Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulungsteilnahme eines Wirtschaftsausschußmitglieds
Leitsatz (amtlich)
Wirtschaftsausschußmitglieder, die nicht zugleich Betriebsratsmitglieder sind, haben regelmäßig keinen Anspruch auf Vergütung für die Dauer einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG (im Anschluß an BAG Urteil vom 28. April 1988 – 6 AZR 39/86 – NZA 1989, 221).
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6, § 107 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Juli 1997 – 3 Sa 2443/96 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger als Mitglied des Wirtschaftsausschusses ein Anspruch auf Entgeltzahlung für die Dauer seiner Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG zusteht.
Der Kläger ist gelernter Werkzeugmacher und bei der Beklagten, die in ihrem Betrieb mit etwa 720 Arbeitnehmern Schrauben herstellt, seit dem 28. April 1992 als Kontrolleur in der Qualitätssicherung gegen einen Bruttostundenlohn von zuletzt 23,65 DM mit 35 Wochenstunden beschäftigt. Er gehört seit 1996 dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Wirtschaftsausschuß an und ist außerdem Ersatzmitglied des aus 11 Mitgliedern bestehenden Betriebsrats. Er ist allerdings bisher nicht aktiv als Betriebsratsmitglied tätig geworden, weil er auf der Ersatzmitgliederliste weit hinten steht. Aufgrund Betriebsratsbeschlusses vom 16. Januar 1996, dem die Beklagte widersprochen hat, nahm der Kläger in der Zeit vom 18. bis zum 23. Februar 1996 an dem Seminar „Wirtschaftsausschuß” im Bildungszentrum der IG Metall in S teil. Die Beklagte kürzte daraufhin bei der Lohnabrechnung für Februar 1996 den Lohn des Klägers um 827,75 DM brutto. Deshalb zahlte die IG Metall dem Kläger gemäß Bescheinigung vom 22. Februar 1996 als „Seminarentschädigung” einen Betrag von 931,00 DM; der Kläger verpflichtete sich gegenüber der IG Metall, ihr den gezahlten Verdienstausfall zurückzuzahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei in analoger Anwendung des § 37 Abs. 6 BetrVG zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Bei ihm liege ein Ausnahmefall vor, in dem nach der einschlägigen Rechtsprechung eine derartige Verpflichtung bestehe. Dazu hat er behauptet, er verfüge nicht über die in § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG vorgesehene Eignung als Wirtschaftsausschußmitglied. In zwei Sitzungen dieses Gremiums, in denen der Arbeitgeber eine Vielzahl von Daten vorgelegt habe, sei er ohne den Seminarbesuch auch nicht annähernd in der Lage gewesen, die wirtschaftliche Tragweite der Zahlen zu verstehen und Verständnisfragen bzw. kritische Fragen zu stellen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Forderung der IG Metall in Höhe von 827,75 DM brutto zu befreien.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet, denn die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
I. In seiner Eigenschaft als Mitglied des Wirtschaftsausschusses hat der Kläger keinen Anspruch auf Lohnzahlung für die Zeit seiner Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG.
1. Die §§ 106 ff. BetrVG enthalten keine Bezugnahme auf die Vorschrift des § 37 Abs. 6 BetrVG, die ihrerseits nur auf § 37 Abs. 2 BetrVG und damit nur auf Betriebsratsmitglieder Bezug nimmt. Eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 6 BetrVG auf Mitglieder des Wirtschaftsausschusses wird vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung verneint (BAG Beschluß vom 6. November 1973 – 1 ABR 8/73 – BAGE 25, 348 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972 m. Anm. Kittner; BAG Beschluß vom 20. Januar 1976 – 1 ABR 44/75 – AP Nr. 10 zu § 89 ArbGG 1953; BAG Urteil vom 28. April 1988 – 6 AZR 39/86 – NZA 1989, 221). Vor allem im letztgenannten Urteil hat sich der Sechste Senat eingehend mit den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes befaßt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß keine planwidrige Gesetzeslücke vorliege. Insbesondere zeige die Sollvorschrift des § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, daß der Gesetzgeber den Kreis der in den Wirtschaftsausschuß zu entsendenden Arbeitnehmer auf diejenigen beschränken wollte, die die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Voraussetzungen bereits besitzen, so daß es einer weiteren Schulung nicht mehr bedürfe.
