Shared Leadership heißt nicht Laissez-faire
Die Arbeitswelt 4.0 ist geprägt von heterogenen Formen der Zusammenarbeit. So lassen sich strukturelle, zeitliche und örtliche Flexibilisierungsangebote wie virtuelle und fluide Teams, mobiles Arbeiten oder auch unterschiedliche Arbeitszeitmodelle beobachten. Welche Auswirkungen hat dies auf die Führung? Wie führt man in einer Arbeitswelt, die zunehmend von Ambiguität, Volatilität und Unsicherheit geprägt ist? Diese Frage stellen sich sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler. Diskussionen um eine Führung 4.0 gehen von einer Demokratisierung der Führung, über eine geteilte Führung bis hin zu einer „Leaderless Organization“, also einer Abschaffung von Führung.
Führung 4.0 als Balanceakt
Unsere Studien am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen zeigen: Führung wird in der Arbeitswelt 4.0 ein sogar noch wichtigerer Erfolgsfaktor für Unternehmensleistung, Engagement und Gesundheit der Mitarbeitenden als bereits in traditionellen Organisationen. Doch die Bandbreite der Führungsstile wird entsprechend der steigenden Komplexität, Vielfalt der Anforderungen und der erhöhten Geschwindigkeit deutlich erhöht. Gleichzeitig zeigt sich moderne Führung als eine typische Kombination von zwei Führungsstilen, und zwar zum einen in Form von Inspiration und Sinnstiftung, sowie zum anderen in Form von Empowerment und Förderung von (teilweiser) Selbstführung. Letzteres wird in seiner stärksten Form als Shared Leadership – geteilte Führung – bezeichnet.
Shared Leadership vs. Laissez-faire
Geteilte Führung beinhaltet, dass Führungsaufgaben und -verantwortlichkeiten von Teams selbst getragen und flexibel auf unterschiedliche Teammitglieder „aufgeteilt“ werden. Diese Form der Führung gehört zu einer der wirkungsvollsten Formen moderner Führung, die es in der neuen Arbeitswelt explizit zu fördern und entwickeln gilt.
Loslassen und die Weitergabe der Führung an Teams zeigt allerdings eine Nähe zu der kontraproduktivsten Form der Führung, die traditionell bekannt ist und in der neuen Arbeitswelt eine noch verheerendere Wirkung zeigt: Laissez-faire.
#SharedLeadership: Loslassen heißt nicht Alleinlassen.
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Laissez-faire beschreibt eine Nicht-Führung trotz Notwendigkeit und Verantwortlichkeit der Führung. Während Laissez-faire in einer Form der Führungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit resultiert, wird Teammitgliedern durch die geteilte Führung bewusst Handlungsspielraum und Eigenverantwortung übertragen.
Warum Shared Leadership Empowerment braucht
Shared Leadership und Loslassen kann verwechselt werden mit Nichtführung, sich raushalten oder anderen Formen der Nichtführung. Eine produktive Selbstführung erfordert jedoch eine aktive Förderung der Selbstführung in Form einer empowernden Führung. Wenn die Führung hingegen passiv ist, sich nicht für ihr Team interessiert oder indifferent gegenüber Leistung und Mitarbeitenden ist, treten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Negativwirkungen von Laissez-faire auf. Diese Gefahr wird gerade in den modernen Arbeitsformen erhöht, in denen Face-to-Face-Kontakte abnehmen, Hierarchien reduziert werden und eher in fluiden Teams und weniger in festen Abteilungsstrukturen gearbeitet wird.
Negative Folgen von Laissez-faire-Führung
In einer Studie, die im Rahmen unseres Unternehmens-Konsortiums „Pioneering Future Leadership and Work“ in Kooperation mit der Oberwaid AG entstanden ist, sind wir unter anderem der Frage nachgegangen, wie sich die Führungsformen im Rahmen der Arbeitswelt 4.0 verändern und insbesondere, wie sich die Gefahr von Laissez-faire reduzieren lässt. Die Studie basiert auf einer Befragung von 10.416 Beschäftigten aus 87 Unternehmen verschiedener Branchen und Größen.
Die Ergebnisse bestätigen zunächst, dass Laissez-faire-Führung zu reduzierter Leistung und Gesundheitseinbußen bei Beschäftigten führt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen modernen oder eher klassischen Arbeitskontext handelt. Konkret zeigen sich die destruktiven Wirkungen von Laissez-faire in Form von erhöhter emotionaler Erschöpfung, schlechterer Gesundheit, erhöhter Kündigungsabsicht und abnehmender individueller Leistungsfähigkeit.
Laissez-faire-Führung führt zu reduzierter Leistung und Gesundheitseinbußen bei Beschäftigten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen modernen oder eher klassischen Arbeitskontext handelt.
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Empirisch zeigt sich außerdem, dass insbesondere virtuelle und fluide Arbeitskontexte die Wahrscheinlichkeit von Laissez-faire um 32 Prozent bzw. 71 Prozent erhöhen. Dies erklärt auch zumindest anteilig, warum es gerade bei diesen Arbeitsformen häufig zu einer Beeinträchtigung von Leistungs- und Gesundheitsfaktoren kommt. So zeigt sich zum Beispiel insbesondere in fluiden Kontexten eine Reduktion der Leistung um elf Prozent sowie eine Verdopplung der Burn-out-Ausprägung.
