Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchleitung inländischer Einnahmen durch eine ausländische Basisgesellschaft als Gestaltungsmissbrauch; Ausschluss der Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 50d Abs. 1a EStG und § 42 AO 1977
Leitsatz (amtlich)
1. § 42 AO 1977 erfasst auch beschränkt Steuerpflichtige (Bestätigung des Senatsurteils vom 29. Oktober 1997 I R 35/96, BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235).
2. Werden im Inland erzielte Einnahmen zur Vermeidung inländischer Steuer durch eine ausländische Basisgesellschaft in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft "durchgeleitet", so kann ein Gestaltungsmissbrauch unabhängig davon vorliegen, ob der Staat, in dem die Kapitalgesellschaft ihren Sitz hat, ein Niedrigsteuerland ist (ebenfalls Bestätigung des Senatsurteils in BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235).
3. Die in § 50d Abs. 1a EStG 1990/1994 getroffene Regelung ist rechtmäßig. Sie geht dem Abkommensrecht vor. Sie ist jedenfalls bei Einschaltung einer ausländischen Basisgesellschaft gemeinschaftsrechtlich unbedenklich und von dem in Art. 1 Abs. 2 der Mutter/Tochter-Richtlinie der EG 90/435 EWG vom 23. Juli 1990 enthaltenen Missbrauchsvorbehalt gedeckt.
4. Die Steuerentlastung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1990/1994 ist der zwischengeschalteten ausländischen Gesellschaft nach § 50d Abs. 1a EStG 1990/1994 zu versagen, soweit an ihr Personen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten. Darauf, welche Personen ihrerseits an den Gesellschaften beteiligt sind, kommt es nicht an.
5. Bei dem zur Erstattung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1990/ 1994 erforderlichen Freistellungsbescheid handelt es sich um einen Steuerbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 (Bestätigung des Senatsurteils vom 11. Oktober 2000 I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291).
Normenkette
EStG 1990 § 44d Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 50d Abs. 1 S. 1, Abs. 1a; AO 1977 §§ 42, 155 Abs. 1 S. 3; EWGRL 435/90 Art. 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft (B.V.) niederländischen Rechts. Ihr Sitz befand sich im Streitjahr 1994 in den Niederlanden in den Geschäftsräumen einer Schwestergesellschaft, deren Telefon- und Telefaxanschlüsse sie nutzte. Beide Gesellschaften wie auch weitere Schwesterunternehmen in den Niederlanden wurden von einem dort ansässigen Geschäftsführer geleitet. Über weiteres Personal verfügte die Klägerin nicht.
Die Anteile der Klägerin wurden von einer auf den Bermudas ansässigen Holdinggesellschaft, (G-Ltd.), gehalten, deren Gesellschafter in dem streitgegenständlichen Zeitraum (April 1994) zu 85 v.H. (G), Bermudas, und zu jeweils 7,5 v.H. (H), Australien, und (B), USA, waren. Die G-Ltd. war an weiteren niederländischen Tochtergesellschaften und an zahlreichen Enkelgesellschaften in verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern beteiligt.
Innerhalb der G-Gruppe, die auf dem Unterhaltungssektor Fernsehshows produzierte, Filme und Filmrechte kaufte und verkaufte und lizenzierte, fungierte die Klägerin ihrem Gesellschaftsvertrag nach auf dem Gebiet der Verwaltung, der Kapitalanlage und der Finanzierung einschließlich des Erwerbs, der Verwaltung und Veräußerung von unbeweglichem und beweglichem Vermögen sowohl auf eigene als auch auf fremde Rechnung. Ferner umfasste der Unternehmensgegenstand die Einräumung von Bürgschaften zugunsten Dritter, die Erteilung von technischen und wirtschaftlichen Beratungsleistungen und jegliche Aktivitäten, die mit dem Vorgenannten in Zusammenhang standen oder es förderten, und darüber hinaus die Beteiligung an Unternehmen jeglicher Art und Rechtsform und deren Leitung.
Einzige Tochtergesellschaft der Klägerin war eine deutsche GmbH (G-GmbH). Diese schüttete am 28. April 1994 Gewinne in Höhe von 910 000 DM aus. Die Klägerin beantragte daraufhin am 5. November 1997 beim Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen ―BfF―), die auf die Ausschüttung für den Anmeldezeitraum 4/1994 einbehaltene Kapitalertragsteuer von 25 v.H., also von 227 500 DM, gemäß § 44d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1990 (EStG 1990) in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung auf 5 v.H. der Ausschüttung zu ermäßigen und ihr den Unterschiedsbetrag von 182 000 DM gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1990 zu erstatten.
Das BfF gewährte ―unter Hinweis auf § 50d Abs. 1 a EStG 1990 in Gestalt des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) ―EStG 1990/1994― lediglich eine Teilerstattung für jene 15 v.H., mit denen H und B ―zu jeweils 7,5 v.H.― an der G-Ltd. beteiligt waren, und begrenzte diese Teilerstattung auf die verbleibenden Höchststeuersätze von 10 v.H. und 15 v.H. nach Maßgabe der für H und B einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen ―DBA― (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b, Abs. 3 Satz 1 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 ―DBA-USA―; Art. 10 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Australischen Bund zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei einigen anderen Steuern vom 24. November 1972 ―DBA-Australien―). Die beantragte weiter gehende Erstattung wurde versagt, weil G als Mehrheitsgesellschafter der G-Ltd. auf den Bermudas ansässig war und ihm deshalb keine abkommensrechtliche Entlastung zustehe.
Dementsprechend setzte das BfF den Erstattungsbetrag zunächst durch Bescheid vom 8. Dezember 1997 auf 17 062,50 DM unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Während des dagegen eingeleiteten Klageverfahrens wurde die Erstattung sodann jedoch vollen Umfanges abgelehnt: Entgegen ursprünglicher Auffassung komme es für § 50d Abs. 1 a EStG 1990 nicht auf die lediglich mittelbar an der Klägerin beteiligten H und B an, sondern nur auf die G-Ltd. als unmittelbar Beteiligte. Diese residiere indes ebenfalls ―nicht anders als G― auf den Bermudas.
Das Finanzgericht (FG) hob den entsprechenden Änderungsbescheid des BfF vom 25. Juni 1999 auf die dagegen weitergeführte Verpflichtungsklage auf, weil die Erstattung nicht durch einen gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) änderbaren Steuerverwaltungsakt festgesetzt werde und eine andere Rechtsgrundlage für die Änderung fehle. Im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 560 abgedruckt.
Ihre Revisionen stützen BfF und Klägerin beiderseits auf Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, die Revision des BfF zurückzuweisen und das FG-Urteil und die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Erstattung auf 182 000 DM, hilfsweise auf 136 500 DM, festzusetzen.
Das BfF beantragt sinngemäß, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Revision des BfF ist hingegen begründet. Das Urteil des FG war aufzuheben und die Klage vollen Umfanges abzuweisen.
1. Nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1990 kann der Gläubiger von Kapitalerträgen die völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer verlangen, wenn diese Einkünfte gemäß § 44d EStG 1990 nicht oder nur nach einem unter 25 v.H. liegenden Steuersatz besteuert werden dürfen. So verhält es sich im Grundsatz im Streitfall nach Maßgabe von § 44d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 EStG 1990: Die Klägerin war eine Muttergesellschaft i.S. von § 44d Abs. 2 EStG 1990 ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland; sie war unter den zeitlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift Alleingesellschafterin der G-GmbH und erfüllte damit die gesetzliche Mindestbeteiligungsquote gemäß § 44d Abs. 2 Satz 1 EStG 1990 von mindestens 25 v.H.
