Haufe Online Redaktion: Mitarbeiter finden, fördern und halten ist die Kernaufgabe von HR schon seit Jahrzehnten. Was ist heute anders im Vergleich zu früher?
Marc Stoffel: Ganz einfach: Heute sind meist die Mitarbeiter diejenigen, die sich ein Unternehmen aussuchen. Unternehmen werden quasi gezwungen, sich Gedanken zu machen, was sie ihren Mitarbeitern bieten können: Employer Marketing ist das Stichwort. Sind die Mitarbeiter erst einmal da, geht es aber längst nicht mehr nur ums bloße Halten. Unternehmen sind gefordert, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leisten wollen und können. Mit gutem Talent Management steigt deshalb auch die Produktivität im Unternehmen – weil sie an den richtigen Dingen, mit der richtigen Energie und der richtigen Leidenschaft arbeiten.
Haufe Online Redaktion: Talent Management und Mittelstand gilt für viele als wenig vereinbar. Gibt es inzwischen gute Talent-Management-Konzepte im Mittelstand?
Stoffel: Die gibt es. Der Mittelstand hat es mit weniger Mitarbeitern, kleineren Teams und meist kürzeren Prozessen sogar noch ein wenig leichter mit dem Talent Management als Konzerne. Unsere Erfahrung zeigt: Viele Mittelständler binden ihre Mitarbeiter bei Zielvereinbarungen, Beurteilungen und auch bei Einstellungen bereits heute in das Personalmanagement ein. Sie sind gefordert, selbst Ziele zu setzen und ihre Aufgaben zu definieren.
Haufe Online Redaktion: Wie sollten Personaler, die bisher noch kein Konzept für das Talentmanagement im Unternehmen aufgestellt haben, nun im kommenden Jahr vorgehen?
Stoffel: Zu allererst sollte eine Identifikation der Problemstellen erfolgen: Wo fehlen Mitarbeiter? Wo fehlen bestimmte Qualifikationen? Welche Mitarbeiter und Kompetenzen brauchen wir in Zukunft? Erst wenn eine bedarfsgerechte Personalplanung steht, die eng mit der Unternehmensstrategie verknüpft ist, können entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Nur dann werden Kapazitätsgrenzen auch rechtzeitig erkannt, um dagegen steuern zu können. Ein zweiter Schritt wäre es, die Mitarbeiter in diesen Prozess einzubinden. Fordern Sie sie auf, ihre eigenen Kompetenzen sowie ihre Leistungs- und Entwicklungsziele zu durchdenken und zu definieren. Darauf aufbauend lässt sich ein genaues Profil erstellen, das die für die jeweilige Position geforderten Fähigkeiten realistisch abbildet.
Haufe Online Redaktion: Bisher verlaufen solche Prozesse eher "Top-Down"…
Stoffel: Das ist richtig. Diese Bottom-Up-Vorgehensweise ist noch wenig verbreitet. Werden Kompetenzen von oben vorgegeben und definiert, fallen dabei aber wichtige Fähigkeiten oft durchs Raster. Ich bin deshalb der Meinung: die gemeinsame Abschätzung der Kompetenzbedarfe durch Mitarbeiter führt langfristig zu besseren Ergebnissen als ausgeklügelte Planungsinstrumente.
Haufe Online Redaktion: Und was sollten Personaler, die bereits ein Konzept eingeführt haben, im kommenden Jahr als vorrangige Aufgabe im Talent Management betrachten?
Stoffel: Experten gehen davon aus, dass es in den nächsten zehn Jahren einen Markt für Vollbeschäftigung geben wird. Bevölkerungsstatistisch heißt das, dass 6,5 Millionen Menschen in Rente gehen, die nicht ersetzt werden können. Es wird also ein Loch von zwei bis fünf Millionen Arbeitnehmern entstehen. Der Trendforscher Sven Gábor Jánszky warnt sogar davor, dass Unternehmen über konventionelle Strategien à la Stellenanzeige keine einzige Bewerbungen mehr bekommen werden. Personaler sollten also schnellstmöglich überprüfen, ob ihr Talent-Management-Konzept dieser Arbeitsmarktsituation gerecht wird. Sowohl, was das externe Employer Marketing betrifft, als auch was die internen HR-Strategien und -Prozesse angeht.
Marc Stoffel ist CEO der Haufe-Umantis AG. Er wurde im Mai 2013 von den Mitarbeitern demokratisch für diese Funktion gewählt.