"Infektionsschutz ist Personaleinsatzplanung unter neuen Bedingungen"
Haufe Online-Redaktion: Die Arbeit in den Betrieben muss mit neuen Abstands- und Hygieneregeln organisiert werden. Wie wichtig ist Personaleinsatzplanung, wenn es um Infektionsschutz in den Betrieben geht?
Dr. Jörg Herbers: Der Infektionsschutz ist im Kern Personaleinsatzplanung, denn die Mitarbeiter müssen jetzt nach ganz neuen Kriterien eingeteilt werden. Hierzu sieht der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard des Arbeitsministeriums detaillierte Maßnahmen vor: Erstens sollen die Schichtpläne so erstellt werden, dass möglichst dieselben Personen in gemeinsamen Schichten arbeiten und dass die einzelnen Gruppen örtlich und zeitlich voneinander getrennt werden. Zweitens sollen Arbeitsbeginn und -ende nach Möglichkeit so gestaltet werden, dass Ballungen von Personen zum Beispiel in Umkleideräumen oder an der Zeiterfassung vermieden werden. Drittens sollen Pausenzeiten zeitlich entzerrt werden, um die Belegungsdichte in Pausenräumen zu verringern. Und viertens müssen Mitarbeiter, deren Präsenz vor Ort nötig ist, Distanzregeln einhalten.
Anforderungen an die Flexibiltät der Workforce-Management-Software
Haufe Online-Redaktion: Kann eine bestehende Workforce-Management-Software diese Vorgaben umsetzen? Oder brauchen die Unternehmen nun zusätzliche Anwendungen?
Herbers: Dabei kommt es darauf an, ob die Software flexibel ist und an die Anforderungen des Infektionsschutzes angepasst werden kann. Die nötige Flexibilität wird im Bereich der anspruchsvollen Lösungen zu finden sein. Aber auch dort ist nicht unbedingt sichergestellt, dass die Software das kann. Denn die Maßnahmen zum Infektionsschutz, zum Beispiel zeitliche und örtliche Simulationen von Teamstrukturen, erfordern gegebenenfalls auch Änderungen an den Datenmodellen und in der Logik hinter den Systemen. Das abzubilden beherrschen nur wenige Systeme. Ich rate aber davon ab, den Infektionsschutz in Excel oder einem anderen Tool umzusetzen, weil in diesem Fall eine mehrfache Datenhaltung nötig ist. Eine solche Schatten-IT ist auch unter Datenschutz-Aspekten problematisch.
Haufe Online-Redaktion: Wenn sich herausstellt, dass ein Mitarbeiter infiziert ist: Welche Möglichkeiten gibt es, im Unternehmen festzustellen, wer die Kontaktpersonen des Mitarbeiters waren?
Herbers: Wenn ich die Separationsmaßnahmen umgesetzt habe und die einzelnen Schichtgruppen klar voneinander getrennt habe, kann ich eigentlich davon ausgehen, dass die Teamkollegen die Kontaktpersonen sind und diese nach Hause in die Quarantäne schicken. Arbeitsorganisatorisch hat diese Vorgehensweise jedoch einige Nachteile: Zum einen ist nicht sichergestellt, dass die Teammitglieder nur untereinander Kontakt hatten. Zum anderen ist es innerhalb größerer Teams nicht gesagt, dass jeder engen Kontakt zu allen anderen hatte. Deshalb wäre es wünschenswert, eine Lösung zu haben, die spezifischer ist und tatsächlich erfasst, welche Kontakte es tatsächlich gegeben hat.
Haufe Online-Redaktion: Das wäre dann zum Beispiel eine Corona-Tracing-App, wie sie zum Beispiel im Zuge der PEPP-PT-Initiative entwickelt werden?
Herbers: Solche Lösungen, bei denen sich Handys gegenseitig erfassen, sind auch für den betrieblichen Einsatz denkbar. Sie haben allerdings das Problem, dass diese Geräte die Daten komplett anonym erfassen. Unter Privacy-Gesichtspunkten im öffentlichen Raum besteht die Anforderung, dass die Handy-Apps ihren Besitzer nicht kennen. Was im privaten Raum extrem wichtig ist, ist ein Problem, wenn ein Betrieb Infektionsschutz umsetzen muss. Denn das Unternehmen kann bei einem Infektionsfall die Mitarbeiter, die mit der Person in Kontakt waren, nicht identifizieren und diese auch nicht ansprechen und nach Hause schicken. Deshalb benötigen Unternehmen keine öffentliche App, sondern eine betriebliche, die in einem Infektionsfall eine Auflösung ermöglicht, wer mit dem Mitarbeiter in Kontakt stand.
Corona-Tracer wie einen Mitarbeiterausweis tragen
Haufe Online-Redaktion: Solche Apps sind sicherlich umsetzbar?
