Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulage. vorübergehend übertragene Tätigkeit
Orientierungssatz
- Eine höher zu bewertende Tätigkeit ist dem Arbeiter vorübergehend iSv. Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis übertragen, wenn dieser die ihm übertragene Tätigkeit nach der Vorstellung des Arbeitgebers nicht dauerhaft, sondern nur zeitweilig ausüben soll.
- Eine regelmäßig wiederkehrende Heranziehung des Arbeiters zur höher zu bewertenden Tätigkeit schließt eine vorübergehende Übertragung nicht aus.
- Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis knüpft den Anspruch auf die Zulage an die vorübergehende Übertragung der höher zu bewertenden Tätigkeit für mindestens drei Arbeitstage und daran, dass diese Tätigkeit den Arbeiter zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch nimmt. Ohne Bedeutung ist deshalb, in welchem Umfang der Arbeiter die zulagenberechtigende Tätigkeit im Jahresdurchschnitt ausübt.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 3; BAT § 24 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger auf Grund einer ihm übertragenen höher zu bewertenden Tätigkeit eine tarifliche Zulage zusteht.
Der Kläger ist seit November 1997 bei der Beklagten als Arbeiter in der Friedhofsverwaltung beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – (BMT-G-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Gemäß einer Stellenbeschreibung des Amtes für Umwelt und Grünflächen vom 1. Oktober 1998 ist der Kläger zu 15 % seiner Arbeitszeit mit maschinellem und manuellem Winterdienst beschäftigt. Als Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Ausführung des Winterdienstes nennt die Stellenbeschreibung die Bedienung sämtlicher technischer Geräte und die Ausführung kleinerer Reparaturarbeiten. Mit Wirkung ab 1. November 2001 wurde der Kläger von der Lohngruppe 3, Fallgruppe 3, in die Lohngruppe 3a, Fallgruppe 1, der Anlage 1 des Tarifvertrages zu § 20 Abs. 1 BMT-G-O vom 14. Mai 1991 idF des Änderungstarifvertrages Nr. 8 vom 30. Juni 2000 (TV Lohngruppenverzeichnis) höhergruppiert.
Die Beklagte setzte den Kläger vom 1. November 2000 bis zum 31. März 2001 sowie vom 1. November 2001 bis zum 31. März 2002 als Kraftfahrer im Winterdienst ein. Die Tätigkeit eines Kraftfahrers ist in der Lohngruppe 4 der Anlage 1 TV Lohngruppenverzeichnis als Beispiel aufgeführt. Abschnitt I Nr. 4 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis lautet:
“4. Zulagen für vorübergehend übertragene Tätigkeiten
Der Arbeiter, dem vorübergehend, jedoch für mindestens drei Arbeitstage, eine höherzubewertende Tätigkeit übertragen ist, die ihn zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch nimmt, erhält für die Dauer dieser Tätigkeit eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Monatstabellenlohn seiner Lohngruppe und dem Monatstabellenlohn der Lohngruppe, der die höherzubewertende Tätigkeit zuzuordnen ist. Ist Satz 1 in einem Vertretungsfall anzuwenden, ist bei der Errechnung des Unterschiedsbetrages eine etwa zustehende Vorarbeiter- oder Facharbeiterzulage zu berücksichtigen.”
Vom 1. Juli 2001 bis zum 31. Oktober 2001 war der Kläger vertretungsweise als Kraftfahrer im Bereich Grünflächen tätig. Die Beklagte zahlte ihm für die Dauer dieser vertretungsweise ausgeübten Tätigkeit eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Monatstabellenlohn der Lohngruppe 3 und dem Monatstabellenlohn der Lohngruppe 4 der Anlage 1 TV Lohngruppenverzeichnis.
Der Kläger hat gemeint, ihm stehe diese Zulage auch für seine Tätigkeit als Kraftfahrer im Winterdienst zu. Die Beklagte habe ihm diese Tätigkeit jeweils vorübergehend übertragen.
