"Wenn Menschen frei sind, wirkt Coaching effektiver"
Haufe Online-Redaktion: Sie haben eine Studie über die Effektivität von Coaching gemacht. Und, ist es effektiv?
Erik de Haan: Es gibt einen Effekt. Wir haben überzeugende Hinweise auf eine Wirksamkeit erhalten. Alle Studien zeigen, dass die Intervention effektiv ist. Coaching hat positive und moderate Effekte, die sich nachweislich signifikant von Null unterscheiden. Und Coaching hat positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden, die Fähigkeiten am Arbeitsplatz und die Zielerreichung. Die Klienten fühlen sich besser, weniger gestresst. Aber es gibt auch arbeitsbezogene Effekte. Sie sind besser vorbereitet und erreichen eher ihre Ziele. Das einzige stichhaltige Gegenargument für die allgemeine Wirksamkeit von Coaching, das ich sehen kann, ist die Tatsache, dass randomisiert kontrollierte Studien, die keine Wirksamkeit zeigen, seltener veröffentlicht werden. Dies wird bekanntlich als das "Schubladenproblem" bezeichnet: Studien ohne Ergebnis, ohne nachgewiesene Wirksamkeit der Intervention, verschwinden in der Schublade des Schreibtischs eines Forschers.
Mithilfe ausgeklügelter statistischer Verfahren, auf die in der Arbeit eingegangen wird, lässt sich genau abschätzen, wie viele Studien, die keine Ergebnisse zeigten, auf diese Weise verschwunden sind - und nie veröffentlicht wurden. Wir können nachweisen, dass sich die von uns gefundene Effektgröße (g) nahezu in Luft auflöst, wenn man alle diese Studien berücksichtigt. Wenn man also eine Schätzung der nicht veröffentlichten Studien berücksichtigt, ist die Evidenz für die Wirksamkeit von Coaching immer noch klein und prekär.
Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Studien
Haufe Online-Redaktion: Was ist das Besondere an Ihrer Studie?
de Haan: Die Studie ist eine umfassende Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien zu Coaching-Programmen, die zwischen 1994 und 2021 in englischer Sprache verfasst wurden. Dabei haben wir strenge Kriterien angewandt, was die Robustheit der statistischen Signifikanz angeht. Die Analyse von 39 Coaching Stichproben mit einer Gesamtstichprobengröße von 2.528 Coachees ergab einen statistisch signifikanten Effekt von Coaching am Arbeitsplatz. Unsere beste Schätzung für einer Standardeffektgröße für Coaching von g 5,59 lag deutlich im moderaten Bereich.
Haufe Online-Redaktion: Was bedeutet das?
de Haan: G gibt die Effektstärke an, also das mit Hilfe statistischer Kenngrößen quantifizierbare Ausmaß eines empirischen Effekts. Ein Wert von 5,59 gibt also eine mittlere Effektstärke an. Eine solche Effektgröße lässt sich ungefähr wie folgt verstehen: Eine Effektgröße von 0,5 entspricht dem Unterschied zwischen der Körpergröße von 14-jährigen und 18-jährigen Mädchen. 0,59 ist etwas mehr, sodass ein deutlich erkennbarer Unterschied zwischen denen, die gecoacht wurden, und denen, die kein Coaching hatten, bestehen sollte.
Studien über Business Coaching sind selten
Haufe Online-Redaktion: Was ist das Besondere an randomisierten kontrollierten Studien?
de Haan: Randomisierte kontrollierte Studien sind der beste Standard für die Erforschung von menschlichen Interventionen in Soziologie, Medizin oder Psychologie. Es ist der beste Typ von Experiment, den wir haben. Denn er liefert uns die beste Garantie, dass die Ergebnisse, die wir am Ende finden, der Intervention zugeordnet werden können. Bei Coacing ist das sehr schwierig. Man kann keine Double-Blind-Studien wie in der Medizin machen, wo weder der Coach noch der Klient wissen, was sie bekommen. Dazu kommt, dass der Kunde im Coaching oft einen guten Service möchte und das bedeutet, dass er Flexibilität vom Coach fordert in punkto Zeit und dass er die Klienten den Sessions zuteilen möchte. Aber in einem randomisiert kontrollierten Experiment haben nur 50 Prozent die Chance auf ein Coaching und das entscheidet ein Zufallsgenerator. Vielleicht müssen sie daher in die Kontrollgruppe gehen, die kein Coaching bekommt. Das ist sehr schwierig zu organisieren. Deshalb gibt es viele Experimente in Krankenhäusern und Universitäten und nicht so viele in Unternehmen.
Ich war sehr glücklich, eine dieser Studien bei dem Pharmakonzern GSK machen zu können. Die haben so viel Coaching, dass sie eine randomisierte kontrollierte Studie organisieren konnten. Die meisten Studien fanden in einem speziellen Setting statt, wo die Teilnehmenden gezwungen werden können, in eine Gruppe zu gehen. Es gibt viele Studien an Universitäten mit Studierenden als Coaches und Coachees. Die bekommen als Teil ihres Studiums ein Coaching und der Zeitrahmen kann von den Forschern bestimmt werden. Das ist beim Executive Coaching nicht der Fall.
