Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über einen nach Ablauf der Festsetzungsfrist gestellten Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ist Verwaltungsakt, aber nicht Steuerbescheid. Sie kann deshalb auch dann erteilt werden, wenn ein entsprechender Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die abzuführende Steuer gestellt worden ist.
2. Über die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung ist auch auf Antrag des Vergütungsgläubigers materiell-rechtlich zu entscheiden.
Normenkette
EStG § 50d Abs. 1, 3 S. 1; AO 1977 § 169 S. 1
Verfahrensgang
FG Köln (EFG 1999, 649; LEXinform-Nr. 0550966) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erteilt werden kann oder ob dem der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegensteht.
Die Klägerin, eine dänische Kapitalgesellschaft, erbrachte im Streitjahr (1990) urheberrechtlich geschützte Architektenleistungen an die inländische B-GmbH. Die B-GmbH zahlte den Netto-Rechnungsbetrag noch im Streitjahr an die Klägerin aus, unterließ es jedoch, gemäß § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG Abzugsteuer anzumelden und abzuführen. Das zuständige Finanzamt (FA) erließ deshalb ihr gegenüber im Jahr 1994 einen Bescheid über die Festsetzung der Abzugsteuer. Die B-GmbH hat den festgesetzten Betrag entrichtet, jedoch den Bescheid mit einem Einspruch angefochten, über den bislang nicht entschieden worden ist.
Mit einem ―am selben Tag eingegangenen― Schreiben vom 22. Dezember 1994 beantragte die B-GmbH beim Beklagten und Revisionskläger (Bundesamt für Finanzen ―BfF―), die Leistung der Klägerin an sie ―die GmbH― "vom Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG freizustellen". Ferner beantragten die damaligen Bevollmächtigten der B-GmbH mit Schreiben vom 27. Dezember 1994 im Auftrag der Klägerin die "Erstattung von Abzugsteuern nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG" für den Fall, dass eine Freistellung nicht mehr bewerkstelligt werden könne. Sie kündigten an, die Antragsformulare und eine Vollmacht nachzureichen.
Am 3. September 1996 ging beim BfF ein auf amtlichem Formular gestellter Antrag der Klägerin "auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung" ein. Diesen Antrag lehnte das BfF ab mit der Begründung, dass die Freistellung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr erfolgen könne. Auf die hiergegen gerichtete Klage hin hat das Finanzgericht (FG) ein Urteil mit dem Tenor erlassen, dass das BfF die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden habe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 649 veröffentlicht.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das BfF die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die FG-Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zu einer Klarstellung der im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Urteilsformel. In der Sache ist sie jedoch unbegründet, weshalb sie gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückgewiesen werden musste.
1. Der Tenor des angefochtenen Urteils geht in seinem hier interessierenden Teil dahin, dass das BfF verpflichtet wird, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG erneut zu bescheiden. Hiermit ist erkennbar gemeint, dass der vom FG als "Freistellungsantrag" bezeichnete Antrag der Klägerin nicht allein aus Fristgründen hätte abgelehnt werden dürfen und deshalb inhaltlich geprüft werden muss. Das ergibt sich aus den Gründen der Entscheidung, die zur Auslegung der Urteilsformel heranzuziehen sind (vgl. Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 105 FGO Rz. 44, m.w.N.).
2. In der Sache ist das FG davon ausgegangen, dass der Antrag der Klägerin vom 27. Dezember 1994 zwar "als Erstattungsantrag nicht wirksam" gewesen sei, da er nicht auf einem amtlichen Vordruck gestellt worden sei. Der Antrag sei jedoch "in einen Freistellungsantrag umzudeuten" und als solcher wirksam, da das Erfordernis des amtlichen Vordrucks für Freistellungsanträge nicht gelte. Der Senat kann offen lassen, ob er dieser Betrachtungsweise folgt. Denn im Ergebnis ist das angefochtene Urteil schon deshalb zutreffend, weil der ―unstreitig auf einem amtlichen Vordruck erfolgte― Antrag vom 3. September 1996 inhaltlich hätte beschieden werden müssen. Der Ansicht des BfF, dass dem der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstehe, vermag sich der Senat nicht anzuschließen:
a) Nach § 169 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) darf nach Ablauf der Festsetzungsfrist ein Steuerbescheid nicht erlassen, aufgehoben oder geändert werden. Diese Regelung gilt entsprechend für Bescheide über die Freistellung von einer Steuer, die nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 den Steuerbescheiden gleichstehen (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 1995 I B 65/95, BFH/NV 1996, 377). Auf andere steuerverfahrensrechtliche Verwaltungsakte ist sie hingegen nicht anwendbar.