2. An dieser Rechtsprechung, daß § 37 Abs. 6 BetrVG jedenfalls in aller Regel auf Wirtschaftsausschußmitglieder, die nicht Betriebsratsmitglieder sind, nicht anwendbar ist, hält der Senat fest. Die Rechtsbeschwerde beruft sich ihr gegenüber fast ausschließlich auf die Ausführungen von Kittner in seiner Anmerkung zu dem bereits angeführten Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 1973, mit denen sich allerdings bereits der Sechste Senat in seinem angeführten Urteil vom 28. April 1988 auseinandergesetzt hat. Insbesondere kann dem Argument Kittners nicht gefolgt werden, § 37 Abs. 6 BetrVG müsse auf Wirtschaftsausschußmitglieder anwendbar sein, weil für sie nach allgemeiner Meinung auch der in den §§ 106 ff. BetrVG ebenfalls nicht in Bezug genommene § 37 Abs. 2 BetrVG gelte (zum umfangreichen Schrifttum zu dieser Frage vgl. insbesondere die Nachweise bei Fabricius, GK-BetrVG, 6. Aufl., Bd. 2, § 107 Rz 35 ff.). Denn die Lohnzahlungspflicht für die Zeit einer Arbeitsverhinderung durch die Tätigkeit im Wirtschaftsausschuß ergibt sich zwanglos aus dem Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG, der ausdrücklich auch für die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses gilt. Bei der Nichtzahlung von Lohn für die Zeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung liegt demgegenüber eine Benachteiligung des Wirtschaftsausschußmitglieds im Vergleich zu sonstigen Arbeitnehmern nicht vor.
3. Im übrigen erschöpfen sich die Angriffe der Revision gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im wesentlichen in Hinweisen auf die steigenden Schwierigkeiten der Arbeit eines Wirtschaftsausschusses und damit in rechtspolitischen Argumenten, die gegen die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene systematische Auslegung des geltenden Gesetzes nicht angeführt werden können.
4. Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, in dem nach der angeführten Rechtsprechung des Sechsten Senats ein Entgeltzahlungsanspruch auch für Wirtschaftsausschußmitglieder, die nicht Betriebsratsmitglieder sind, denkbar wäre. Allein der Umstand, daß dem Kläger die in § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG geforderte fachliche oder persönliche Eignung gefehlt haben könnte, reicht zur Annahme eines Ausnahmefalles nicht aus.
Gemäß § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG sollen nur solche Arbeitnehmer zu Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses bestellt werden, die die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche fachliche und persönliche Eignung besitzen. Jedenfalls die Bestellung von Wirtschaftsausschußmitgliedern, die dem Betriebsrat nicht angehören, macht der Gesetzgeber daher vom Vorhandensein der für ihre Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten abhängig, so daß ein Bedürfnis für die Schulung nach der gesetzlichen Wertung grundsätzlich nicht besteht.
Entgegen der Ansicht der Revision handelt es sich bei § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auch nicht lediglich um eine unverbindliche Empfehlung. Auch eine Sollvorschrift ist im Grundsatz eine zwingende Vorschrift, von deren Beachtung lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalles aus vernünftigen und einsichtigen Gründen abgewichen werden darf (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG Beschluß vom 8. April 1992 – 7 ABR 71/91 – AP Nr. 11 zu § 26 BetrVG 1972, m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall, in dem der Betriebsrat von § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG abweichen darf, könnte z.B. vorliegen, wenn der Betriebsrat völlig neu gewählt wurde oder wenn er keinen Arbeitnehmer findet, der die erforderliche fachliche und persönliche Eignung besitzt. Diese Voraussetzungen liege indessen auch nach dem Vorbringen des Antragstellers nicht vor.
II. Auch aus seiner Eigenschaft als Ersatzmitglied des Betriebsrats ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG Beschluß vom 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – BAGE 52, 73 = AP Nr. 53 zu § 37 BetrVG 1972) kann der Betriebsrat zwar auch ein Ersatzmitglied zu einer Schulungsveranstaltung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG entsenden, wenn der Erwerb der dort vermittelten Kenntnisse für die Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats erforderlich ist; Voraussetzung ist jedoch, daß es sich um ein häufig herangezogenes Ersatzmitglied handelt bzw. daß mit seiner zukünftigen häufigen Heranziehung zu rechnen ist. An diesen Voraussetzungen fehlt es im Fall des Klägers. Denn bisher ist er noch nicht als Betriebsratsmitglied tätig geworden. Auch steht er nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weit hinten auf der Ersatzmitgliederliste. Mangels entsprechendem Sachvortrags kann daher auch nicht angenommen werden, daß er künftig in wesentlichem Umfang als Betriebsratsmitglied tätig werden wird.
Unterschriften
Dörner, zugleich für wegen Urlaubs an der Unterschrift verhinderten Richterin Schmidt, Steckhan, Dr. Koch, Hökenschnieder
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.11.1998 durch Siegel, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436100 |
BB 1999, 1328 |
DB 1999, 2476 |
ARST 1999, 195 |
FA 1999, 200 |
NZA 1999, 1119 |
RdA 1999, 360 |
SAE 1999, 251 |
AP, 0 |