Digitale Badges im Skill Management

Informelle Lernformen sind beliebt und viele Unternehmen fördern dies auch. Doch der Nachweis der neuen Kenntnisse ist dabei eine Herausforderung. Digitale Badges schaffen Abhilfe.

Kontinuierliche Weiterbildung wird zum Imperativ, um in einer sich schnell verändernden Welt erfolgreich zu sein – das gilt für Organisationen wie für Personen gleichermaßen. Tatsächlich aber hat sich die Art des Lernens verändert: Wo früher noch Institute, Akademien und Co für die Aus- und Weiterbildung zuständig waren, nehmen Fachartikel, Youtube-Videos und Anleitungen durch Kolleginnen und Kollegen einen immer größeren Stellenwert ein. Doch wie lassen sich solche non-formal und informell erlangten Kompetenzen und Fähigkeiten dokumentieren und verifizieren? Digitale Bildungsnachweise in Form von "Open Badges" und "Micro-Credentials" bieten eine vielversprechende Möglichkeit.

Von "Open Badges" und "Micro-Credentials"

Die sogenannten "Open Badges" wurden 2011 von der MacArthur Foundation und Mozilla ins Leben gerufen, um eine neue Form der Anerkennung von Lernen zu schaffen, die über traditionelle Abschlüsse hinausgeht und auch informelles Erfahrungslernen abbilden kann. Open Badges basieren auf einem offenen technischen Standard, der es ermöglicht, verschiedene Informationen in einem Badge zu kodieren wie zum Beispiel den Aussteller, den Empfänger, die Kriterien, die Beweise für die erlangten Fähigkeiten und die Gültigkeit. Open Badges können in verschiedenen Kontexten ausgestellt und gesammelt werden wie zum Beispiel in Schulen, Hochschulen, Unternehmen oder Verbänden.

Im Hochschulkontext werden Open Badges oft als "Micro-Credentials" bezeichnet, also kleine Lerneinheiten, die eine bestimmte Kompetenz oder Qualifikation bescheinigen. Manchmal wird hier auch die Blockchain-Technologie genutzt. Micro-Credentials sind Teil des Trends zu modularer Bildung, bei dem Lernende sich ihren eigenen Bildungsweg aus verschiedenen Bausteinen zusammenstellen können. Micro-Credentials können auch als Brücke zwischen formellem und informellem Lernen dienen, indem sie Erfahrungen aus verschiedenen Quellen anerkennen und sichtbar machen.

Verschiedene Bezeichnungen für Micro-Credentials 

Ein wichtiger Bereich, in dem Micro-Credentials an Bedeutung gewonnen haben, sind MOOCs (Massive Open Online Courses). Diese kostenlosen oder kostengünstigen Onlinekurse, die für eine große Anzahl von Teilnehmenden zugänglich sind, bieten eine flexible Möglichkeit, sich weiterzubilden oder neue Fähigkeiten zu erwerben. Allerdings haben MOOCs oft eine geringe Abschlussrate, da die Anerkennung im Hochschul- und Unternehmenskontext selten gegeben ist. Um diese Herausforderungen zu adressieren, haben verschiedene MOOC-Plattformen begonnen, Micro-Credentials anzubieten, die einen Nachweis für den erfolgreichen Abschluss eines Kurses oder eines Programms aus mehreren Kursen liefern. Diese Micro-Credentials können verschiedene Bezeichnungen haben, wie beispielsweise "Specializations" (Coursera), "X Series" (ed X), "Nanodegrees" (Udacity) oder "Expert Tracks" (Future Learn). Einige Beispiele für Open Badges und Micro-Credentials sind:

  • IBM bietet verschiedene Micro-Credentials an, die die Kompetenzen der Mitarbeitenden und Kunden in Bereichen wie Cloud Compu­ting, Data Science oder künstliche Intel-ligenz validieren. Diese Badges können auch für den Zugang zu bestimmten Masterstudiengängen anerkannt werden.
       
  • Die Haufe Akademie bietet digitale Zerti­fikate im Open-Badges-Format, die veri­fizierbare Nachweise über erworbenes Wissen und Fähigkeiten darstellen. Sie können auf Karrierenetzwerken wie Linkedin geteilt werden und dienen als persönliches Branding und zur Stärkung des eigenen Profils.
       