b) Im Streitfall richtet sich das Begehren der Klägerin auf den Erlass einer Regelung, die hiernach nicht der Fristbegrenzung des § 169 Satz 1 AO 1977 unterliegt. Es zielt nämlich nicht auf den Erlass eines Freistellungsbescheids i.S. des § 155 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ab. Vielmehr will die Klägerin erreichen, dass das BfF gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Abstandnahme vom Steuerabzug bescheinigt. Die Erteilung einer solchen Bescheinigung wird ―entgegen der Annahme des BfF― von § 169 Satz 1 AO 1977 nicht erfasst:
aa) Nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Schuldner einer Vergütung i.S. des § 50a Abs. 4 EStG ―um eine solche geht es im Streitfall― auch dann zur Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der gesetzlich vorgesehenen Abzugsteuer (§ 50a Abs. 5 EStG) verpflichtet, wenn die Vergütung nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nicht oder nur mit einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden kann. Hiervon unberührt bleibt der Anspruch des Vergütungsgläubigers auf vollständige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer; dieser Anspruch ist durch einen Antrag auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck geltend zu machen (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG). Verfahrensrechtliche Grundlage der Steuererstattung ist ein Freistellungsbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, in dem über die Höhe des unbesteuert bleibenden Teils der Vergütung ―und damit zugleich des Erstattungsanspruchs― entschieden wird (vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 1984 I R 283/81, BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828; Senatsbeschluss vom 13. April 1994 I B 212/93, BFHE 174, 389, BStBl II 1994, 835).
Von diesem Freistellungsbescheid zu unterscheiden ist die in § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG genannte Bescheinigung des BfF über die Voraussetzungen für eine Abstandnahme vom Steuerabzug (Freistellungsbescheinigung). Eine solche Bescheinigung bewirkt lediglich, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug unterlassen oder nach dem maßgeblichen niedrigeren Steuersatz vornehmen darf. Sie enthält mithin einerseits keine abschließende Entscheidung über die sachliche Steuerpflicht der von ihr betroffenen Vergütung, da sie nur für die Abzugspflicht des Vergütungsschuldners von Bedeutung ist. Andererseits handelt es sich um eine die Abzugspflicht beeinflussende Regelung und damit um einen Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO 1977).
Der Senat teilt demgemäß nicht die Ansicht des BfF, dass die Freistellung des Vergütungsschuldners vom Steuerabzug nur auf einem dem Vergütungsgläubiger gegenüber erlassenen Freistellungsbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) beruhen könne und dass die "Freistellungsbescheinigung" lediglich dazu diene, den Vergütungsschuldner über die erfolgte Freistellung zu unterrichten (ähnlich Kumpf in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 50d EStG Anm. 75). Richtig ist vielmehr, dass jene Bescheinigung weder mit dem Freistellungsbescheid identisch noch von dem Erlass eines solchen abhängig ist. Es handelt sich um eine hiervon zu unterscheidende Erklärung der Behörde, die sich allein auf die Abzugs- und Einbehaltungspflicht des Vergütungsschuldners bezieht und der insoweit ein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt. Soweit dem Urteil vom 17. April 1996 I R 82/95 (BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608) eine abweichende Auffassung entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht fest.
bb) Die beschriebene Trennung zwischen Freistellungsbescheid einerseits und Freistellungsbescheinigung andererseits ist im Gesetz selbst zum einen insoweit vorgezeichnet, als § 50d EStG streng zwischen der Erstattung der abgeführten Steuer an den Gläubiger (Abs. 1 Satz 2) und der Abstandnahme vom Steuerabzug durch den Schuldner (Abs. 3 Satz 1) unterscheidet. Nur auf die Letztere bezieht sich nach dem Wortlaut des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG die dort genannte Bescheinigung. Zum anderen spricht hierfür § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG, wonach die Freistellung vom Steuerabzug dadurch bewirkt werden kann, dass das BfF den Vergütungsschuldner hierzu allgemein ermächtigt (Kontrollmeldeverfahren). In diesem Fall erfolgt die Freistellung des Schuldners ohne jedes Zutun des Gläubigers, was der Annahme entgegensteht, dass sie letztlich nur Annex des dem Vergütungsgläubiger gegenüber erlassenen Freistellungsbescheids sei. Anhaltspunkte dafür, dass für das Kontrollmeldeverfahren in systematischer Hinsicht andere Regeln gelten als für das in § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG angesprochene Freistellungsverfahren, vermag der Senat dem Gesetz nicht zu entnehmen. Deshalb sieht er sich durch § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG in seiner Einschätzung bestärkt, dass es sich in den Fällen des § 50d Abs. 3 EStG um einen nur die Abführungspflicht des Schuldners betreffenden Verwaltungsakt handelt, der die Besteuerung des Vergütungsgläubigers nicht abschließend regelt und sich gerade hierdurch von dem Freistellungsbescheid unterscheidet.
Eine abweichende Beurteilung lässt sich nicht aus § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG ableiten, auf den das BfF in diesem Zusammenhang hingewiesen hat. Es ist zwar richtig, dass nach dieser Vorschrift die Freistellung nach § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG in bestimmten Fällen (Weiterleitung der Vergütung durch den Gläubiger) von einer Bedingung (Nachweis der Einbehaltung und Abführung der Steuer auf die weitergeleitete Vergütung) abhängig gemacht werden kann, die nur unter Mitwirkung des Vergütungsgläubigers erfüllt werden kann. Doch ergibt sich hieraus lediglich, dass in den genannten Fällen der Vergütungsschuldner häufig nicht in der Lage sein wird, ohne Zutun des Gläubigers eine Freistellungsbescheinigung zu erwirken. Es ist jedoch nicht erkennbar, inwieweit aus der genannten Bestimmung folgen soll, dass eine solche Bescheinigung generell nur im Rahmen des den Vergütungsgläubiger betreffenden Freistellungsverfahrens erlassen werden kann. Abgesehen davon wird die Freistellung vom Steuerabzug in aller Regel (auch) im Interesse des Vergütungsgläubigers liegen, so dass dieser eine etwa erforderliche Mitwirkung ohnehin nicht verweigern wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann der Sonderregelung in § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG die vom BfF angestrebte Rechtsfolge nicht entnommen werden.
cc) Im Streitfall richtet sich der Antrag der Klägerin vom 3. September 1996 auf den Erlass einer Freistellungsbescheinigung i.S. des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG. Das ergibt sich aus dem Wortlaut jenes Antrags, der vom FG in Bezug genommen worden ist und deshalb im Revisionsverfahren verwertet werden kann (Senatsurteil vom 9. Juni 1999 I R 40/98, BFH/NV 2000, 168, m.w.N.):
Der genannte Antrag ist als "Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung …" überschrieben. Ihm war ein Begleitschreiben der Bevollmächtigten der Klägerin beigefügt, in dem ebenfalls nur von einer Freistellungsbescheinigung die Rede ist. Zwar enthält der Antrag selbst zugleich Passagen, die darauf hinweisen könnten, dass er auf die Erteilung eines Freistellungsbescheids ―und nicht (nur) einer Freistellungsbescheinigung― gerichtet ist. Doch schließt dies nicht aus, dass die Klägerin (zumindest auch) den Erlass einer Freistellungsbescheinigung begehrte. Für eine solche Deutung spricht zudem ihre Antragstellung im erstinstanzlichen Klageverfahren, die ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem FG dahin ging, der Klägerin "die beantragte Freistellungsbescheinigung … zu erteilen". Vor diesem Hintergrund war das gesamte Begehren der Klägerin ersichtlich darauf ausgerichtet, dass das BfF ―jedenfalls u.a.― eine Bescheinigung i.S. des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG (= Verwaltungsakt) erlassen sollte. Ein entsprechender Antrag liegt mithin vor, ohne dass es der vom FG vorgenommenen Umdeutung des Antrags vom 27. Dezember 1994 bedarf. Soweit die Klägerin ursprünglich darüber hinaus den Erlass eines Freistellungsbescheids erstrebt haben sollte, hat sie dieses Begehren im Klageverfahren nicht weiter verfolgt.
