Coaching: Bedeutung und Entstehung von Aha-Erlebnissen

Wenn Coachees von einer besonders wichtigen Coaching-Sitzung berichten, dann sprechen sie von Highlights, die man auch "Aha!"-Momente nennt: Plötzlich ergibt alles Sinn! Man sieht eine Situation, ein Problem oder eine Frage auf einmal mit bestechender Klarheit. Doch wie können im Coaching mehr solcher Aha-Erlebnisse entstehen?

Jede Führungskraft, die sich für Coaching interessiert, freut sich, wenn sie von einer Kollegin oder einem Kollegen einen Coach ("Der tut Dir bestimmt so gut wie mir") empfohlen bekommt. Man ist fest überzeugt: Niemand wird einem Freund oder einer Freundin einen nur durchschnittlich begabten Coach empfehlen. Empfohlen wird ein Könner – und das mit gutem Gewissen. 

Coach muss zum Coachee und zum Thema passen

Gleichwohl ist eine Empfehlung nur eine Vorauswahl. Nicht jede Empfehlung entpuppt sich in der Praxis als Glücksgriff. Gute Chancen auf einen Glückstreffer gibt es mit Abstrichen immer dann, wenn der Empfehlungsgeber ein ähnlicher Typ ist wie man selbst. Jemand, der gerne kluge, tiefschürfende Gespräche führt, wird dagegen mit der Empfehlung eines oberflächlichen Freundes wenig anfangen können. Je ähnlicher der Empfehlungsgeber demjenigen ist, der einen Coach sucht, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Empfehlung ein Volltreffer sein wird. Aber andererseits gilt auch: Jeder Mensch steckt am Beginn eines Coachings in einer anderen (Not-)Situation und hat andere Bedürfnisse. Er braucht einen Coach, der von der Ausbildung und der Erfahrung zu ihm und seinem "Thema" wirklich passt. 

Die Schlussfolgerung daraus ist, dass jeder selbst einen gründlichen Suchprozess durchführen muss und für die endgültige Auswahl seines Coachs selbst verantwortlich ist. Beachtet werden muss auch der Grund, warum ein Coach einem Empfehlungsgeber gefallen hat. Es macht einen Unterschied, ob der Coach dafür gelobt wird, dass man bei ihm eine halbe Stunde überziehen kann, ohne dass etwas extra berechnet wird. Oder ob der Coach seine Anerkennung dafür bekommt, dass er geschickt dafür sorgte, dass beim Empfehlungsgeber nach einigen Sitzungen endlich der Groschen fiel.

Einen Coachee nach den Aha-Momenten fragen

Wenn die Gelegenheit besteht, sollte man einen Empfehlungsgeber unbedingt fragen, ob er im Coaching über sich etwas Neues und geradezu Überraschendes erfahren hat. So ein ausgesprochenes Highlight einer Coaching-Sitzung nennt man auch Aha-Moment. Wir alle kennen diese Augenblicke: Plötzlich ergibt alles Sinn! Man sieht eine Situation, ein Problem oder eine Frage auf einmal mit bestechender Klarheit. Nicht alle neuen Einsichten sind solche wertvollen Aha-Erlebnisse. Gemeint sind besondere Geistesblitze, die mit starken Gefühlen der Freude über eine neue Erkenntnis verbunden sind. 

Besondere Aha-Momente (also quasi das Ergebnis eines Coachings) sagen sehr viel über die Qualität eines Coachs aus. Denn der wird, wenn er wirklich gut ist, seine Klienten schließlich genau dort hinleiten. "Mir ging plötzlich ein Licht auf", sagte zum Beispiel ein Teamleiter, der im Coaching erkannte, dass er nicht der neutrale Beobachter von Streitereien in seinem Team ist, sondern fast immer am Entstehen des entsprechenden Streits beteiligt war. Er kam ins Coaching mit dem ursprünglichen Wunsch, Tricks zu lernen, wie er seine Leute manipulieren könnte, friedfertiger zu sein. Jetzt hatte er die schmerzhafte Gewissheit, dass er selbst Teil eines Problems ist. 

Wenn ansonsten von Aha-Momenten gesprochen wird, dann kommen auch Beispiele von jungen Mitarbeitenden, denen plötzlich sehr klar wird, dass sie niemals eine Führungskraft sein wollen und was das mit ihrer Biografie zu tun hat. Andere erkennen schlagartig, dass sie ihre Karriere nur deshalb vorangetrieben haben, um ihnen nahestehenden Menschen das Gefühl finanzieller Sicherheit zu vermitteln. Ob ein Klient einen Aha-Moment erlebt, lässt durchaus Rückschlüsse auf die Qualität eines Coachs zu, denn er muss in der Coaching-Stunde für eine entspannte, stressfreie Atmosphäre sorgen und es mit seinen Fragen zum Beispiel möglich machen, dass ein Klient sein Problem neugierig aus einer anderen Perspektive oder gar aus dem Blickwinkel seiner Gegner betrachtet. 

Auch die Wissenschaft untersucht Aha-Momente

"Wie können im Coaching mehr Aha-Erlebnisse entstehen?", fragen sich der Führungskräftecoach Felix Müller und der Psychologieprofessor Dr. Siegfried Greif in einem Beitrag für das "International Handbook of Evidence-Based Coaching", das in diesem Jahr bei Springer in Wiesbaden erschienen ist. Die Wissenschaft beschäftigt sich schon länger mit der Frage, wie neue Einsichten und Problemlösungen entstehen. Dabei geht es nicht um neue Methoden, sondern um den "Prozess", der zu Aha-Erlebnissen führt. Viele kommen ins Coaching, weil sie irgendwo feststecken und trotz vieler Problemlösungsversuche nicht weiterkommen. 

Kleine Denkanstöße fördern das individuelle Problemlösen

Müller und Greif beschreiben einen der üblichen Prozesse, die zu einem Aha-Erlebnis führen so: Es wird im Coaching ein Bedürfnis aktiviert, das nicht befriedigt werden kann. Alle Versuche führen zuerst zu vergeblichen Lösungsansätzen. Um das Ziel zu erreichen, ist eine gedankliche Umstrukturierung erforderlich. Sie gelingt erst nach einem kleinen Hinweis eines Coachs oder nach kleineren Impulsen aus Ratgeberbüchern oder Videos. Der Hinweis wird vom Coachee individuell weiterentwickelt. Die Lösung entsteht plötzlich und führt zu einer starken positiven Erregung. Der Prozess lautet also: Bedürfnis – vergebliche Problemlösungsversuche – Hinweis – plötzliche Einsicht durch Umstrukturieren – Lösung. 

Man kann laut Müller aber auch ohne einen Impuls von außen (allein durch Denken) ein bewusstes Umstrukturieren starten. "Um dies zu fördern, gibt es Kreativitätstechniken, die dazu anregen, das Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten." Üblich ist, dass ein Coach (nach vergeblichen Lösungsversuchen durch den Coachee) bittet, das Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Alternativ könnte der Coachee versuchen, das Problem zu verfremden oder Analogien zu anderen Bereichen zu suchen. Üblich ist es, in der Tier- und Pflanzenwelt nach Vorbildern für ökonomische oder technische Lösungen zu suchen. 

Wichtig ist, dass Klientinnen und Klienten in einen ruhigen und entspannten Zustand kommen, damit sie einen besseren Zugang zu ihrem Erfahrungswissen öffnen können. Eine Büroumgebung  oder auch nur die Businesskleidung können allerdings das Gehirn leider dazu verführen, in die "Task Orientation", zu wechseln, in dem konzentriertes analytisches Arbeiten angesagt ist. Dann ist es mit der Kreativität schnell vorbei. Es gilt deshalb als problematisch, wenn Coachings vor Ort im Unternehmen stattfinden. Dort stellt sich das Gehirn auf Arbeit und Prozesseffizienz ein.

Besser sind hingegen Coaching-Sitzungen in anderer Umgebung, die mit Kreativität, Innovation oder Entspannung verbunden ist. Alternativ bietet sich Coachen beim Spazierengehen in einer schönen Landschaft an, um Distanz zu schaffen. Viele Menschen berichten, dass sie auf einem Coaching-Spaziergang Aha-Momente erlebten. Wenn Coaching in den Räumen des Coachs stattfindet, soll entspanntes Sitzen möglich sein, und der Raum sollte nicht an Büroräume erinnern. Man kann die Klientinnen und Klienten auffordern, bewusst den Blick auf ein gut gewähltes Bild zu richten, das sie entspannt.

"Wunderfrage" des lösungsfokussierten Coachings hilft

Die "Wunderfrage" der Lösungsfokussierten Therapie nach de Shazer wird von vielen auch im Coaching verwendet: "Stellen Sie sich vor, eine Fee besucht Sie über Nacht, und am nächsten Tag ist alles so, wie Sie es sich wünschen …" Mit diesem Reframing kann laut Müller und  Greif eine funktionale Fixierung gelöst werden, indem die Fixierung auf das Problem übersprungen wird. Die Nutzung der Fee als imaginäres Element erlaubt es den Klientinnen und Klienten, die Realität hinter sich zu lassen – wie im Märchen. Erwartet wird, dass sie danach ihr Erfahrungswissen freier zur Lösung nutzen können. 

Aber auch durch ein zirkuläres Fragen können im Coaching neue Einsichten, zum Beispiel über das Verhalten anderer Personen, mit denen man einen Konflikt hat, gefördert werden. Zudem sollen die Ratsuchenden durch zirkuläre Fragen lernen, die Perspektive zu wechseln. Müller betont: "Nach unseren Erfahrungen entstehen in der Anwendung recht häufig Aha-Erlebnisse. Dies lässt sich sehr einfach durch die mit den Fragen angeregten Perspektivenwechsel erklären." Wird Klientinnen und Klienten durch die reflexiven Rekonstruktionen bewusst, welchen Anteil sie selbst am Verhalten der anderen haben, können sich Fixierungen schnell lösen, was als wichtige neue Einsicht erlebt wird. Diese Methode erfordert und fördert den "Selbstzugang" (Wahrnehmung der Selbstrepräsentationen). Auch hier gilt: In einem entspannten Zustand ist es leichter, zu Aha-Effekten zu kommen.


Dieser Beitrag ist zuvor in der Zeitschrift "wirtschaft+weiterbildung", Ausgabe 10/2022 erschienen.


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Schlagworte zum Thema:  Coaching, Mitarbeiterführung