  • Die Europäische Kommission hat einen ge­meinsamen Rahmen für Micro-Credentials ent­wickelt, der darauf abzielt, die Qualität und Transparenz von Micro-Credentials in Europa zu erhöhen: "European Taxonomy of Skills,Competences and Occupations" (ESCO). Der Rahmen definiert Mindeststandards für die Gestaltung, Ausstellung und Anerkennung von Micro-Credentials.

Deutschland ist im Bereich der Open Badges und Micro-Credentials übrigens in einigen Bereichen ein Pionier. Ein Beispiel dafür ist die neue Bildungsplattform des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) namens "Bildungsraum". Diese Plattform soll eine zentrale Anlaufstelle für alle Lernenden und Lehrenden sein, die sich über digitale Bildungsangebote informieren, diese nutzen oder selbst anbieten wollen. Der Bildungsraum soll auch die Vergabe und Anerkennung von Open Badges und Micro-Credentials ermöglichen und unterstützen – ein großer Schritte in Richtung Flexibilität und Durchlässigkeit der Anerkennung von Lernleistungen über Anbietergrenzen hinweg.

Plattformen für unternehmensübergreifende Qualifizierungen

Auch Verbände können dieses Potenzial nutzen, indem sie ihre eigenen Open Badges und Micro-Credentials entwickeln, ausstellen und anerkennen. So können sie ihre Mitglieder qualifizieren, motivieren und vernetzen. Der besondere Vorteil liegt dabei in der Anerkennung von spezifischen Kenntnissen bei den Mitgliedsorganisationen. Denn damit haben die Lernenden den Nutzen, dass bei einem Jobwechsel im gleichen Segment die bereits erworbenen Zertifikate übertragbar sind. 

Ein weltweit führendes Beispiel ist "Steeluniversity", eine kollaborative Plattform der International Steel Association: Hier werden Bildungsangebote anhand der ESCO-Taxonomie geordnet und angeboten. Die Aufgabe von Steeluniversity ist es, die proaktive Anpassung des zukünftigen Qualifikationsbedarfs, der von der Industrie und für die Industrie entwickelt wurde, voranzutreiben. Zu den Hauptzielen der Plattform gehören proaktive Qualifikationsanpassungen, neue Ausbildungs- und Lehrplananforderungen, politische Unterstützungsmaßnahmen durch die Mobilisierung und Integration von Interessenvertretern und politischen Entscheidungsträgern auf EU- und nationaler Ebene, erfolgreiche sektorale Weiterbildungsprogramme, effizientes Wissensmanagement und eine größere Attraktivität der Stahlindustrie und der Berufe für Talente – sowohl bei der Anwerbung als auch bei der Bindung der Mitarbeitenden. Anhand von Leistungsindikatoren werden der Erfolg und der Anpassungsbedarf kontinuierlich überwacht.

Steeluniversity bringt dafür die Akteure im Ökosystem der Talententwicklung zusammen, um die Stahlindustrie bei der Entwicklung der Fähigkeiten ihrer bestehenden und neuen Arbeitskräfte zu unterstützen. Die Plattform schafft die Infrastruktur für einen weltweiten Austausch von Inhalten, um ein Verzeichnis von Lernlösungen zu erstellen. Dieses Verzeichnis ist eine Sammlung von Lernlösungen, die von Herausgebern mittels eines Marktplatz-Geschäftsmodells bereitgestellt werden.

Fachliche Unterstützung

Das International Council on Badges and Cre­den­tials e.V. (ICOBC) ist eine Organisation, die sich für die Förderung und Anerkennung von infor­mellem und lebenslangem Lernen durch Open Badges und Micro-Credentials einsetzt. Das ICOBC bietet verschiedene Möglich­keiten, sich über diese Kompetenz­darstellung zu infor­mieren und sie zu implementieren. Dazu gehören Webinare, in denen Expertinnen und Experten verschiedener Bereiche ihre Er­fahrungen und Best Practices teilen, Master­­­classes, in denen Teilnehmende selbst Open Badges und Micro-Credentials gestalten und ver­geben können, sowie Veranstal­tungen wie das jähr­liche Symposium, die den Austausch und die Vernetzung zum Thema fördern.