dd) Die Klägerin war berechtigt, den Antrag auf Befreiung der B-GmbH von der Abzugspflicht im eigenen Namen zu stellen. Das ergibt sich schon daraus, dass sie als Schuldnerin der abzuführenden Steuer (§ 50a Abs. 5 Satz 4 EStG) materiell von der Freistellungsbescheinigung betroffen ist. Insoweit gilt nichts anderes als bei der Lohnsteuer-Anrufungsauskunft, die ebenfalls zwar nur die Abführungspflicht des Arbeitgebers betrifft, gleichwohl aber auch vom Arbeitnehmer beantragt werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Oktober 1992 VI R 97/90, BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166, 168, m.w.N.).
ee) Die von der Klägerin begehrte Freistellungsbescheinigung unterfällt nicht der Regelung in § 169 Satz 1 AO 1977. Sie ist kein Steuerbescheid, da durch sie keine Steuer festgesetzt wird (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Ebenso wenig wird durch sie abschließend über eine Steuerfreistellung entschieden, wie es bei einem Bescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 geschieht. Ihrem Inhalt nach ist die Bescheinigung vielmehr mit den in § 36b Abs. 2 EStG und in § 44a Abs. 2 EStG genannten Bescheinigungen vergleichbar, die der Senat nicht als Steuerbescheide, sondern als sonstige Verwaltungsakte i.S. des § 130 AO 1977 angesehen hat (Urteil vom 16. Oktober 1991 I R 65/90, BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322). Diese Einstufung ist mithin auf die Freistellungsbescheinigung übertragbar (ebenso Blümich/ Wied, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 50d EStG Rz. 27; a.M. Hahn-Joecks in Kirchhof/ Söhn, Einkommensteuergesetz, § 50d Rdnr. A 48, m.w.N.).
ff) Für Verwaltungsakte, die nicht Steuerbescheide sind, enthält das steuerliche Verfahrensrecht keine mit § 169 AO 1977 vergleichbare Regelung. Hieraus folgt, dass eine Freistellungsbescheinigung grundsätzlich auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die geschuldete Steuer beantragt und erteilt werden kann. Die hiergegen gerichteten Einwände des BfF greifen nicht durch:
Das gilt zum einen für den Hinweis darauf, dass viele DBA ―u.a. dasjenige zwischen Deutschland und Dänemark― für Anträge auf Erstattung von im Abzugswege erhobenen Steuern bestimmte Fristen vorsehen. Denn die entsprechenden doppelbesteuerungsrechtlichen Bestimmungen stellen lediglich Mindestfristen auf; sie schließen es nicht aus, dass die Vertragsparteien innerstaatlich eine längere Frist vorsehen (ebenso Bundesministerium der Finanzen ―BMF―, Schreiben vom 1. März 1994 IV C 5 -S 1300- 49/94, Tz. 1.4.2, BStBl I 1994, 203; Hahn-Joecks, a.a.O., § 50d Rdnr. D 15, m.w.N.). Das gilt auch für das DBA mit Dänemark (Krabbe in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 46 Dänemark Rz. 13).
