Wie man einen Ruf schädigt: der Fall Cawa Younosi
Der 13. Oktober 2023 erschütterte die HR-Community. An diesem Tag veröffentlichte das Manager Magazin einen Artikel, der viele berührte und unzählige Diskussionen auslöste. Unter dem Titel "Warum Linkedin-Star Cawa Younosi SAP Knall auf Fall verlässt" berichtete das Wirtschaftsmagazin, dass sich die SAP von dem Personalchef in Deutschland trennt.
Das Personalmagazin hatte Cawa Younosi, der auch die globale Verantwortung für People Experience hatte, im Sommer zum "HR Influencer Nummer 1" gekürt und in die Liste der "40 führenden HR-Köpfe" aufgenommen. Er war nicht nur 14 Jahre in den Diensten der SAP, sondern in der Öffentlichkeit neben CEO Christian Klein das Gesicht des Arbeitgebers. Seine pointierten und unterhaltsamen Postings auf Linkedin gaben Einblicke in die Arbeitswelt. Sie verschafften dem Technologiekonzern einen menschlichen Touch – ein Plus für jede gute Arbeitgebermarke. Dem Konzern passte auch die persönliche Geschichte von Younosi ins Kalkül, unterstrich sie doch ein Versprechen, das zum Kern der sozialen Marktwirtschaft gehört: Durch Leistung ist ein Aufstieg bis in oberste Etagen möglich, ohne Mitgliedschaft bei Rotariern oder sonstigen Old-Boy-Networks. SAP und Younosi – das war viele Jahre ein Win-Win-Verhältnis.
Die Öffentlichkeit erfuhr aus den Medien von der Trennung
Die Trennung entwickelte sich für beide Seiten zum Desaster. Das betrifft nicht nur den Verlust eines renommierten Corporate Influencers, sondern vor allem die Art und Weise, wie SAP die Trennung managte. Die Öffentlichkeit erfuhr aus dem Manager Magazin erstmals davon – in einer Geschichte, die schmutzige Wäsche zum Vorschein brachte. Der Trennung sei, so das Wirtschaftsmagazin, "eine interne Untersuchung über sein Managementverhalten" vorausgegangen. In dem Compliance-Verfahren werde ihm "aggressives Verhalten, Einschüchterung und Rufschädigung von Kolleginnen und Kollegen" attestiert. Angestellte hätten wegen seines Managementstils seine Abteilung verlassen, heißt es in dem Bericht weiter, ohne allerdings einen Fall oder auch Namen zu nennen. Die Vorwürfe sind massiv und stehen in krassem Widerspruch zu den Werten, die Younosi öffentlich propagiert: Mitarbeiterorientierung, faires Miteinander, Empathie, Solidarität und eine humane Unternehmenskultur.
Die Story orientiert sich an einem Muster, das Reichweite garantiert: Sie entlarvt eine Heuchelei nach dem Motto "Wasser predigen, selbst Wein trinken". Dem Artikel fehlt allerdings etwas Entscheidendes: die Glaubwürdigkeit. Entlastende Aspekte werden beiseitegeschoben, alle Zitate sind anonymisiert, von "Insidern" und "SAPlern" ist die Rede. Niemand steht zu seinem oder ihrem Wort, sodass Zweifel an der Darstellung aufkommen.
Im Zweifel gegen den Angeklagten
Die Nachrichtenseite Business Insider hat das Thema am 10. Februar 2024 erneut aufgegriffen und die Vorwürfe wiederholt. Während das Manager Magazin den Abgang von Younosi noch vielschichtig beleuchtete, stellt der Business Insider das Compliance Verfahren und Aussagen aus anonymen Quellen in den Mittelpunkt. Der Artikel scheut sich nicht davor, die Persönlichkeit anzugreifen ("zwei Gesichter") und damit die Reputation des Personalmanagers schwer zu beschädigen. An drei Beispielen lässt sich erläutern, wie Zweifel weggewischt werden:
- Business Insider schreibt, dass sie "monatelang recherchiert" hätten und mit "mehreren Beteiligten lange, intensive Gespräche" führten, die "aus Angst vor Younosi" anonym bleiben wollen. Das liest sich als Story gut, große Teile des Artikels basieren aber auf frei zugänglichen Zitaten (inklusive Manager Magazin) und aus einigen Zitaten von anonymen Quellen. Mit wie vielen Leuten hat die Redaktion gesprochen und wie viele haben die massiven Vorwürfe erhoben? Das wird nicht transparent gemacht, wobei es ein großer Unterschied ist, ob es sich um zwei Personen handelt oder um zwanzig.
