Die Personalmanager leiden an einer guten alten deutschen Tugend: der Perfektion. Die Vorliebe sorgfältig zu planen und in allen Verzweigungen zu diskutieren, bis die ideale Lösung ausbaldowert ist, passt nicht in die digitale Welt. Dort sind das Experiment, Lernen durch Fehler und ein hohes Tempo entscheidend für den Erfolg neuer Geschäftsmodelle. Diese Erkenntnis jedenfalls war eine übergreifende in den drei Arbeitsschwärmen der Kienbaum Jahrestagung in Ehreshoven zu „Digital Leadership: Wie virtuell wird das People Business?“, „Geschäftsmodell HR: Maximale Rendite für Personaler in der Industrie 4.0“ und „Digitale Unternehmenstransformation: HR als Treiber!“. Morgens wurden in Camps Herausforderungen und Zielbilder formuliert, nachmittags in Slams Lösungen. Jeder, der wollte, kam in Kleingruppen zum Zuge. Wünsche, Forderungen und Umsetzungsansätze für die Personalarbeit auf dem Weg in die digitale Unternehmenszukunft wurden auf den Punkt gebracht, gelikt und so priorisiert. Kienbaum will im Nachgang aus den konsensfähigen Ideen das Ehreshoven-Manifest verfassen.
Jochen Kienbaum: "Im Spiel der Veränderung voranschreiten"
Der Wandel wird total, wenn die HR-Manager alles schaffen, was sie anstoßen wollen. Und er wird auch schon dynamisch, wenn sie nur schrittweise starten. Pragmatisch-bodenständig und doch vorsichtig-optimistisch verkündete der Kienbaum-Geschäftsführungsvorsitzende Jochen Kienbaum schon zur Begrüßung: „Wir werden in diesem Spiel der Veränderung heute voranschreiten, aber wir werden keine endgültigen Antworten bei der Digitalisierung finden."
Jochen Kienbaum auf der Kienbaum Jahrestagung 2016: "Zur Digitalisierung gehört es, Experimente zuzulassen."
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Vor allem gehören zur Digitalisierung – ob in den Geschäftsmodellen oder im HR-Ressort – Experimente in Schutzräumen und Testumgebungen, das Zulassen unterschiedlicher, auch agiler und unberechenbarer Arbeitsmethoden, Lernen nach Vorbildern, die Nutzung aller verfügbaren Daten, die Bildung interdisziplinärer und selbstorganisierter Teams, informelle Führung und eine Fehlerkultur, die mit Toleranz gepaart wird.
Die Rolle des Personalers stärker segmentieren
Die Rolle des Personalers soll nach Kunden stärker segmentiert werden – vom Berater für Führungskräfte und Chatpartner für Mitarbeiter. Die HR-Einheiten sollten Leader in der Umsetzung digitaler Arbeitsweisen sein und Leuchttürme der Veränderung aufstellen. Und selbstverständlich sollen alle Aufgaben vom Recruiting über das Talentmanagement bis zum HR-Risikomanagement eingebunden sein in die Unternehmensstrategien. Statt um Shared Services geht es jetzt um Operational Partner Services.
Interaktive Formate, spannende Keynotes
Durch das neue teilnehmeraktivierende Format blieb angenehm wenig Zeit für Keynote-Berieselungen im großen Plenumszelt. Drei Hauptredner waren es – und alle drei Vorträge waren spannend: Kienbaum-Geschäftsführer Walter Jochmann gab den Überblick, wohin es die HR-Zunft bewegen wird. Siemens-Personalvorstand Janina Kugel berichtete über die positiven Erlebnisse und Hürden im Veränderungsprozess. Und Kybernetiker Kevin Warwick gab einen Einblick über die mögliche Leistungssteigerung, wenn der Mensch sein Nervensystem mit Computerchips aufpeppt.
Walter Jochmann: "Der Business Partner hat ausgedient"
Jochmanns Rede zur Lage der Nation – treffend der deutsche Adler mit Loriot-Kopf auf dem Chart – beerdigt den Business Partner und ersetzt ihn durch ein neues Rollenmodell, das den Experten mit dem Berater, den Administrator mit dem Digitalisten verknüpft. Er setzt auf „Retrobegriffe wie Leidenschaft und unternehmerischen Hunger“ und definiert die Kernaufgabe für die Wirtschaft 4.0: „HR-Manager müssen die Mitarbeiter auf die Digitalisierung vorbereiten – durch Talentmanagement und Bildungsplanung.“
Janina Kugel: "Wir geben Guidelines, sind aber keine Babysitter"
Unverkennbar, dass Jochmann digi-affin ist. Genau wie Janina Kugel, die offenbar kein Führungskräftewerkszeug unhinterfragt lässt. „Big Data ist neutraler als Menschen mit all ihren Bias im Kopf“, sagt Kugel. Solche kognitiven Verzerrungen durch Erfahrungen und Vorurteile möchte sie auch mit einer diskursiven Unternehmenskultur mindern.
Janina Kugel auf der Kienbaum Jahrestagung 2016: "Wer bei HR arbeitet, um geliebt zu werden, ist falsch."
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Für die Vorstandsfrau beschreibt das Wagnis, Vielfalt zuzulassen: „Aber die Kontrolle zu verlieren bedeutet eben auch sich ganzheitlich zu einigen.“ Der Personaler soll Mediator und Coach, Kollege und Chef, Mentor und Berater sein. Die Zuhörer glauben ihr aufs Wort, wenn sie sagt: „Wir geben Guidelines, sind aber nicht die Babysitter.“ Und ein bisschen streichelt Janina Kugel die Seele, wenn sie fordert: „Wer bei HR arbeitet um geliebt zu werden, ist falsch. Respektiert werden ist das Ziel.“
Mensch-Maschine-Interaktion: Zwischen Begeisterung und Grusel
Weil auf der Tagung erwartungsgemäß so viel über Umdenken gesprochen wurde, war es nur logisch, dass Kienbaum zur Abrundung Kevin Warwick einlud, der vorführte, wozu der Mensch-Maschine-Hybrid Cyborg schon heute fähig ist. Der Professor der Universität Reading ließ sich bereits vor über 15 Jahren erstmals einen Chip implantieren, mit dem er eine Roboterhand steuern konnte. Seine Vision, die Grenzen zwischen Mensch und Maschine zu überwinden und Anwendungsgebiete von der Medizin bis zum Bankgeschäft über Minichips zu steuern, geriert Begeisterung und Grusel. Die Dias seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter, denen die Chips ebenfalls unter die Haut gehen, schlagen den Bogen zur Personalverantwortung – und damit zum Publikum.
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