KI durchbricht die Männer-Monotonie in der IT
Die IT-Branche – und Tech-Jobs im Allgemeinen – gelten nach wie vor als Männerbastion. Zwar versuchen Wirtschaft und Politik seit Langem, mit allerlei Initiativen gegenzusteuern, doch will sich ein echter Umschwung bislang nicht einstellen.
Zwar sind Einzelmaßnahmen – von Werbemaßnahmen für MINT-Studienfächer an Schulen über inklusiver formulierte Stellenausschreibungen bis zu familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen – für sich genommen begrüßenswert. Wir machen dabei jedoch den Fehler, uns nur auf kleine Puzzleteile zu konzentrieren, während wir das große Bild außer Acht lassen. Wir sehen, dass diese kleinen Initiativen nur kleine Verbesserungen bewirken, und das auch nur über einen langen Zeitraum. Und selbst dieser Fortschritt bleibt fragil: Die Coronapandemie hat gezeigt, wie schnell die über Jahrzehnte aufgebauten Fortschritte in Sachen Gleichstellung innerhalb kurzer Zeit wieder zunichte gemacht werden können.
Wie Frauen aus der IT verdrängt wurden
Gehen wir zunächst einen Schritt zurück: Warum ist der Frauenanteil im IT-Umfeld eigentlich so niedrig? An seiner technischen Ausrichtung kann es nicht liegen. Im Gesundheitssektor beispielsweise ist der Frauenanteil deutlich höher, obwohl es sich ebenfalls um einen hochkomplexen und technisch anspruchsvollen Bereich handelt. Der wahre Grund liegt in der spezifischen, männerdominierten Kultur, die in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Tech-Branche aufgebaut wurde und ihr Bild in der Gesellschaft geprägt hat.
Dies war nicht immer so. Zwar wurden Frauen schon immer auf vielfältige Weise von der Erwerbsbevölkerung ausgeschlossen, aber ihre Verdrängung aus dem IT-Umfeld ist ein Fall für sich. Tatsächlich galt Informatik in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sogar tendenziell als "Frauenberuf" – Berühmtheit erlangten zum Beispiel Software-Pionierinnen wie Grace Hopper und Margaret Hamilton. Letztere trug mit ihrem Code maßgeblich zum Erfolg der Apollo-Mondmissionen bei.
Das änderte sich jedoch in den 1960er Jahren, als Unternehmen in dem Bemühen, mehr Programmierer zu finden, auf voreingenommene und sich selbst verstärkende "Berufsinteressen-Skalen" zurückgriffen. Diese stellten nicht nur minimale Unterschiede zwischen den Eigenschaften eines guten Programmierers und denen traditioneller Angestellter fest, sondern verbreiteten auch die Vorstellung, dass Programmierer von Natur aus "unsozial" seien. Diese Vorstellung verfestigte sich mit der letzten großen Computerrevolution Mitte der 1980er Jahre, als die Einführung des Personal Computers das Image männlicher Gründerfiguren wie Bill Gates und Steve Jobs als nerdiges IT-Genie zementierte, das aus der Garage heraus ein milliardenschweres Unternehmen gründet. Dieses Bild wurde von den Medien weiter popularisiert und aufrechterhalten. Der endgültige Todesstoß war schließlich, dass der PC bei seinem Eintritt in den Massenmarkt als "Spielzeug für Jungs" vermarktet wurde und so schon von klein auf zum Stereotyp der IT als "Männersache" beitrug. In einem Zeitraum von weniger als 20 Jahren wurden Frauen erfolgreich ausgegrenzt, während Scharen von Männern erzählt bekamen, dass dieser Beruf nur für sie gemacht sei.
Mangelnde Vielfalt in Teams als Wurzel des Problems
Immer wieder werde ich gefragt, wie Technologieunternehmen von einem höheren Frauenanteil profitieren würden. Aber schon diese Frage ist bezeichnend für das eigentliche Problem. Das Geschlechterverhältnis an sich ist weder ein besonderer Vorteil noch ein Nachteil. Das eigentliche Problem ist die Homogenität einer Belegschaft – und zwar in jeglicher Hinsicht. Ich persönlich habe sowohl in männer- als auch in frauendominierten Branchen gearbeitet, und sie alle plagte dasselbe Problem: Das mangelnde Bewusstsein und das Gruppendenken, das mit einem Übermaß an Homogenität einhergeht. Bei SAP versuchen wir, die Vielfalt der Welt, in der wir leben, widerzuspiegeln. Dazu gehört, sich bewusst zu machen, dass Diversität ein mehrdimensionales und dynamisches Konzept ist, das weit über das Geschlecht hinausgeht.
Im Falle der künstlichen Intelligenz treten die schwerwiegenden Probleme, die sich aus mangelnder Vielfalt ergeben, offen zutage. Immer wieder werden Fälle publik, in denen KI-Modelle bei Teilen der Bevölkerung versagen oder Stereotype verstärken und verbreiten, die bereits in den Daten angelegt waren, mit denen sie trainiert wurden. Es ist fast genau das gleiche Szenario wie bei den "Berufsinteressen-Skalen". Dies geschieht nicht einmal unbedingt in böser Absicht, doch es ist schwer, Vorurteile und Stereotype in all ihren kleinen Facetten zu berücksichtigen, wenn man nicht selbst von ihnen betroffen ist. Ein diverses Team senkt das Risiko, dass solche unbewussten Vorurteile in der produktiven KI voll zum Tragen kommen.
