernetzung. Daher muss Führung in einer VUCA-Umwelt die Bildung von unternehmensexternen und -internen Netzwerken und die abteilungs-, regionen- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit unterstützen. Der einzelne kluge Kopf wird Teil von Kooperationsnetzen.

Offenheit

Dafür wiederum ist eine offene Führung angebracht. Im Digitalzeitalter sollte eine Führungskraft offen kommunizieren, offenes Feedback geben und auch selbst offen für Kritik sein. Dies ist ein Kernergebnis einer Studie von 156 Führungskräften und Personalern deutschsprachiger Unternehmen. Ziel der Befragung war es, zu ermitteln, welche konkreten Erwartungen an (gute) Führungskräfte sich im Zeitalter der Digitalen (R)Evolution ergeben und inwieweit diese Erwartungen aktuell erfüllt werden. Im Rahmen der Erhebung zeigt sich, dass der Offenheit eine exponierte Stellung zukommt. Leider gibt es aktuell keine (12 Prozent Nennungen) oder nur wenige (78 Prozent) Führungskräfte, die diese Anforderungen auch erfüllen. Wenig verwunderlich wird die wichtigste Erwartung der offenen Kommunikation auch als häufigster Mangel angesehen. Es besteht scheinbar noch ein Einstellungs- und/oder Kompetenzmangel in Bezug auf das Idealbild einer offenen Führung.

Wer über Jahre oder Jahrzehnte gelernt hat, dass Wissen Macht bedeutet, dass Vertrauen gut, aber Kontrolle besser ist und dass wichtige Entscheidungen im stillen Kämmerlein getroffen werden, für den ist eine Umstellung auf eine vernetzte, offene und partizipative Führung sicherlich sehr schwer. Diese erfordert Zeit und eine entsprechende Unterstützung bzw. Begleitung. Vor diesem Hintergrund kann es auch nicht verwundern, dass in einer Studie von Hays das Silo- und Konkurrenzdenken als häufigster Grund genannt wurde, an dem Unternehmen beim digitalen Wandel scheitern.

Vertrauen

Wenn Führung vernetzter, offener, partizipativer und agiler werden soll, dann setzt dies schließlich voraus, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen. Sowohl im Hinblick auf deren Motivation (Wollen) als auch deren Kompetenzen (Können). Wie Luhmann schon 1968 herausstellte, ist Vertrauen ein zentraler Mechanismus zur Komplexitätsreduktion.

Führung im Digitalzeitalter: Das VOPA+ Modell

Die fünf Charakteristika Agilität, Partizipation, Offenheit, Vernetzung plus Vertrauen bilden das sogenannte VOPA+ Modell. Wie soeben erläutert, erfordern es die Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUCA) der Digital Economy, Informationen offenzulegen und nicht nur Daten und Maschinen, sondern auch Wissens- bzw. Intelligenzträger zu vernetzen, die verfügbare Erfahrung und (kollektive) Intelligenz zu nutzen und agil auf Veränderungen zu reagieren. Eine Vertrauenskultur ist die notwendige Basis hierfür, denn ohne sie ist Offenheit und damit dann auch Vernetzung, Partizipation und Agilität nicht möglich.

Ambidextrie

Zwar muss sich Führung aufgrund der dargestellten Charakteristika des Digitalzeitalters in vielen Fällen in Richtung von VOPA+ ändern, allerdings ist es genauso wichtig, den Bogen nicht zu überspannen. Eine erfolgreiche Führungskraft bzw. ein erfolgreiches Unternehmen im digitalen Zeitalter benötigt beides: Einerseits bewahrte, auf Effizienz und Exzellenz ausgerichtete Managementansätze ("linke Hand") und andererseits Ansätze, die stärker auf Geschwindigkeit und Innovation ausgerichtet sind ("rechte Hand"). In der Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang auch von "Ambidexterity" bzw. Beidhändigkeit gesprochen. Digital Leadership muss beidhändig sein.


Prof. Dr. Thorsten Petry ist Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensführung im Studiengang Media Management an der Hochschule Rhein-Main. Als Berater, Coach, Referent und Trainer hilft er Unternehmen bei der Bewältigung der Managementherausforderungen des Digitalzeitalters.


Buchtipp:

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der 2. Auflage des Buchs "Digital Leadership. Erfolgreich Führen in Zeiten der Digital Economy", das von Professor Dr. Thorsten Petry herausgegeben wird. Darin stellen renommierte Experten aus Unternehmen, Beratung und Wissenschaft neue Managementansätze vor und sensibilisieren für Herausforderungen der Unternehmens- und Personalführung im Digitalzeitalter. Den Titel können Sie im Haufe-Shop erwerben.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Digitalisierung, Agilität