Das Ziel eines Einstellungsinterviews besteht darin, bestimmte Kompetenzen eines Bewerbers kritisch zu hinterfragen, um anschließend eine möglichst gut abgesicherte Prognose über dessen beruflichen Erfolg auf einer bestimmten Stelle treffen zu können. Richtschnur für die Auswahl der Fragen sowie die Bewertung der Antworten sind dabei die Anforderungen der ausgeschrieben Stelle. So weit so gut.
Alberne Fragen, die Bewerber vergraulen
Ein anekdotischer Blick in die Berufspraxis zeigt jedoch, dass viele Interviewfragen weit davon entfernt sind, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Da ist zum Beispiel der promovierte Psychologe, der sich im einem mittelständischen Unternehmen bewirbt und von zwei jungen Personalerinnen so wichtige Dinge gefragt wird wie „Welches ist Ihre Lieblingsserie im Fernsehen? – Kicher, kicher, kicher…“ oder „Was glauben Sie, welcher Menschentyp sind wir? – Kicher, kicher kicher…“ und schließlich „Haben Sie eine Freundin? – Kicher, kicher, kicher…“. Wir wissen nicht, was diese beiden jungen Personalgänse vor dem Interview geraucht haben, beim nächsten Mal sollten sie aber statt des Interviews lieber eine Münze werfen. Hierdurch ließe sich die Qualität ihrer Auswahlentscheidungen erheblich verbessern.
Zehn schwierigste Fragen sind nicht die zehn besten
Absurde Fragen sind leider kein Lapsus von Berufseinsteigern, sie scheinen vielmehr gängige Praxis zu sein. Die jüngst von einem Jobportal veröffentlichte Liste der „Zehn schwierigsten Interviewfragen Deutschlands“ markiert dabei die Spitze des Eisbergs. Das Niveau der Fragen bewegt sich auf einem Kontinuum von gut gemeint über einfältig bis hin zu selbstgefällig.
Gut gemeint sind Fragen, mit denen man wahrscheinlich die Analysefähigkeit der Bewerber überprüfen möchte, wie etwa „Versuchen Sie, den jährlichen Verbrauch an Clearasil in Deutschland einzuschätzen!“ oder „Wie würden Sie vorgehen, um die Höhe eines Gebäudes mit einem Barometer zu messen?“. Zu empfehlen sind solche Fragen nicht, da sich mit einer einzelnen Frage die Intelligenz eines Menschen nicht sinnvoll überprüfen lässt. Wer die kognitive Leistungsfähigkeit seiner Bewerber einschätzen möchte – dies wird in Deutschland gerade bei Führungspositionen viel zu selten gemacht –, der sollte einen wissenschaftlich abgesicherten Intelligenztest einsetzen.
Fragen lassen die Einfalt des Fragenstellers erkennen
Bestenfalls einfältig sind Fragen der folgenden Couleur: „Welches Tier wären Sie gerne?“ oder „Welches ist ihr Lieblingsereignis in der Geschichte?“. An solchen Interviewern sind offenbar Hobby-Psychoanalytiker verloren gegangen. Sie graben im vermeintlich Unbewussten und beleidigen dabei nicht nur die Intelligenz ihrer Bewerber. Sollte man im Kreditwesen etwa bevorzugt Haie, als Führungskräfte Löwen und als Interviewer Schafe einstellen? Für welchen Job ist wohl jemand geeignet, der sich für das Kennedy-Attentat interessiert?
Wer jetzt denkt, es geht nicht noch schlimmer, der sei mit diesem Beispiel eines Besseren belehrt: „Was ist ihr persönliches Geheimnis?“. Vielleicht sollten Bewerber hier einfach mutig antworten „Ich hasse dumme Fragen, lasse es mir aber nicht anmerken“.
