Teal Organizations als New-Work-Ideal
Emotionale, intuitive oder spirituelle Aspekte sind bei der Arbeit laut Laloux in den meisten Unternehmen fehl am Platz. Die Folge: Mitarbeitende müssen einen Teil ihres Selbsts zurückhalten, sich verstecken und verstellen. Anhand von zwölf Beispielunternehmen (AES, BSO/Origin, Buurtzorg, ESBZ, FAVI, Heiligenfeld, Holacracyone, Morning Star, Patagonia, RHD, Sounds True und Sun Hydraulics) hat der bekannte "New-Work-Vordenker" in seinem Buch "Reinventing Organizations" (2014 im Original erschienen) untersucht, wie das auch anders geht.
Teal Organization: Farbschema für die Entwicklung von Organisationen
Die theoretische Grundlage liefert ihm das integrale Kompetenzmodell von Ken Wilber. Der Philosoph geht davon aus, dass sich unsere Wertesysteme im Lauf der Menschheitsentwicklung herausgebildet haben und diese Entwicklungsstadien sich auf das menschliche Bewusstsein auswirkten. Zu ähnlichen Annahmen kommen auch Evolutions- und Sozialpsychologen wie Jean Gebser, Clare W. Graves, Don Edward Beck und Chris Cowan. Demnach passiert die Entwicklung der Menschheit in Sprüngen, wenn etwa durch äußere Einflüsse ein Wertesystem zu Schwierigkeiten führt und mit einer Denkweise auftretende Probleme nicht mehr gelöst werden können. Systeme kippen dann in eine komplett andere Denkweise, um auftretende Herausforderungen meistern zu können.
Um diese Vorstellung einfacher verständlich zu machen, haben Beck und Cowan ein Farbsystem eingeführt, jede Farbe steht für eine Entwicklungsstufe.
Laloux verwendet folgendes Farbschema (abweichend von Beck/Cowan in "Spiral Dynamics") für die Entwicklung von Organisationen:
- Rot: Die impulsive Weltsicht – geprägt von Machtausübung nach dem Beispiel von Mafia oder Straßengangs.
- Bernstein: Die traditionelle konformistische Weltsicht – gekennzeichnet durch stark autoritäre Führung und Hierarchien wie zum Beispiel in der Armee oder in Behörden.
- Orange: Die moderne leistungsorientierte Weltsicht – dominiert von Konkurrenz, Expansion und Profitdenken, wie sie in vielen heutigen Unternehmen vorherrschen.
- Grün: Die postmoderne pluralistische Weltsicht – trotz des Fortbestands von Hierarchien rücken gemeinsame Werte und Wir-Denken in den Vordergrund, oft in gemeinnützigen Organisationen oder NGOs vertreten.
- Teal (Türkis): Die integrale evolutionäre Weltsicht – in Organisationen, die verschiedene Sichtweisen integrieren, Ganzheit ermöglichen und "das Ego loslassen".
Laloux hebt hervor, dass er die verschiedenen Organisationsparadigmen zwar in einem Stufenmodell darstellt, dies aber keine Wertung beinhalte: Frühere Stufen seien nicht schlechter. Dennoch seien höhere Stufen komplexer, da sie auf frühere zugreifen können. Laut dem Unternehmensberater ist bei der Einstufung von Organisationen Vorsicht geboten: Selten seien die Werte von Menschen in einer Organisation gleich, bewegten sich vielmehr auf einer gewissen Bandbreite.
Laloux: Drei Merkmale der integralen-evolutionären Organisationsform
Laut den Praxisbeobachtungen von Laloux zeichnen sich Teal Organizations vor allem durch drei Hauptmerkmale aus:
1. Selbstmanagement
In Teal Organizations übernehmen selbstverwaltende Teams die Führung. Die Mitarbeitenden in diesen Teams erfüllen bestimmte Rollen – inklusive funktionaler und leitender Aufgaben. Entscheidungen werden mithilfe eines sogenannten Beraterprozesses (Beschäftigte holen den Rat von Kollegen und Experten ein, entscheiden aber selbst) getroffen, gegebenenfalls ergänzt durch einen Konfliktlösungsprozess.
Zentrale Kontrolle und Befehle von oben gibt es nicht. Handlungsleitend sind vielmehr die Werte und der Purpose der Organisation, anhand derer sich die Menschen an die Veränderungen der Umwelt anpassen (dem Zweck der Organisation "zuhören"). Beschäftigte müssten bei Entscheidungen nur darauf achten, dass die Autonomie der Kollegen nicht behindert wird. Hierarchie, Titel und Konkurrenzdenken verlieren laut Laloux an Bedeutung, da sie nicht mehr zur Absicherung der Karriere und der Machtposition ausschlaggebend sind. An ihre Stelle tritt eine Kultur des Vertrauens, die auf der Überzeugung basiert, dass alle Menschen in der Organisation stets das Richtige tun möchten. Die Strategie entstehe dabei auf organische Weise, quasi durch die kollektive Intelligenz der Mitarbeitenden.
