Mit einem Talent Hub gegen den IT-Fachkräftemangel
Laut Bitkom Research 2022 sind hierzulande 137.000 Stellen in der IT unbesetzt. Hinzu kommt, dass die Einarbeitung von neuen Teammitgliedern in der IT in den meisten Fällen ein umfassendes Selbststudium von Dokumentationen und Tutorials erfordert. Das führt nicht selten zu Frustration und Isolation der hinzugekommenen Kolleginnen und Kollegen. Häufig muss der Einstieg in Kundenprojekte gleichzeitig als Onboarding- und Weiterbildungsmaßnahme dienen, ohne für dieses Mehr an Ressourceneinsatz Umsatz generieren zu können, was zu geringeren Margen bei den Projekten führt.
Deshalb sollte das Talent Management für IT-Fachkräfte neu aufgestellt werden. Es benötigt ein Instrument, mit dem die Einarbeitung weniger Kosten verursacht und schneller zum praktischen Erfolg für die neuen Teammitglieder und das Unternehmen führt.
Talent Management neu gedacht
Für die Neuausrichtung des Talent Managements ist es sinnvoll, einen separaten Bereich – etwa in der Software-Entwicklung – zu schaffen, der sich gezielt auf den Aufbau und die Vertiefung des "Handwerkszeugs" von Developern fokussiert. Ein solcher Talent Hub gestattet es, dass sich die neuen Kolleginnen und Kollegen bei Projekten – ob intern oder für Kunden – aktiv einbringen und dabei ihre Kompetenzen beweisen und ausbauen können.
Dazu ist die Bildung von Teams aus neuen und erfahrenen Mitarbeitenden erforderlich, die sich regelmäßig austauschen und die Fähigkeiten direkt in der Praxis erlernen. Ziel ist es, in einem projektähnlichen Umfeld die besten Voraussetzungen für die selbstständige Bearbeitung von Entwicklungsprojekten zu schaffen. Die Teilnehmenden sollen ihr eigenes Lerntempo wählen können und Raum für selbstbestimmtes Arbeiten erhalten. Zugleich steht ihnen in dieser Zeit ein Fachexperte oder eine Fachexpertin zur Seite.
Die drei Phasen eines Talent Hubs
Für den Talent Hub eignen sich nicht alle Software-Projekte. Deshalb gilt es zunächst, diejenigen Projekte auszuwählen, die zu diesem Talent-Management-Ansatz passen. Auswahlkriterien sind beispielsweise eine überschaubare Projektdauer (eher zwei als zehn Jahre), die Realisierbarkeit mit dem vorhandenen Technologie-Stack (mindestens zu 70 bis 80 Prozent) sowie die Verfügbarkeit fester Ansprechpartner für regelmäßiges Feedback (daher keine Urlaubs- oder Elternzeitvertretung im Projekt).
Mit einem Drei-Phasen-Modell soll dann die Aus- und Weiterbildung anhand dieser Projekte strukturiert erfolgen, Fortschritt besser messbar sein. Dazu sind konkrete Experience Level ähnlich einer Kompetenz-Matrix zu definieren und mithilfe von Befragungen aus Fremd- und Selbstbild zu erfassen.
1. Phase: Basis-Technologien erlernen. In der ersten Phase geht es vor allem für Berufs- oder Quereinsteiger darum, die grundlegenden Technologien der Software-Entwicklung im Unternehmen zu erlernen. Dazu gehören auch die etablierten Arbeitsweisen und die gängigsten Tools, die zum Einsatz kommen. Die Lerneinheiten bestehen aus theoretischer Schulung und praktischem Coding-Teil, sodass sich auch für die Mitarbeitenden regelmäßig Ergebnisse zeigen. Somit erhalten Teammitglieder von Anfang an die Möglichkeit, ihre erlernten Fähigkeiten praktisch anzuwenden.
2. Phase: Werkzeugkoffer füllen. In Phase zwei erfolgt der Übergang in die Projekte, gepaart mit regelmäßigem Programmieren – angeleitet und unterstützt durch ein erfahrenes Teammitglied. Ziel ist es, etwaige Wissenslücken aufzudecken und zu schließen sowie neue Entwicklungserfahrung zu sammeln. Außerdem gilt es für die Teilnehmenden, sich permanent aktiv mit neuen Technologien auseinanderzusetzen.
3. Phase: Kompetenzen verfeinern. Die dritte Phase umfasst erste eigenständige Projekte der Software-Entwicklung und in dem Zusammenhang das Tragen von Verantwortung. Erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen weiterhin als Supervisoren und helfen den neuen Teammitgliedern dabei, ihre Fähigkeiten weiter zu festigen und auszubauen.