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 500,48 Euro brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, der in der Stellenbeschreibung aufgeführte maschinelle und manuelle Winterdienst erfasse die Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer im Winterdienst. Sie habe diese Tätigkeit dem Kläger nicht vorübergehend, sondern dauerhaft übertragen. Eine Tätigkeit sei nur dann vorübergehend iSv. Abschnitt I Nr. 4 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis übertragen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeiter die höher zu bewertende Tätigkeit auf Grund unvorhergesehener und nicht eingeplanter Umstände übertrage und der Arbeiter nach der Vorstellung des Arbeitgebers die Tätigkeit zukünftig nicht wieder übernehmen solle.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit der Kläger eine Zulage iHv. insgesamt 500,48 Euro brutto beansprucht hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Ihm steht für die Dauer seiner Tätigkeit als Kraftfahrer im Winterdienst die beanspruchte tarifliche Zulage zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, die Beklagte habe dem Kläger die Tätigkeit eines Kraftfahrers im Winterdienst nicht vorübergehend iSv. Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis, sondern auf Dauer übertragen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte den Kläger nur jeweils von November bis März als Kraftfahrer im Winterdienst einsetze. Ohne Bedeutung sei, dass der Kläger in diesen Monaten zeitlich mindestens zur Hälfte eine höher zu bewertende Tätigkeit ausübe. Maßgebend sei der Mittelwert eines Jahres. Der Kläger sei der Behauptung der Beklagten nicht entgegengetreten, wonach Tätigkeiten nach der Lohngruppe 4 der Anlage 1 TV Lohngruppenverzeichnis im Jahresdurchschnitt nicht mindestens im hälftigen Umfang anfielen.
II. Dem folgt der Senat weder in der Begründung noch im Ergebnis.
1. Der Anspruch des Klägers auf die beanspruchte tarifliche Zulage in unstreitiger Höhe von 500,48 Euro folgt aus Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis. Nach dieser Tarifvorschrift erhält der Arbeiter, dem vorübergehend, jedoch für mindestens drei Arbeitstage, eine höher zu bewertende Tätigkeit übertragen ist, die ihn zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch nimmt, für die Dauer dieser Tätigkeit eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Monatstabellenlohn seiner Lohngruppe und dem Monatstabellenlohn der Lohngruppe, der die höher zu bewertende Tätigkeit zuzuordnen ist. Der Kläger hat diese tariflichen Voraussetzungen in den Anspruchszeiträumen erfüllt.
2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger in den Monaten November 2000 bis März 2001 sowie November 2001 bis März 2002 die Tätigkeit eines Kraftfahrers im Winterdienst zeitlich mindestens zur Hälfte ausgeübt. Die Tätigkeit eines Kraftfahrers ist im Vergleich zur Tätigkeit des Klägers in der Friedhofsverwaltung eine höher zu bewertende Tätigkeit. Sie entspricht den Anforderungen der Lohngruppe 4 der Anlage 1 TV Lohngruppenverzeichnis und ist dort als Beispiel genannt. Diese Bewertung ist zwischen den Parteien auch nicht umstritten. Die Beklagte hat dem Kläger für die von Juli bis Oktober 2001 vertretungsweise ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer im Bereich Grünflächen auf Grund der höheren Bewertung dieser Tätigkeit die tarifliche Zulage gezahlt. Kein Streit besteht auch darüber, dass die Tätigkeit als Kraftfahrer den Kläger in den Anspruchszeiträumen zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch genommen hat.
3. Die Beklagte hat dem Kläger die Tätigkeit als Kraftfahrer im Winterdienst jeweils zeitlich begrenzt und damit vorübergehend iSv. Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis übertragen.
a) Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet “vorübergehend” nur zeitweilig, nur eine gewisse Zeit dauernd (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort “vorübergehend”). Aus dem Wortlaut der tariflichen Regelung lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Tarifbegriff “vorübergehend” nicht im Sinne dieses allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen ist. Für die vergleichbare Zulagenregelung für Angestellte, die in § 24 Abs. 1 BAT von einer dem Angestellten vorübergehend und in § 24 Abs. 2 Satz 1 BAT von einer ihm vertretungsweise übertragenen anderen Tätigkeit spricht, ist anerkannt, dass die Tarifbegriffe “vorübergehend” und “vertretungsweise” (zusammenfassend: interimistisch) die Tätigkeitsübertragung gegenüber einer auf Dauer übertragenen höherwertigen Tätigkeit abgrenzen (vgl. BAG 17. April 2002 – 4 AZR 174/01 – BAGE 101, 91; 22. Januar 2003 – 4 AZR 652/01 –). Die in Abschnitt I Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis für Vertretungsfälle getroffene ergänzende Regelung bestätigt dieses Verständnis.