Herbers: Ja, aber dann müsste das Unternehmen entweder an alle Mitarbeiter Smartphones ausgeben, auf denen die App installiert ist, oder es müsste sie bitten, die App auf ihren privaten Handys zu installieren. Das ist schwierig, weil sicherlich nicht alle Mitarbeiter dazu bereit sind. Zudem funkt die App nach Feierabend weiter und kann auch die privaten Kontakte erfassen. Eine Alternative sind Corona-Tracer – kleine Geräte, die die Beschäftigten wie einen Mitarbeiterausweis tragen können.
Haufe Online-Redaktion: Wie funktionieren diese?
Herbers: Die Funktionsweise ist ganz ähnlich wie die einer Handy-App. Ein Unterschied ist, dass die Geräte wartungsfrei sind. Sie haben eine integrierte Batterie, die bei einem achtstündigen Arbeitstag rund zwölf Monate hält. Wenn sich zwei Personen auf einen infektionsrelevanten Radius annähern, erfassen sie diesen Kontakt zunächst anonym. Der grundlegende Unterschied zur öffentlichen Smartphone-App ist jedoch: Tritt ein Infektionsfall auf, kann ausgelesen werden, welche Kontakte der infizierte Mitarbeiter in den vergangenen 14 Tagen tatsächlich hatte.
Nur im Infektionsfall wird die Anonymität aufgehoben
Haufe Online-Redaktion: Ist das datenschutzkonform?
Herbers: Es ist natürlich genau darauf zu achten, dass die Lösung dem Datenschutz und Privacy-Anforderungen gerecht wird. Deshalb erfassen die Corona-Tracer die Daten zunächst anonym. Solange es keinen Infektionsfall gibt, sehen sich die Geräte untereinander und identifizieren sich über eine Gerätekennung, ohne Personenbezug. Der Personenbezug ist isoliert an einer vertrauenswürdigen Stelle, zum Beispiel in der Personalabteilung, hinterlegt. Es ist wichtig, dass diese Information nur an dieser Stelle vorliegt. Tritt eine Infektion auf und informiert der Mitarbeiter seinen Arbeitgeber, darf dieser die Daten nur zum Zweck des Infektionsschutzes nutzen – nur zur Identifikation der Kontaktpersonen und zum Umsetzen der Quarantänemaßnahmen. Danach müssen die Daten vernichtet werden. Dass eine solche Verarbeitung personenbezogener Daten in Ordnung ist, hat der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit bestätigt. Denn die Betriebe müssen aus Gründen des Infektions- und Arbeitsschutzes entsprechende Maßnahmen einleiten.
Haufe Online-Redaktion: Wie kann sichergestellt werden, dass nur die Kontakte während der Arbeitszeit erfasst werden?
Herbers: Das ist der dritte große Unterschied zur Handy-App: Die Corona-Tracer haben zusätzlich zu den Kontakt-Sensoren Bewegungssensoren eingebaut, die erfassen, ob sie in Bewegung sind. Es genügen kleine Bewegungen, damit ein Corona-Tracer aufzeichnet. Wenn das Gerät nicht mehr bewegt wird, weil es entweder in der Firma oder zuhause abgelegt wird, schläft es nach fünf Minuten ein, sendet und empfängt nicht mehr. Das heißt, dass bei den privaten Kontakten nach Feierabend keine Aufzeichnung erfolgt.
Haufe Online-Redaktion: Wie hat sich die Nachfrage der Unternehmen nach Technikunterstützung für den Infektionsschutz von PEP-Software bis Corona-Tracern entwickelt?
Herbers: Bei den Corona-Tracern stellen wir ein sehr großes Interesse fest, auch bedingt durch die öffentliche Diskussion zu den Handy-Apps. Bei der Personaleinsatzplanung verzeichnen wir ebenfalls eine hohe Dynamik. Die Unternehmen, die schon vor der Corona-Pandemie eine PEP-Lösung eingeführt hatten, sind jetzt in Vorteil, weil sie die notwendigen Maßnahmen schneller umsetzen können. Diejenigen, die akut etwas machen müssen, benötigen eine schnelle und pragmatische Lösung. Für diese Unternehmen empfiehlt sich zum Beispiel eine Cloud-Lösung, die zeitnah einsatzfähig ist, oder spezielle Service-Angebote. Wir haben zu Beginn der Krise Unternehmen angeboten, für sie kostenlose Notfall-Schichtpläne zu bauen. Auch digitale Lösungen, über die Änderungen im Einsatzplan schnell kommuniziert werden können, sind derzeit stark nachgefragt. Das sind alles Sonderthemen, die eine Dynamik der besonderen Art in die Personalplanung der Unternehmen hineinbringen.
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