Mithilfe eines regelmäßigen Experience-Level-Trackings lässt sich das Entwicklungstempo der Talent-Hub-Teilnehmenden erfassen. Zusätzliche Feedback- und Evaluationsgespräche sorgen dafür, dass mögliche Herausforderungen schnell erkannt und angepackt werden können.
Teamzusammensetzung im Talent Hub
Für ein erfolgreiches Talent Management müssen im Hub verschiedene Projekte und Teamzusammensetzungen entstehen, damit sich Wissen aneignen, austauschen, vertiefen sowie auch praktisch anwenden lässt. Das breite Spektrum an Kompetenzen, Sichtweisen und Erfahrungslevel sorgt für schnelle Lernerfolge. Empfehlenswert ist es, den Talent Hub in Haupt- und Nebenprojekte einzuteilen und konkret in verschiedenen Unterteams (Squads) zu arbeiten. Die Strukturen sind fließend, sodass die Talente in festen Sprints – idealerweise vierwöchentlich – die Projekte wechseln können, um ihr Fachwissen zu verbreitern. Wichtig ist hierbei ein regelmäßiger Austausch untereinander, und zwar unabhängig von der eigentlichen Tätigkeit. Gemeinsame Teammeetings im Hub, Projektbesprechungen, Chats, ergänzende Schulungen und Events gehören dazu.
Blick in die Praxis: Erfolg eines Talent-Hub-Teilnehmers
Ein Beispiel aus der Praxis: Philipp kam als Student zu Novatec. Zunächst schrieb er eine Thesis in einem anderen Fachbereich, jedoch mit wenig Fokus auf die Kern-Technologien, die üblicherweise in Kundenprojekten zum Einsatz kommen. Auch sein bisheriges Studium hatte sich nur begrenzt mit den relevanten Web-Technologien und Frameworks beschäftigt. Doch dann bot sich ihm die Gelegenheit, als Werkstudent im Talent Hub einzusteigen. Dort erhielt er eine intensive Einarbeitung in genau diese Technologien, wodurch er sich ein fundiertes Wissen aneignen und seine bisherigen Fähigkeiten ausbauen konnte. Gleichzeitig sammelte er auch Erfahrungen in der Moderation von Kundenterminen und fungierte als Mentor.
Anschließend wurde Philipp als Junior Software Engineer eingestellt. In dieser Funktion arbeitete er selbstständig an verschiedenen Projekten und trieb eigene Themen voran. Der Übergang in sein erstes Kundenprojekt verlief dank seiner umfassenden Ausbildung reibungslos. In Anerkennung seiner Leistungen wurde Philipp im vergangenen Jahr zum Software Engineer befördert, was seine fachliche Expertise und kontinuierliche Weiterentwicklung widerspiegelt. Besonders positiv empfindet er die gelebte Fehlerkultur im Talent Hub, die Fehler als Lernchance begreift und eine offene Kommunikation sowie konstruktives Feedback fördert.
Wie Mitarbeitende und Unternehmen vom Talent Hub profitieren
Für den Erfolg im Talent Management ist eine authentische Arbeitsatmosphäre das A und O. Im Talent Hub sollen sich die Mitarbeitenden ausprobieren sowie vom Wissens- und Erfahrungsschatz langjähriger Teammitglieder profitieren können. Auch die regelmäßige Retrospektive in Feedbackgesprächen macht Fortschritte ersichtlich. Damit sorgen IT-Unternehmen nicht nur für eine solide Aus- und Weiterbildung, sondern sie motivieren und befähigen ihre Mitarbeitenden auf vielfältige und abwechslungsreiche Art und Weise. Das macht die Projekte und das Talent Management gleichermaßen effizient und effektiv – und alle Teilnehmenden entwickeln aufgrund der vielseitigen Projekterlebnisse ihre Fachkompetenzen und Lebenserfahrungen weiter. Langfristig profitieren davon auch die IT-Unternehmen und deren Kunden.
Fazit: Die Potenziale der agilen Software-Entwicklung nutzen
Im Grunde bietet die agile Software-Entwicklung selbst bereits das, was es auch für die Ausbildung der entsprechenden Expertinnen und Experten benötigt: Projekte mit klaren Zielen, Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen, regelmäßigen Feedbackschleifen und die Möglichkeit, nach kurzen Zeitspannen (Sprints) nachzujustieren oder etwas Neues auszuprobieren. Das gilt besonders für die Onboarding-Phase und Ausbildung von neuen Mitarbeitenden wie auch für die Weiterqualifizierung von bestehenden Teammitgliedern. In Zeiten von chronischem Fachkräftemangel bieten IT-Unternehmen mit einem Hub-basierten Talent Management einen immensen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Arbeitgebern.
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