IT-Recruiting: Neue Wege sind gefragt
Nun werden viele HR-Verantwortliche sowie Recruiterinnen und Recruiter in den Tech-Unternehmen sagen: "Da sind wir völlig d'accord, aber wo sollen wir all die diversen Talente herholen? Es ist ein Pipeline-Problem!" Verbunden ist dies häufig mit der Klage über zu wenige weibliche Studierende in MINT-Fächern. Doch auch dieses Pipeline-Problem ist ein Mythos. Es gibt definitiv viele Frauen in MINT-Studiengängen. Die Statistiken, die gewöhnlich zitiert werden, beziehen sich nur auf ein MINT-Fach, nämlich Informatik, während es in MINT-Fächern im weiteren Sinne durchaus viele Frauen gibt, die Fächer wie Biologie oder Mathematik studieren. Absolventinnen dieser und ähnlich gelagerter Fächer sind sehr wohl für eine Vielzahl von IT-Jobs qualifiziert. Sie ziehen eine solche Karriere aber gar nicht erst in Betracht, weil sie sich von den entsprechenden Stellenangeboten nicht angesprochen fühlen oder sie gar nicht erst wahrnehmen.
Mein Appell an die IT-Unternehmen lautet daher: Fischen Sie in anderen Teichen. Für viele der heutigen Stellenausschreibungen finden Sie auch außerhalb der Informatik wertvolle Talente. Ich selbst habe in meinem ersten Studium einen Doppel-Bachelor in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften absolviert (ersteres aus "Vernunftgründen", letzteres aus Leidenschaft) und kann aus eigener Erfahrung sagen: Gerade die Sozialwissenschaften können aufgrund ihrer umfangreichen Experimentier-, Mathematik- und sogar statistischen Programmierkomponenten ein sehr fruchtbarer Boden für eine Karriere im IT-Umfeld sein.
Eine stärkere Ausrichtung auf tatsächliche Kompetenzen statt auf Abschlüsse oder die offiziellen Bezeichnungen von Studiengängen wird dazu beitragen, diese neuen "Fischteiche" zu erschließen. Es muss klar unterschieden werden zwischen dem, was schwer zu erlernen ist und entsprechend mehr Zeit in Anspruch nimmt, und dem, was leicht zu vermitteln ist. Da es sich bei der Technologie ohnehin um eine schnelllebige Branche handelt, wird das Lernen am Arbeitsplatz immer wichtiger, um auch Absolventinnen und Absolventen, die aus der Informatik kommen, die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln, um langfristig erfolgreich zu sein.
KI als Gamechanger
Tatsächlich bin ich überzeugt, dass der Zeitpunkt für eine echte Trendwende derzeit nicht günstiger sein könnte. So wie der PC vor 40 Jahren die Technik- und Arbeitswelt umgekrempelt hat, ist es heute die künstliche Intelligenz, die einen neuen Paradigmenwechsel einleitet. Und so wie Frauen vor 40 Jahren marginalisiert wurden, bietet die KI heute die Chance, sie wieder in den Vordergrund zu holen. Wer in Mathematik und Statistik bewandert ist, bringt hervorragendes Rüstzeug in vielen Bereichen der KI und Datenwissenschaft mit.
Es lohnt sich sogar ein Blick über die MINT-Fächer hinaus: Im Kontext von generativer KI ist beispielsweise viel vom neuen Aufgabenfeld des "Prompt Engineering" die Rede, also der Formulierung von Aufgabenstellungen an eine KI, die diese verstehen und interpretieren kann. Bei näherer Betrachtung wirkt das Wort "Engineering" jedoch irreführend und vielleicht auch ausgrenzend. Es geht hier nicht wirklich um eine Ingenieurstätigkeit, sondern vielmehr um den präzisen und wohlüberlegten Umgang mit Sprache. Mit anderen Worten: eine klassische Domäne der Geisteswissenschaften.
Neues Narrativ für die IT-Branche
Wenn wir über die Unterrepräsentation von Frauen in der IT und anderen technischen Berufen sprechen, müssen sich Vertreterinnen und Vertreter der Tech-Branche darüber im Klaren sein, dass es sich dabei um ein selbstgeschaffenes und in der historischen Betrachtung relativ junges Phänomen handelt – ein soziales Konstrukt, dass wir uns selbst auferlegt haben. Natürlich ist es essenziell, toxische Arbeitskulturen zu beseitigen, und selbstverständlich müssen wir auf Gleichheit bei der Bezahlung und Beförderung drängen. Aber das gilt für jede Branche.
Was in der IT-Branche einzigartig und daher für einen dauerhaften Wandel unabdingbar ist, ist die Tatsache, dass wir ein anderes Narrativ brauchen. Die Botschaft darf nicht lauten: "Auch Mädchen können programmieren". Vielmehr müssen wir der Welt klar machen, wie es dazu kam, dass diese Selbstverständlichkeit überhaupt je in Zweifel gezogen werden konnte und dass der Preis dafür eine extreme Homogenität war. Wir sollten aufhören zu versuchen, dieses Generationenproblem mit winzigen Eingriffen hier und da zu lösen. Mit dem Aufstieg der generativen KI – und verschärft durch den angeblichen "Fachkräftemangel" in der Technologiebranche – stehen wir an einer historisch günstigen Schwelle, an der wir diese Ungleichheit durch eine ganz neue Tech-Erzählung wieder ins Lot bringen können.
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