2. Die beantragte Ermäßigung des Steuerabzugs auf danach 5 v.H. (§ 44d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990) für den streitgegenständlichen Voranmeldungszeitraum April 1994 scheitert indes daran, dass es sich bei der Klägerin um eine letztlich funktionslose sog. Basisgesellschaft handelte. Als solche kann sie die Steuererstattung sowohl wegen § 42 AO 1977 als auch wegen § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 nicht beanspruchen.
a) Nach § 42 Satz 1 AO 1977 i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2001 ―StÄndG 2001―) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3704, BStBl I 2002, 4) ―AO 1977 a.F.― kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, m.w.N.). § 42 AO 1977 erfasst auch beschränkt Steuerpflichtige. Im Einzelnen wird insoweit auf das Senatsurteil vom 29. Oktober 1997 I R 35/96 (BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235) verwiesen. Der Senat hat dadurch seine frühere Rechtsprechung, der ggf. etwas anderes entnommen werden konnte (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150, sog. Monaco-Urteil), ausdrücklich aufgegeben.
Unter vergleichbaren Voraussetzungen und mit im Ergebnis vergleichbarer Zielsetzung schließt § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 den Anspruch einer ausländischen Gesellschaft auf Steuerbefreiung oder -ermäßigung nach § 44d EStG 1990 oder nach einem DBA aus, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet. Die Vorschrift dient, wie der Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/5764, S. 26) zu entnehmen ist, der sondergesetzlichen Konkretisierung des Grundsatzes, dass bilaterale Abkommen unter einem Umgehungsvorbehalt stehen. Sie bezweckt, durch ergänzende tatbestandliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer möglichen Unvollständigkeit von § 42 AO 1977 zu begegnen, und zwar vor dem Hintergrund der erwähnten früheren und zwischenzeitlich aufgegebenen Rechtsprechung des Senats, wonach beschränkt Steuerpflichtige von § 42 AO 1977 nicht erfasst werden sollten.
Es wird kontrovers diskutiert, in welchem Verhältnis beide Vorschriften zueinander stehen, insbesondere, ob § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 als speziellere Regelung der allgemeinen abgabenrechtlichen Regelung des § 42 AO 1977 vorgeht (so z.B. Füger/Rieger, Internationales Steuerrecht ―IStR― 1998, 353, 357; Kumpf in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 50d EStG, Grüne Blätter, S. 6; Vogel, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1996, 248; Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 50d Rz. 43, und in Harzburger Steuerprotokoll 1999, 225, 235 f.; Thömmes, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht ―JbFStR― 1998/1999, 73, 96 ff.; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d Rz. 19) oder ob § 42 AO 1977 neben § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 im Grundsatz anwendbar bleibt und § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 angesichts der gewandelten Senatsrechtsprechung zur Anwendungsreichweite von § 42 AO 1977 auf beschränkt Steuerpflichtige im Ergebnis leer läuft (so z.B. Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 50d Rdnr. A 61, aber einschränkend Rdnr. E 29; Höppner, Internationale Wirtschaftsbriefe ―IWB― Rechtsprechung Gruppe 1, 653, 656, und in Steuerrecht und Europäische Integration, Festschrift für Rädler, 1999, 305, 333 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Rz. 16.156 f.; Stoschek/ Sommerfeld, Recht der Internationalen Wirtschaft 1998, 948, 951; T. Carlé, Kölner Steuer-Dialog 1999, 12056, 12063 f.; vgl. auch Senatsurteil in BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235). Der Streitfall erfordert keine abschließende Beantwortung dieser Fragen, da hier die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllt sind.
b) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile vom 29. Januar 1975 I R 135/70, BFHE 115, 107, BStBl II 1975, 553; vom 5. März 1986 I R 201/82, BFHE 146, 158, BStBl II 1986, 496; vom 10. Juni 1992 I R 105/89, BFHE 168, 279, BStBl II 1992, 1029; vom 23. Oktober 1992 I R 40/89, BFHE 166, 323, BStBl II 1992, 1026; vom 19. Januar 2000 I R 94/97, BFHE 191, 257, BStBl II 2001, 222, und I R 117/97, BFH/NV 2000, 824; BFH-Urteile vom 29. Juli 1976 VIII R 142/73, BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263; vom 9. Dezember 1980 VIII R 11/77, BFHE 132, 198, BStBl II 1981, 339) erfüllt die Zwischenschaltung von Basisgesellschaften in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft im niedrig besteuernden Ausland den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs, wenn hierfür wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen. Werden im Inland erzielte Einnahmen zur Vermeidung inländischer Steuer durch eine ausländische Kapitalgesellschaft "durchgeleitet", gilt dies auch dann, wenn es sich bei dem Sitzstaat der ausländischen Kapitalgesellschaft nicht um ein Niedrigbesteuerungsland handelt (Senatsurteil in BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235). Diese Rechtsprechung ist Ausdruck des Grundsatzes, dass das Steuerrecht die gewählte zivilrechtliche Gestaltung respektiert. Dies gilt jedoch nicht für solche Gestaltungen, die der Manipulation dienen.
Bei der Klägerin handelte es sich nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) um eine ausländische Gesellschaft ohne eigenes Personal, ohne eigene Geschäftsräume und ohne eigene Geschäftsausstattung. Ihre Geschäftsführung oblag dem "Mehrfachgeschäftsführer" verschiedener Konzerngesellschaften. Diese tatsächliche Gestaltung rechtfertigt die Vermutung, dass ihre Zwischenschaltung lediglich formaler Natur war. Beachtliche wirtschaftliche Gründe, die diese Vermutung entkräften und widerlegen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gelingt dies nicht mittels der diversen, von der Klägerin eher aufzählend angeführten Aspekte, wie z.B. Gründe der Koordination und der Organisation, des Aufbaus von Kundenbeziehungen, der Kosten, der örtlichen Präferenzen, der gesamtunternehmerischen Konzeption. Denn all diese Aspekte mögen zwar die Hintergründe zum Konzernaufbau der G-Gruppe verdeutlichen und erklären, weshalb und auf welche Weise das europäische Engagement der Gruppe in den Niederlanden konzentriert werden sollte. Sie können jedoch nicht aussagekräftig erklären und begründen, weshalb die Einschaltung speziell der Klägerin als einer funktionslosen Briefkastengesellschaft aus wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen geboten war.
Ebenso wenig ist erkennbar, dass die Klägerin eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hätte. Das bloße Halten der Beteiligung an der inländischen G-GmbH ohne weitere geschäftsleitende Funktionen erfüllt nicht die Anforderungen, die an eine solche Tätigkeit zu stellen sind. Der Umstand, dass die Mutter/ Tochter-Richtlinie der EG (Richtlinie 90/435 EWG) vom 23. Juli 1990 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 225/6 vom 20. August 1990) in Art. 2 den Begriff "Gesellschaft eines Mitgliedsstaates" verwendet, ohne dazu weitere Tätigkeitserfordernisse aufzustellen, ändert daran nichts. Selbst wenn es zuträfe, dass hiernach das Halten einer einzigen Kapitalbeteiligung und mithin das Vorliegen einer "reinen" Holdinggesellschaft genügen würde (vgl. im Einzelnen Thömmes, JbFStR 1998/1999, 73, 100 ff., m.w.N. zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―), so würde gleichwohl eine bloße Briefkastengesellschaft, die sich ―wie im Streitfall die Klägerin― letztlich in ihrer formalen Existenz erschöpft, auch den supranationalen Erfordernissen nicht gerecht. Schließlich nützt es in diesem Zusammenhang nichts, dass die ebenfalls in den Niederlanden ansässigen Schwestergesellschaften der Klägerin möglicherweise den Anforderungen einer Wirtschaftstätigkeit genügten und in die G-Gruppe aktiv funktional eingegliedert waren. Unterstellt, dies träfe zu, so ließen sich die eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten der Schwestergesellschaften der Klägerin dennoch nicht derart zurechnen, dass diese dadurch einer geschäftsleitenden Holding gleichzubehandeln wäre.
c) Aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten folgt, dass die Klägerin die in Rede stehende Steuerermäßigung gemäß § 50d Abs. 1 i.V.m. § 44d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990 nicht beanspruchen kann: Entweder sind die ausgeschütteten Dividenden steuerlich von vornherein der G-Ltd., nicht aber der Klägerin zuzurechnen (§ 42 Satz 2 AO 1977 a.F.). Oder aber die Steuerermäßigung ist gemäß § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 zu versagen, weil der G-Ltd. als Alleingesellschafterin der Klägerin die erstrebte Steuerentlastung nicht zusteht.