- Entlastende Tatsachen werden durch die Journalisten relativiert und damit beiseitegeschoben. Bei der internen Mitarbeiterbefragung im April 2022 erhielt Younosi für seine Führungskultur sehr gute Werte. "Doch SAP-intern gelten Mitarbeiterbefragungen für Top-Manager als begrenzt aussagekräftig, viele würden ihren Unmut nur selten äußern", schreibt der Business Insider. Gelten für Aussagen über Führungskultur empirische Daten weniger als einzelne Meinungsäußerungen?
- Ferner schreibt der Business Insider: "Besonders offensiv ging Younosi dabei angeblich gegen Mitarbeitende vor, bei denen er Angst gehabt habe, dass sie ihn in seinem öffentlichen Ruhm übertrumpfen könnten: 'Cawa Younosi hat Mitarbeitenden, die zu viel Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung bekommen haben, einen Maulkorb verpasst', erzählt eine andere Person Business Insider." Die Journalisten geben hier Meinungsäußerungen wieder, ohne diese auf den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Blick auf einige Profile aus dem HR-Bereich von SAP hätte genügt, um die Behauptung zu hinterfragen. Zahlreiche HR-Fachleute der SAP haben in diesem Zeitraum über Social Media offen kommuniziert und ihre Reichweite ausgebaut.
Stimmen die Vorwürfe gegen Younosi mit der Realität überein? Oder ist es nur eine wirklich gut erzählte Geschichte, die als Nebenwirkung die Rufschädigung eines renommierten Personalmanagers in Kauf nimmt?
Recherchen des Personalmagazins zum Fall Cawa Younosi
Cawa Younosi ist dem Personalmagazin seit Jahren bekannt. Die Redaktion hat ihn portraitiert, ihn auf Bühnen und im Unternehmen begleitet und auch ausgezeichnet. Wir haben in den letzten zwei Monaten eigene Recherchen durchgeführt, um den Vorwürfen nachzugehen. Wir haben einen ehemaligen Vorgesetzten, Teammitglieder und Personen, mit denen er zusammengearbeitet hat, befragt und die öffentlichen Äußerungen durchforstet. Einige davon sind bereit, sich zitieren zu lassen, andere nicht. Sie zeichnen ein anderes Bild von Cawa Younosi und seinem Abgang:
- Sein langjähriger Chef Ernesto Marinello, der vor eineinhalb Jahren zu Aareon wechselte, stellt Younosi ein sehr gutes Führungszeugnis aus: "Ich habe sehr viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Sein Führungsverhalten war tadellos, er war ein sehr beliebter Executive." Die im Manager Magazin dargestellten Vorwürfe kann er sich nicht erklären. Sie würden nicht zum Managementstil von Cawa Younosi passen. Er sei ein leidenschaftlicher Mensch, aber Aggression passe gar nicht. "Cawa Younosi ist ein liebevoller Mensch. Gegenseitiger Respekt war immer die Grundlage der Zusammenarbeit. Da gab es nie einen Zweifel", sagt Marinelli, der betont, dass er sich nach wie vor der SAP-Familie verbunden fühle.
- Als Younosi im Oktober 2023 über seinen Linkedin-Account seinen Abschied bekannt gab, erhielt er großen Zuspruch, auch von vielen Beschäftigten der SAP. Seine Arbeit wurde gewürdigt, Bedauern ausgedrückt. Von seinen Followern sollen Zehntausende aus dem Technologiekonzern kommen. Ehemalige Teammitglieder bedauern öffentlich seinen Abgang. Zum Abschied, mehr als zwei Monate nach seinem Ausscheiden, schenkten sie ihm ein Bild, das aus hunderten Portraitfotos besteht und ein großes Mosaik darstellt. Nina Strassner, Global Head of People Initiatives der SAP, kommentierte das Bild auf Linkedin: "So viele Menschen und so viel bewegt…wir bewegen weiter mit dir als Mosaik im Kopf und Herz!"
- