Tarifrente: Zockerrente oder enkelsichere Altersversorgung

Seit 2018 kann über die sogenannte Tarifrente eine betriebliche Altersversorgung ohne Garantiehaftung gewährt werden. Doch noch findet sich in keinem einzigen Tarifvertrag ein solches Modell. Metallrente-Chef Heribert Karch fordert nun Nachbesserungen vonseiten der Politik.

Im Grunde war es eine gute Idee: Mit der durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz 2018 eingeführten Tarifrente sollten weitaus mehr Beschäftigte als bisher zu einer ausreichenden betrieblichen Altersversorgung (bAV) kommen. Die reine Beitragszusage ohne Anspruch auf garantierte Altersleistung kann als Sozialpartnermodell nur auf Basis von Tarifverträgen abgeschlossen werden, wozu die Sozialpartner entweder selbst ein Versorgungswerk gründen oder Zielrenten-Produkte von Versicherungsanbietern wählen können.

Bislang keine einzige Tarifrente in Deutschland

Einer der wesentlichen Bausteine der Tarifrente ist die Öffnung der bAV für kapitalgedeckte Anlagen: Die anzusparenden Beiträge können – mit größerem Risiko, aber auch höheren Chancen auf Rendite – auch am Aktienmarkt angelegt werden. Doch das Modell scheint nicht zu funktionieren: Bis heute gibt es keine einzige Tarifrente in Deutschland. Heribert Krach, Geschäftsführer des Versorgungswerks Metallrente und viele Jahre Vorsitzender des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e. V. (aba) gilt als einer der wesentlichen Fürsprecher der Tarifrente in Deutschland. Im Interview mit der Wirtschaftszeitung aktiv geht er den Gründen nach, die der Umsetzung der Tarifrente entgegenstehen und appelliert an Politik und Tarifparteien, diese Hindernisse zu beseitigen.

Karch: "Tarifrente ist die stärkste Reform in der bAV seit 20 Jahren"

Trotz der bisher noch mangelnden Nutzung sieht Karch die Einführung der Tarifrente durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz als stärkste Reform in diesem Bereich seit fast 20 Jahren. Der Gesetzgeber habe mit dieser Änderung den Tarifparteien den Ball zugespielt, was, so Karch, im Rahmen unserer Verfassung eine durchaus passende Vorgehensweise sei. Gründe, weshalb immer noch über die Umsetzung diskutiert werde, lägen in der hohen Komplexität der Materie und einem gewissen "Fremdeln" vieler Menschen beim Thema Kapitalanlage.

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Grund für diese Haltung sei ein historisches Dilemma: In Deutschland sei bei der Altersversorgung das Ansparen von Vermögen immer geprägt gewesen von Lebensversicherungen mit Garantiemodellen. Heribert Karch: "Wir wissen aber, dass Garantien sich nicht von Kapitalmärkten abkoppeln können. Und was noch viel wichtiger ist: Garantien sind extrem teuer für den Sparer." Das sehr vorsichtige Regelwerk der Garantien führe in Verbindung mit dem deutschen Aufsichtsrecht dazu, dass die Einrichtung, die die Garantien gibt, eine vollständige Deckung der Verpflichtungen faktisch täglich nachweisen können müsse. "Das führt automatisch zu Zinsanlagen – die heute die renditeschwächsten sind. Und renditeträchtige Anlagen in die Substanz der Wirtschaft, etwa in Aktien, werden durch Garantien weitgehend verschlossen.", so Karch weiter.

Vorbehalte gegen Tarifrente als Zockerrente

Gerade Gewerkschaften stehen potenziell renditeträchtigeren Kapitalanlagen skeptisch gegenüber. Sie fürchten, mit den Beiträgen der Arbeitnehmenden könne an der Börse riskant spekuliert werden, im Verlustfall die Betriebsrente zu gering ausfallen oder gar wegfallen. Von einer "Zockerrente" oder "Pokerrente" ist die Rede. Solche Argumente lässt Karch nicht gelten: "Eine risikoadjustierte Kapitalanlage hat ja nun überhaupt nichts mit 'Zocken' zu tun, solche Sprüche sind vollkommener Unsinn! Je nach den Annahmen gibt es ohne Garantie später zwischen 20 und 50 Prozent mehr Betriebsrente – mit einer riesigen Wahrscheinlichkeit. Nur liegt diese eben nicht bei 100 Prozent."

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Ampelkoalition will Rentenanlagen am Aktienmarkt erlauben

Die gesetzliche Rente scheint sich aktuell in eine ähnliche Richtung zu bewegen: Im Sondierungspapier hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf geeinigt, dass auch die gesetzliche Rentenversicherung Geld am Kapitalmarkt anlegen darf. Die Aktienrente war eine der wesentlichen Forderungen der FDP im Wahlkampf. Auch in der bAV hat sich die FDP für weitere Anlagefreiräume stark gemacht, etwa indem die europaweite Altersvorsorge PEPP für die staatliche Förderung in Deutschland geöffnet werde. (Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Wie eine neue Regierung die bAV-Welt verändern wird").

Hindernisse der Tarifrente abbauen  

Vom Gesetzgeber erwartet Karch, sich mit den Tarifparteien an einen runden Tisch zu setzen und die immer noch bestehenden Hindernisse bei der Tarifrente in der bAV zu beseitigen. Konkret fordert Karch: "Der Gesetzgeber sollte fragen: Was kann die Politik noch tun? Der Rechtsrahmen für die steuerliche Förderung zum Beispiel ist noch viel zu kompliziert. Auch die Frage der Krankenversicherungsbeiträge auf die Betriebsrenten ist noch nicht ganz richtig beantwortet, trotz des seit 2020 geltenden Freibetrags." Ziel sollte jedenfalls sein, resümiert der bAV-Experte, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über kurz oder lang eine Betriebsrente haben.


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