Vor Kurzem hat Steeluniversity angekündigt, dass sie sich auf Micro-Credentials konzentrieren wird, um den sich verändernden Bedarf der Branche an Arbeitskräften zu decken. Die Plattform stellte diesen neuen Schwerpunkt auf dem Symposium des International Council on Badges and Credentials e.V. (kurz ICOBC, siehe oben) im November 2023 in Berlin vor. Mit der Konzentration auf Micro-Credentials werden die Herausforderungen anerkannt, mit denen die Stahlindustrie konfrontiert ist und die eine ständige Weiterqualifizierung erfordern.

Open Badges und Micro-Credentials in der Stahlindustrie

Die Stahlindustrie befindet sich aufgrund wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer und technologischer Entwicklungen in einem tiefgreifenden Wandel. Diese Veränderungen erfordern, dass sich die Branche und die Wertschöpfungskette neu erfinden. Die Belegschaft muss sich an die digitale Transformation und die Veränderungen in den Produktionsprozessen anpassen und sich auf neue Arbeitspraktiken und Muster der Arbeitsorganisation einstellen. Neue und strengere Vorschriften in Bezug auf Energieeffizienz und Emissionen werden sich ebenfalls auf die Arbeitsweise des Stahlsektors auswirken.

Micro-Credentials werden am Ende einer Lernreise ausgestellt, um die Mobilität von Arbeitnehmern und Studierenden zu ermöglichen. Steeluniversity identifiziert Qualifikationslücken entsprechend den Bedürfnissen der Branche und passt die Bewertung an jedes Unternehmen an. Die Plattform legt die Prioritäten fest, stimmt die Beobachtenden ab und vereinbart einen Entwicklungsplan. Die Schulungsinhalte werden aus dem Verzeichnis der Lernlösungen ausgewählt, und das auf den Fähigkeiten basierende Profil ermöglicht die Entwicklung von Profilen, die auf verschiedene Berufe abgestimmt werden können und somit Mobilität ermöglichen.

Das integrierte Design von Steeluniversity ermöglicht die Entwicklung neuer und innovativer Lösungen im Rahmen des "Capability Assessors", der eine Vielzahl von Methoden zur Bewertung der Fähigkeiten einer Person einsetzt, darunter Selbsteinschätzung, Interviews, Tests und Arbeitssimulationen. Ziel der Bewertung ist es, festzustellen, ob eine Person über die notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt, um eine bestimmte Rolle oder Aufgabe effektiv zu erfüllen, und einen maßgeschneiderten Entwicklungsplan für jede Organisation oder Person zu erstellen.

Den Kreislauf von Entwickeln und Bewerten der Fähigkeiten schließen

Die Plattform bietet mehrere Kanäle, um die Bedürfnisse der verschiedenen Interessengruppen abzudecken, darunter ein Verzeichnis der Lernlösungen, Steel LMS und Steel Hub. Einzelpersonen und kleine Gruppen von Studierenden können über die Steeluniversity-Website auf die Lernlösungen zugreifen. Unternehmen, Universitäten und Schulen, die kein Learning Management System haben, können auf die Lernlösungen über Steel LMS zugreifen, das eine benutzerdefinierte Plattform mit dem Branding, den Logos und den Farben der Organisation ist. Für Unternehmen mit einem Learning Management System, wie Success Factor oder Moodle, werden die Inhalte über die Steel-Hub-Lösung in die Software-Suite des Unternehmens eingebettet.

Das Programm zur Bewertung und Entwicklung der Fähigkeiten von Steeluniversity zielt darauf ab, den Erfolg und die Auswirkungen des Programms kontinuierlich zu messen. Der Kreislauf der Fähigkeitsbewertung und -entwicklung wird durch die Vergabe von Micro-Credentials und Qualifikationen geschlossen, die entweder den erreichten Fähigkeitsstatus oder den erfolgreichen Abschluss der zur Schließung eines Skill-Gaps erforderlichen Entwicklungsaktivität widerspiegeln.

Insgesamt ist die Fokussierung von Steeluniversity auf Micro-Credentials als ein wichtiger Schritt zu bewerten, um den sich wandelnden Bedarf der Stahlindustrie an Arbeitskräften zu decken. Das "Skill Directory" und das "Learning Solution Directory" der Plattform sind wichtige Instrumente zur Ermittlung von Qualifikationslücken und zur Entwicklung der am meisten nachgefragten Qualifikationen für den Stahlsektor.

Dieser Beitrag ist erschienen in personalmagazin neues lernen, Ausgabe 2/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der App personalmagazin - neues lernen.


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