Haufe Online-Redaktion: Wie gut ein Coaching wirkt, basiert meist auf der Selbstbeschreibung des Klienten. Gibt es da nicht eine Verzerrung?
de Haan: Ja, die Effekte bei selbstberichteten Ergebnissen sind größer als bei beobachteten Ergebnissen. Das kann man natürlich kritisch sehen. Wer ein Coaching macht und zu den Coachingsitzungen geht, neigt dazu, das Ganze als hilfreich zu sehen. Die Effektgrößen für die Selbsteinschätzung werden also nach oben verzerrt sein. Aber es gibt Effekte, die nicht von den Teilnehmenden bestimmt werden. Zum Beispiel von ihren Vorgesetzten – und die sagen, dass sie besser geworden und produktiver geworden sind. Das sind die Effekte, die wirklich interessant sind.
Effekte von Coaching: Führungskräfte lassen sich weniger beeinflussen
Haufe Online-Redaktion: Wie sieht es bei Führungskräften aus?
de Haan: Die Führungskräfte haben den kleinsten Effekt, die Studierenden die größten Effekte. Die Mitarbeitenden ohne Führungsfunktion und die Manager auf den unteren Ebenen liegen dazwischen. Wir vermuten, dass die Führungskräfte schwieriger vom Coach zu beeinflussen sind. Sie sind eher stabiler in ihrer Persönlichkeit und auch autokratischer. Sie entscheiden selbst, sie machen nicht die Coaching-Hausaufgaben. Da sind die Effekte geringer, aber Coaching ist immer noch effektiv für Führungskräfte. Das ist die Hauptbotschaft. Wenn sie von ihrem Manager gecoacht werden, haben die mehr Einfluss. Sie verbringen mehr Zeit mir ihnen als ein Executive Coach. Sie sehen sie in Meetings und sie beobachten, wenn sie arbeiten. Das hat mehr Effekt auf ihre Leistung. In vier Studien haben Linienmanager eine Coachingfunktion übernommen. Die Studien haben wir am Ende ausgeschlossen, weil sie nicht wirklich professionales Coaching waren und mehr über den Einfluss von Vorgesetzen ausgesagt haben.
Haufe Online-Redaktion: Was ist mit Frauen? Profitieren die mehr von einem Coaching?
de Haan: Coaching erzielt höhere Effekte bei weiblichen Coachees. Aber wir wissen nicht warum. Vielleicht weil sie eher eine Minderheit in den meisten Organisationen sind? Vielleicht sind sie dankbarer und empfänglicher? Vielleicht arbeiten sie härter an sich, wenn sie Unterstützung bekommen? Da fehlen noch die Daten.
Externe, qualifizierte Coachs lösen größere Effekte beim Coachee aus
Haufe Online-Redaktion: Es gibt externe und interne Coaches. Welche sind effektiver?
de Haan: Wenn das Coaching durch einen externen, qualifizierten Executive-Coach durchgeführt wird, zeigt es größere Effekte als das Coaching durch einen internen oder einem studentischen Coach. Wobei das "qualifiziert" von der Studie abhängt. Normalerweise bedeutet es, dass der Coach einen Kurs gemacht hat oder eine Akkreditierung hat. Bei den Studenten-Coaches ist es oft Teil ihrer Qualifikation. Die internen Coaches waren meist Manager, die nebenbei Coaching gemacht haben.
Haufe Online-Redaktion: Welche Auswirkung hat die Dauer eines Coachings auf seine Effektivität?
de Haan: Die Wirkung des Coachings ist unabhängig von der Anzahl der durchgeführten Coaching-Sitzungen. Das ist zunächst ein kontraintuitives Ergebnis, aber wir haben es schon früher gefunden. Die Größe der Effekte hängt nicht von der Zahl der Sitzungen ab. Coach und Coachee entscheiden, basierend auf der Zeit, was sie machen, um das Beste herauszuholen. Wenn das Angebot kürzer ist - also auf vier oder sechs Sitzungen beschränkt ist - nehmen sie trotzdem noch viel mit. Da ist dasselbe wie in der Psychotherapie. Wenn man die Zahl der Sitzungen reduziert, reduziert man die Zeit, aber nicht die Effektivität.
Ratschlag von Erik de Haan an Personalentwickler:innen: "Machen Sie #Coaching so freiwillig wie möglich. Lassen Sie die Mitarbeitenden wählen, mit wem sie arbeiten. Lassen Sie sie die Zahl der Stunden verhandeln."