Die bräsige Selbstgefälligkeit so manches Interviewers offenbart sich schließlich bei Fragen wie: „Welches sind die 30 deutschen Dax-Unternehmen?“ oder „Wie kocht man ein perfektes Ei?“. Offenbar gibt es immer noch viel zu viele hoch qualifizierte Bewerber auf dem Arbeitsmarkt, sodass man sich solche Spielchen noch erlauben kann. Die einzig richtige Reaktion in diesem Fall ist, dem Interviewer zu empfehlen, er solle die fraglichen Punkte doch bitte selbst nach dem Interview googeln, notfalls könne man ihm gern erklären, wie dies zu bewerkstelligen sei.
Kriterien für gute Vorstellungsgespräche
Es könnte alles so einfach sein. Nachweislich gute Interviews zu entwickeln ist relativ leicht:
- Auf der Basis einer Anforderungsanalyse werden für die betreffende Stelle circa fünf Kompetenzen definiert, die mithilfe des Interviews zu untersuchen sind.
- Zu jeder Kompetenz werden im Vorfeld mindesten drei Fragen in einem Interviewleitfaden aufgeschrieben. Die Fragen sollten möglichst den Berufsalltag widerspiegeln: „Stellen Sie sich vor, X passiert. Wie bewerten Sie die Situation, wie verhalten Sie sich? Bitte begründen Sie ihre Antwort.“
- Zu jeder Frage wird auf der Grundlage der Anforderungsanalyse ein Bewertungsraster erstellt, aus dem hervorgeht, welche Antwort für eine sehr geringe, eine akzeptable oder eine sehr hohe Ausprägung der jeweiligen Kompetenz spricht.
- Im Interview werden entsprechend dieser Kriterien für jede Antwort Punktwerte vergeben. Nach dem Interview ermittelt man für jede Kompetenz die durchschnittliche Punktzahl und vergleicht die Ergebnisse schließlich mit den zuvor definierten Mindestanforderungen der Stelle.
Derart hoch strukturierte Einstellungsinterviews sind in Deutschland die Ausnahme, obwohl sie hinsichtlich der Prognose des beruflichen Erfolgs nachweislich um ein Vielfaches besser sind als die so beliebten unstrukturierten Interviews. Die geringe Verbreitung mag zum einen daran liegen, dass viele Interviewer von derartigen Verfahren wenig bis gar nichts gehört haben. Das viel größere Hemmnis liegt aber vielleicht darin, dass hoch strukturierte Verfahren der Machtentfaltung mancher Interviewer allzu straffe Zügel anlegen. Wer sich als Türsteher seines Unternehmens versteht, der nach Lust und Laune den Daumen hoch oder runter dreht, für den sind hoch strukturierte Interviews eine Bedrohung des eigenen Egos. – Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.
Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.
vielen Dank für Ihren Kommentar.
Professor Kanning antwortet dazu Folgendes:
"In der wissenschaftlichen Literatur sind strukturierte Einstellungsinterviews in der Tat 'uralte Kamellen'. Die Erkenntnisse stehen seit vielen Jahren in Lehrbüchern und wissenschaftlichen Monographien. Das Problem besteht darin, dass diese Literatur keine Breitenwirkung entfaltet. Auch hat bei weitem nicht jeder das Privileg genossen, bei Heinz Schuler eine Vorlesung zu besuchen. Insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen (hier arbeiten bekanntermaßen die meisten Menschen) wird immer noch locker aus dem Bauch heraus interviewt. Differenzierte Anforderungsanalysen sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme. In manchen Großunternehmen gilt als 'strukturiertes Interview' bereits eine Sammlung von Fragen aus denen sich der Interviewer nach Belieben etwas aussuchen kann. Selbst Personalberater setzen heute immer noch unstrukturierte Interviews ein. In der Ratgeberliteratur sieht es kaum besser aus. Insofern ist leider noch sehr viel zu tun, eher wir uns in einer fernen Zukunft mit großer Gelassenheit der Personalarbeit in Kiosken zuwenden dürfen."
Beste Grüße
Andrea Sattler, Redaktion Personal