Eine Anwendung des § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 würde auch nicht etwa dazu führen, dass der Klägerin die eingeschalteten Abzugsteuern teilweise zu erstatten wären. Dass an der G-Ltd. ihrerseits mit H und B Personen beteiligt sind, die nach Maßgabe des einschlägigen Abkommensrechts (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b, Abs. 3 Satz 1 Buchst. a DBA-USA; Art. 10 Abs. 2 DBA-Australien) Teilerstattungen beanspruchen könnten, ändert daran nichts: § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 stellt lediglich auf die Beteiligung an der zwischengeschalteten ausländischen Gesellschaft ab. Das verhindert jedenfalls dann den Durchgriff auf tiefergestaffelte Beteiligungsstrukturen, wenn feststeht, dass der unmittelbar beteiligte Gesellschafter ―wie im Streitfall die G-Ltd.― nicht abkommensberechtigt ist. Auf den oder die entfernter Beteiligten kommt es dann nicht an (vgl. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rn. 42; Krabbe, IStR 1998, 761). Im Übrigen bedarf es im Anwendungsbereich des § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 ebenso wenig wie im Anwendungsbereich von § 42 AO 1977 bei Zwischenschaltung einer funktionslosen ausländischen Kapitalgesellschaft eines konkreten Nachweises, dass mit Blick auf eine inländische Steuerersparnis eine Steuerumgehung beabsichtigt gewesen ist a.A. FG Köln, Urteil vom 4. März 1999 2 K 5886/96, EFG 1999, 963; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz. 42).
3. Diese Rechtsfolgen verstoßen weder gegen Abkommens- noch gegen Gemeinschafts- oder Verfassungsrecht:
a) § 50d Abs. 1 a EStG geht dem Abkommensrecht vor. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist zwischen dem DBA als völkerrechtlichem Vertrag und dem Zustimmungsgesetz zu unterscheiden, durch das das Abkommen in innerstaatlich geltendes Recht transformiert wird. Der nationale Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, das Zustimmungsgesetz durch ein hiervon abweichendes Gesetz zu ändern oder aufzuheben, vorausgesetzt, der vom Gesetzgeber gewollte Vorrang vor dem Abkommen kommt in dem ändernden Gesetz deutlich zum Ausdruck. Das ist bei § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 der Fall. Der abkommensrechtlich mögliche Erstattungsanspruch steht deshalb unter dem Vorbehalt der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 50d Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1 a EStG 1990/1994 (vgl. Senatsurteile vom 13. Juli 1994 I R 120/93, BFHE 175, 351, BStBl II 1995, 129; vom 21. Mai 1997 I R 79/96, BFH/NV 1997, 760; Senatsbeschluss vom 17. Mai 1995 I B 183/94, BFHE 178, 59, BStBl II 1995, 781; grundlegend Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, MA Art. 1 Rz. 12; Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rdnr. A 23 ff., m.w.N.).
Gleichermaßen bleibt § 42 AO 1977 als nationale Zurechnungsvorschrift von dem hier einschlägigen DBA-Niederlande unberührt. Die Frage, ob die Abkommensberechtigung durch § 42 AO 1977 wieder entzogen werden kann, stellt sich aus rechtssystematischen Gründen erst, wenn der Einkommenserzieler und damit der von einer Doppelbesteuerung durch das Abkommen zu entlastende Steuerpflichtige nach den Maßstäben des innerstaatlichen Rechts feststeht (Senatsurteil in BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., MA Art. 1 Rz. 58, Art. 10 Rz. 34 und 62, Art. 13 Rz. 53).