2. Ganzheitlichkeit
Damit Menschen bei der Arbeit sie selbst sein können, brauche es verschiedene Praktiken: Laloux skizziert einige, die seiner Ansicht nach auf Ganzheitlichkeit einzahlen: Das reicht von Haustieren am Arbeitsplatz, über die Raumgestaltung und Neuausrichtung von HR-Prozessen wie Recruiting, Onboarding oder Training, bis hin zu Reflexionsübungen in Meetings und Meditation. An die Stelle von politischem Taktieren und Geheimhalten von Informationen trete ein großes Vertrauen darauf, dass sich Dinge gut entwickeln, wenn Menschen nicht aus Angst und Mangel handeln, sondern Fülle erleben können.
3. Evolutionärer Sinn
Teal Organizations haben Laloux zufolge nicht nur einen übergeordneten Sinn, sondern einen "evolutionären Sinn": Dieser entwickelt sich aus der Organisation heraus, indem die Beschäftigten zuhören und mit ihm "tanzen". Statt der Organisation einen Sinn und Zweck aufzuzwingen oder die Zukunft vorhersagen und kontrollieren zu wollen, soll eine gemeinsame Sensibilität entstehen. Laloux verwendet dabei die Metapher eines "lebendigen Organismus". Wie in der Natur geschehe Veränderung jederzeit und überall. Demnach sind Teal Organizations letztlich "komplexe, anpassungsfähige Systeme".
Kritische Auseinandersetzung mit Teal Organizations
Kritiker werfen Laloux vor, dass er auf Probleme in der Praxis nicht eingeht. Er betont zwar, dass jede Entwicklungsstufe von Organisationen Vor- und Nachteile habe. Wenn es aber um "Teal" geht, beschäftigt er sich kaum mit möglichen Stolperfallen – seine Beispiele sind durchweg positiv. Damit handelt er sich den Vorwurf ein, eingängige Metaphern, humanistische Ideale und Weltverbesserungsideen verkürzt darzustellen und die Komplexität von Organisationen zu unterschätzen, etwa bezüglich der Gruppendynamik in informellen Hierarchien.
Basierend auf der Philosophie Ken Wilbers geht er von einer "evolutionären Energie" aus, die den Erkenntnissen der Evolutionstheorie widerspricht. Esoterik, Missionierungseifer und dogmatische Weltanschauung lauten weitere Negativ-Labels für seine Arbeit. Indem er Sinnsuche, Erfüllung, Spaß und Talententfaltung zur "Norm" erhebe, schließe er Menschen aus, die lediglich Arbeiten, um Geld zu verdienen. Wer die neue Arbeitsweise einer Teal Organization ablehne, sei eben noch nicht so weit oder habe sich für den Opferstatus entschieden. Das Problem ist den Kritikern Lalouxs zufolge vor allem diese soziale Erwünschtheit. Das könne auch zur Folge haben, dass sich viele als "teal" wähnen, sich dies aber nicht in ihren Handlungen in der Organisation widerspiegelt. Hinzu komme eine gewisse Methodenarmut seiner Darstellung in "Reinventing Organizations" – eine einseitige Fokussierung auf den konsultativen Einzelentscheid (Beraterprozess) und die Organisationsform Holakratie.
Typologie im Buch "Reinventing Organizations" als Inspirationsquelle
Typologien wie die von "Reinventing Organizations", auf der das Konzept der Teal Organization ruht, haben zwar den Nachteil, dass sie Schubladendenken hervorrufen können. Dennoch setzen viele Organisationsentwickler und Berater in Transformationsprozessen auf die Werteebenen und Entwicklungsstufen eines Laloux, weil sie eine gemeinsame Sprache über kulturelle Werte schaffen und so Potenziale in Unternehmen freilegen können.
Die zwölf Praxisbeispiele hat Laloux zu einer Zeit ausgegraben, als Selbstorganisation und New Work noch kaum verbreitet waren. Heute ließen sich viele weitere Beispiele finden, die den Rahmen weiterspannen. Zahlreiche weniger idealisierende Handlungshilfen für Teal Organizations und solche, die es werden wollen, sind inzwischen entstanden. Die Teal-Idee hat viele Unternehmen inspiriert, mit neuen Formen von Arbeit zu experimentieren.
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