Zum anderen führt auch der Hinweis auf den zweiten Halbsatz des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG zu keinem anderen Ergebnis. Es ist zwar richtig, dass nach der dort getroffenen Regelung in bestimmten Fällen das Freistellungsverfahren nur dann eröffnet ist, wenn Vergütungsgläubigerin eine Kapitalgesellschaft und diese mit mindestens einem Zehntel am Stammkapital der Vergütungsschuldnerin beteiligt ist (vgl. § 8b Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes ―KStG―). Hieraus folgt jedoch nicht, dass eine Befristung des Antrags auf Erlass einer Freistellungsbescheinigung erforderlich ist, um eine Bevorzugung jener Kapitalgesellschaften gegenüber anderen Vergütungsgläubigern zu vermeiden. Vielmehr ist die vom BfF angesprochene Ungleichbehandlung, die zudem nicht die hier vorliegende Konstellation betrifft, im Gesetz selbst angelegt. Sie gibt daher keine Veranlassung, im Anwendungsbereich des Freistellungsverfahrens die Antragsmöglichkeit auf die Festsetzungsfrist zu begrenzen.
Das gilt umso mehr, als eine solche Begrenzung im Einzelfall dazu führen könnte, dass die Durchsetzung eines materiell-rechtlich bestehenden Erstattungsanspruchs unzumutbar erschwert oder sogar unmöglich wird. Das gilt namentlich dann, wenn die zu erstattende Steuer auf einem Bescheid beruht, der erst unmittelbar vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist dem Vergütungsschuldner gegenüber ergangen ist. Als Beispiel sei der Fall genannt, in dem das FA im Jahr 06 eine im Jahr 01 erfolgte verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) der inländischen Tochtergesellschaft an die ausländische Muttergesellschaft feststellt und daraufhin am 31. Dezember 06 ―dem letzten Tag der Festsetzungsfrist― gegenüber der Tochtergesellschaft einen Nachforderungsbescheid oder einen Haftungsbescheid über Kapitalertragsteuer erlässt. Wenn hier der erstattungsberechtigte Vergütungsgläubiger seinen Anspruch nur innerhalb der Festsetzungsfrist geltend machen könnte, wäre für ihn die Möglichkeit einer Rechtsverfolgung unangemessen verkürzt (vgl. hierzu auch Kempf/ Schiegl, Der Betrieb ―DB― 2000, 1538). Diese Rechtsfolge wird vermieden, wenn die Freistellungsbescheinigung ―dem Wortlaut des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG entsprechend― als eigenständiger und nicht an die Festsetzungsfrist geknüpfter Verwaltungsakt gewertet wird. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hält der Senat eine solche Lösung für vorzugswürdig.
c) Im Ergebnis war mithin der am 3. September 1996 gestellte Antrag auf den Erlass einer Freistellungsbescheinigung i.S. des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG gerichtet, von der Klägerin zu Recht im eigenen Namen gestellt worden und nicht an die Festsetzungsfrist für die angefallene Steuer gebunden. Die auf den Gesichtspunkt des Fristablaufs gestützte Entscheidung des BfF erweist sich damit als rechtsfehlerhaft. Das FG hat das BfF deshalb zu Recht zu einer erneuten Bescheidung der Klägerin verpflichtet, wobei diese Verpflichtung dahin geht, über die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung zu entscheiden. Letzteres wird durch den Tenor der Entscheidung des Senats klargestellt.
3. Das FG hat die Klage insoweit abgewiesen, als die Klägerin über die Aufhebung des Bescheids des BfF hinaus beantragt hat, die zu erstattende Vergütung unmittelbar durch gerichtliche Entscheidung festzusetzen. Der Senat muss nicht zu der Frage Stellung nehmen, ob diese Vorgehensweise verfahrensrechtlich zutreffend ist. Denn die teilweise Abweisung der Klage geht zu Lasten der Klägerin und könnte deshalb nur im Rahmen eines von dieser angestrengten Rechtsmittelverfahrens überprüft werden. Hieran fehlt es, da die Klägerin das Urteil des FG nicht angefochten hat.
Fundstellen
Haufe-Index 447528 |
BFH/NV 2001, 383 |
BStBl II 2001, 291 |
BFHE 193, 336 |
BFHE 2001, 336 |
BB 2001, 139 |
DB 2001, 239 |
DStR 2001, 121 |
HFR 2001, 447 |
StE 2001, 34 |