Arbeitswelt 4.0 erhöht Gefahr von Laissez-faire
Dies lässt sich dadurch erklären, dass sich Führungskräfte und Mitarbeitende in derartigen Arbeitskontexten nicht mehr so häufig sehen. Somit haben Führungskräfte weniger Gelegenheit zur direkten Interaktion mit ihren Mitarbeitenden und müssen andere Formen der Führung nutzen, die ihnen jedoch oft nicht vertraut oder angenehm sind. Als Konsequenz führen sie oft kaum mehr merklich, stark reduziert oder vor allem dann, wenn Fehler oder Missstände auftreten. Diese eher reaktive oder sogar passiv wirkende Haltung kann von den Mitarbeitenden als eine Form der Nichtführung erlebt werden.
Virtuelle und fluide Arbeitskontexte erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Laissez-faire um 32 Prozent bzw. 71 Prozent.
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Außerdem zeigen die Daten aus der Praxis, dass Mitarbeiter mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen in der Arbeitswelt 4.0 besonders gut arbeiten und ihr Potenzial verstärkt zum Tragen kommt. Insbesondere extrovertierte, teamorientierte Menschen und Personen, die offen sind für neue Erfahrungen, zeigen im Kontext moderner Arbeitsformen erhöhte Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Allerdings werden auch sie durch Laissez-faire-Führung beeinträchtigt. Demnach verlieren selbst diese Persönlichkeitsmerkmale bei einer Nichtführung ihre gesundheitsschützenden Effekte.
Laissez-faire bedeutet nicht nur ein Nichthandeln, -entscheiden oder -verantworten, sondern auch fehlende soziale Beziehung, fehlendes Feedback und geringe Wertschätzung.
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Laissez-faire bedeutet nicht nur ein Nichthandeln, -entscheiden oder -verantworten, sondern auch fehlende soziale Beziehung, fehlendes Feedback und geringe Wertschätzung. In Konsequenz empfinden Mitarbeitende Laissez-faire nicht nur als mangelnde fachliche Führung, sondern auch als persönliche Vernachlässigung oder Beziehungsbruch. Und diese soziale Deprivation scheint bei virtuellen Arbeitsformen noch verstärkt durchzuschlagen.
Positive Effekte von Shared Leadership
Negative Effekte von Laissez-faire können durch das Team ausgeglichen werden, und zwar durch Shared Leadership, das heißt, wenn Mitarbeitende selbst Führungsaufgaben im Team aufteilen. Im Gegensatz zu Laissez-faire fällt die Führung hier nicht weg, sondern erfolgt im Team selbst. Idealerweise wird Shared Leadership durch eine aktive empowernde Führung unterstützt.
Shared Leadership als Reaktion auf Laissez-faire
Empirisch lassen sich zunächst generell positive Effekte von Shared Leadership auf Gesundheit und Leistung der Mitarbeitenden zeigen (zum Beispiel Reduktion der Burn-out-Gefahr um 34 Prozent sowie Leistungssteigerung um neun Prozent). Ferner zeigen die Daten, dass Shared Leadership auch die negativen Effekte von Laissez-faire abpuffern kann. Negative Wirkungen von Nichtführung werden also abgeschwächt, wenn im Team einzelne Mitarbeitende Führungsaufgaben übernehmen. Im Kontext von Laissez-faire-Führung entsteht Shared Leadership allerdings nicht als Ergebnis eines bewussten Empowerment, sondern vielmehr scheinen Mitarbeitende selbst Initiative zu ergreifen und auf diese Weise den Schaden der Nichtführung zu reduzieren.
Shared Leadership durch aktives Empowerment
Gezielt gefördert wird Shared Leadership hingegen durch ein Zusammenspiel einer empowernden Kultur und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen. So zeigt sich empirisch, dass insbesondere in fluiden und virtuellen Arbeitskontexten Shared Leadership dann entsteht, wenn eine unternehmerische Kultur im Unternehmen vorherrscht (+29 Prozent) und wenn Mitarbeitende kommunikativ sind (+31 Prozent), gut mit Stress umgehen können (+23 Prozent) und gerne an mehreren Dingen gleichzeitig arbeiten (+35 Prozent).
Shared Leadership wird gezielt gefördert durch ein Zusammenspiel einer empowernden Kultur und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen.
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Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass gerade in der Arbeitswelt 4.0, wo durch flexible Arbeits- und Organisationsformen die Führungsbeziehungen aufgebrochen und bisherige Modelle infrage gestellt werden, die Gefahr von Laissez-faire-Führung steigt. Daher sind gerade hier die kontraproduktiven Wirkungen für Leistung und Gesundheit der Mitarbeitenden nicht zu unterschätzen. Während Laissez-faire zu vermeiden ist, wird ein Loslassen und das Übertragen von Freiräumen in einer modernen Arbeitswelt unausweichlich sein – und zwar als aktives Empowerment, bei dem Mitarbeitende ermuntert werden, Führung im Team zu teilen.
Mehr zu diesem Thema lesen Sie im Personalmagazin, Ausgabe 12/2018, die am 20. November erscheint.
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