b) Sinn und Zweck der Zulagenregelung geben kein anderes Auslegungsergebnis vor. Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis setzt ebenso wie § 24 BAT für die vorübergehende oder vertretungsweise Übertragung einer höher zu bewertenden Tätigkeit die Möglichkeit einer solchen Maßnahme in Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers voraus und gestaltet diese. Die Tarifvertragsparteien haben die Verpflichtung des Arbeiters zur Ausübung einer höher zu bewertenden Tätigkeit an mindestens drei Arbeitstagen ohne Anspruch auf eine höhere Vergütung für unangemessen gehalten. Sie haben deshalb bestimmt, dass der Arbeiter bei einer nicht dauerhaften, sondern nur zeitweiligen Übertragung einer höher zu bewertenden Tätigkeit zwar keinen Anspruch auf Höhergruppierung, jedoch einen Anspruch auf eine Zulage hat, die der höheren Beanspruchung Rechnung trägt (vgl. zur vergleichbaren Zulagenregelung für Angestellte BAG 17. April 2002 – 4 AZR 174/01 – BAGE 101, 91, 101).
c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Zulagenregelung für eine vorübergehende Tätigkeitsübertragung ohne Bedeutung, ob die Gründe für die zeitweilige Übertragung der höher zu bewertenden Tätigkeit vorhersehbar waren. Auch auf einen Willen des Arbeitgebers, die Übertragung der höher zu bewertenden Tätigkeit nicht zu wiederholen, kommt es nicht an. Ein solche Absicht des Arbeitgebers wird in den für die vorübergehende Übertragung einer höher zu bewertenden Tätigkeit typischen Vertretungsfällen regelmäßig auch nicht vorliegen. Ebenso wie einem Angestellten (vgl. BAG 17. April 2002 – 4 AZR 174/01 – BAGE 101, 91, 101) kann der Arbeitgeber einem Arbeiter dieselbe oder eine gleichermaßen höher zu bewertende Tätigkeit mehrmals nacheinander vorübergehend übertragen. Der Umstand, dass die Beklagte den Kläger regelmäßig wiederkehrend von November bis März als Kraftfahrer im Winterdienst einsetzt, zwingt deshalb entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht zu der Annahme, die Beklagte habe dem Kläger diese Tätigkeit dauerhaft und nicht nur vorübergehend iSv. Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis übertragen.
4. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht darauf abgestellt, dass die höher zu bewertende Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer im Winterdienst ihn im Jahresdurchschnitt nicht zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch genommen hat. Wird in einer Zulagenregelung eine überwiegende oder sonst anteilmäßig festgelegte Ausübung der zulagenberechtigenden Tätigkeit gefordert, so ist diese Voraussetzung regelmäßig erfüllt, wenn die Wahrnehmung dieser Tätigkeit durchschnittlich im Kalendermonat mehr als die Hälfte bzw. den festgelegten Anteil der regelmäßigen Tätigkeit beansprucht (BAG 22. Januar 2003 – 10 AZR 258/02 – zu II 2a der Gründe). Die Zulagenregelung in Abschnitt I Nr. 4 Satz 1 der Anlage 3 TV Lohngruppenverzeichnis legt einen kürzeren Zeitraum von drei Arbeitstagen fest. Sie bestimmt, dass der Arbeiter für die Dauer der höher zu bewertenden Tätigkeit eine Zulage erhält, wenn diese Tätigkeit ihm für mindestens drei Arbeitstage übertragen ist und sie ihn zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch nimmt.
5. Dem Anspruch des Klägers steht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht entgegen, dass dieser nach der Stellenbeschreibung des Amtes für Umwelt und Grünflächen vom 1. Oktober 1998 zu 15 % seiner Arbeitszeit mit maschinellem und manuellem Winterdienst beschäftigt ist. Auch wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, dass die Stellenbeschreibung die Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer im Winterdienst erfasst und der Kläger diese Tätigkeit im Jahresdurchschnitt in dem in der Stellenbeschreibung genannten Umfang verrichtet und nach dem Arbeitsvertrag verrichten muss, könnten die tarifgebundenen Parteien nach § 4 Abs. 3 TVG nicht zum Nachteil des Klägers von der tariflichen Zulagenregelung abweichen und die Zulage statt an den Zeitraum von mindestens drei Arbeitstagen daran knüpfen, dass die dem Kläger übertragene höher zu bewertende Tätigkeit diesen im Jahresdurchschnitt zeitlich mindestens zur Hälfte in Anspruch nimmt.
Unterschriften
Dr. Freitag, Eylert, Brühler, Hermann, Kiel
Fundstellen
Haufe-Index 1392837 |
NZA 2005, 1136 |
ZTR 2005, 529 |
PersV 2006, 76 |
NJOZ 2005, 3972 |