b) Ebenso fehlt es an einem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht und hier insbesondere gegen die Richtlinie 90/435 EWG. Zwar ist im Schrifttum (vgl. einerseits z.B. Schön, IStR-Beihefter 2/1996, 6 ff.; Knobbe-Keuk, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1992, 336, 339 f.; Thömmes und Thiel, JbFStR 1998/1999, 73, 99, 104; andererseits z.B. Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rdnr. A 27 ff.; Höppner in Festschrift für Rädler, a.a.O., 305, 337, jeweils m.w.N.) umstritten, ob der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435 EWG enthaltene Missbrauchsvorbehalt einem autonomen gemeinschaftsrechtlichen Verständnis zu unterwerfen ist. Dieser Streit muss hier jedoch nicht entschieden werden. Er gründet in der Befürchtung, dass andernfalls ―bei einem rein nationalen Missbrauchsverständnis― die Gefahr einer voneinander divergierenden Rechtspraxis in den jeweiligen Mitgliedsstaaten bestünde. Für eine solche Befürchtung kann jedoch nur in Randbereichen des Missbrauchsverdachts Anlass bestehen, nicht aber bei Zwischenschaltung einer "klassischen" Basisgesellschaft. In derartigen Fällen ―und somit auch im Streitfall― ist ein Missbrauch offensichtlich und nach jedem denkbaren Verständnis gegeben. Es geht hier im Kern nicht darum, ob und ggf. unter welchen Umständen die in der Richtlinie 90/435 EWG vorgesehenen Befreiungstatbestände entzogen werden können, sondern um die systematische Vorfrage, ob diese Tatbestände als Konsequenz einer entsprechenden Einkunftserzielung überhaupt wahrgenommen werden können. Nicht anders verhält es sich, was die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 ff. des Vertrages über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (= Art. 43 ff. nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABlEG Nr. C-340/1997, S. 1 ff.) anbelangt. Eine Vorabentscheidung des EuGH war angesichts dessen nicht einzuholen.
c) Es verbieten sich auch verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994, weil darin eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe enthalten ist. Diese Rechtsbegriffe lehnen sich an diejenigen an, die zu § 42 AO 1977 entwickelt worden sind. Sie werden durch die einschlägige hierzu ergangene, jahrzehntelange Rechtsprechung und Rechtspraxis verfestigt und konkretisiert und bieten keinen Grund zu verfassungsrechtlicher Beanstandung.
4. Entgegen der Annahme des FG war das BfF schließlich nicht aus verfahrensrechtlicher Sicht gehindert, die beantragte Steuererstattung vollen Umfanges zu versagen. Dass der Klägerin zunächst eine Teilerstattung zugesprochen worden war, steht dem nicht entgegen. Denn der vorangegangene Bescheid vom 8. Dezember 1997 stand unter Vorbehalt der Nachprüfung. Der Bescheid war folglich nach allen Seiten offen und konnte jederzeit gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geändert werden.
Die Vorbehaltsfestsetzung war auch zulässig. Verfahrensrechtliche Grundlage der Steuererstattung ist ein Freistellungsbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, in welchem über die Höhe des unbesteuert bleibenden Teils der Vergütung ―und damit zugleich des Erstattungsanspruchs― entschieden wird (Senatsurteil vom 11. Oktober 2000 I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Der Freistellungsbescheid ist danach wie ein Steuerbescheid zu behandeln, was wiederum die Zulässigkeit des Vorbehaltsvermerks zur Folge hat (vgl. auch Senatsurteil vom 13. November 1996 I R 152/93, BFHE 181, 396, BStBl II 1998, 711, m.w.N.).
5. Da das FG zu dem letzten Punkt eine abweichende Auffassung vertreten hat, war sein Urteil aufzuheben und die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 771579 |
BFH/NV 2002, 1202 |
BStBl II 2002, 819 |
BFHE 198, 514 |
BFHE 2003, 514 |
BB 2002, 1634 |
BB 2006, 2159 |
DStRE 2002, 1068 |
HFR 2002, 872 |