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Haufe Online-Redaktion: Welchen Tipp haben Sie für Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Coaching anbieten?
de Haan: Machen Sie es so freiwillig wie möglich. Lassen Sie die Mitarbeitenden wählen, mit wem sie arbeiten. Lassen Sie sie die Zahl der Stunden verhandeln. Sie können das Budget beschränken, aber Sie können es ihnen überlassen, wie viele Sessions sie wollen. Es scheint, wenn Menschen frei sind, wirkt Coaching effektiver.
Haufe Online-Redaktion: Das ist das Gegenteil, was manche Coaching-Plattformen gerade machen. Die gehen sehr strukturiert vor und beschränken die Zahl der Sitzungen.
de Haan: Auf diesen Plattformen findet viel statt, das nichts mit Coaching zu tun hat. Da muss man Fragebögen ausfüllen, bestimmte Aufgaben machen und wird dabei gemessen. Das Coaching ist weniger maßgeschneidert für den Klienten und kann weniger auf seine Bedürfnisse angepasst werden. Ich bin kein Fan von den Plattformen. Coaching scheint auf einer Basis von Freiheit zu funktionieren.
Online-Coaching zeigt gute Effekte
Haufe Online-Redaktion: Gilt das auch für Online-Coaching?
de Haan: Hier haben wir Evidenz, dass Online-Coaching auch effektiv ist. Ich selbst mache Online-Coaching und finde es sehr hilfreich, auch für mich selbst. Mein Supervisor ist nicht in London. Wir haben keine Meetings, sondern eine Online-Treffen jeden Monat. Aber ich möchte keinen Supervisor auf einer Plattform. Das beschränkt meine Optionen. Ich würde mich mehr kontrolliert von der Organisation fühlen, wenn sie ihr Budget und ihre Mitarbeitenden auf diese Art kontrolliert. Auch der Coach fühlt sich weniger frei. Er wird den Klienten weniger herausfordern, weil der ganz leicht den Coach wechseln kann. Ich glaube, dass Coaching auf einer Plattform weniger effektiv ist. Aber das ist meine persönliche Meinung.
"Wir glauben, dass das Gefühl der Macht über die eigene Zukunft zu bestimmen, ein Teil davon ist, was Coaching effektiv macht." – Erik De Haan
Haufe Online-Redaktion: Kontrolle ist also negativ für Coaching?
de Haan: Eine Plattform gibt dem Klienten weniger Einfluss. Die Organisation oder der Betreiber der Plattform übernimmt einen Teil der Kontrolle. Es muss eine bestimmte Plattform sein. Das Coaching findet zu bestimmten Zeit statt. Das alles macht den Klienten weniger einflussreich. Wir glauben, dass das Gefühl der Macht über die eigene Zukunft zu bestimmen, ein Teil davon ist, was Coaching effektiv macht. Die Koregulation auf der Grundlage von gegenseitiger Beeinflussung, Vertrauen und Motivation zwischen Coach und Coachee ist der wichtigste Prädiktor für die Wirksamkeit von Coaching. Das ist so wie ein Tanz, ein Experimentieren und man kann an den Körperbewegungen beobachten. Gibt es eine Synchronie? Entscheidet man gemeinsam, wie viele Sitzungen man macht? Legt man die Lernziele fest? Welche Themen will man behandeln? Es ist ein Prozess des gegenseitigen Beeinflussens. Dieser Einfluss der Klienten wirkt sich auf das Ergebnis aus. Das ist unsere wesentliche Schlussfolgerung.
Haufe Online-Redaktion: Dann geht es mit den Plattformen also in die falsche Richtung?
de Haan: Ich verstehe den Prozess der Demokratisierung von Coaching, es mehr Mitarbeitenden anzubieten. Es gibt Gründe, das zu tun. Aber wir müssen vorsichtig sein. Klienten, die Kontrolle über eigenes Budget haben, werden keine Plattform nützen. Das mittlere Management, die oft nur aus einem kleinen Pool von geprüften Coaches auswählen kann, muss die Plattformen nutzen.
Mehr Forschung zu Coaching
Haufe Online-Redaktion: Wie sehen Sie die Zukunft von Coaching?
de Haan: Ich denke, es wird viel mehr Studien über Online-Coaching geben. Das ist sehr interessant, weil die ersten Ergebnisse zeigen, dass es sehr effektvoll sein kann und weil inzwischen die Hälfte unseres Geschäfts online ist. Das ist eine wesentliche Verschiebung. Ich hoffe auf mehr und bessere Forschung, sodass wir in zehn Jahren eine weiter Metaanalyse machen können. Aber ich bin recht stolz, was wir schon wissen. Wenn wir es mit dem Mentoring, der Führungskräfteentwicklung und Training oder anderen Interventionen vergleichen, wissen wir schon viel mehr über Coaching.
Link zur Studie: Erik de Haan, Viktor O. Nilsson: What Can We Know about the Effectiveness of Coaching? A Meta-Analysis Based Only on Randomized Controlled Trials.
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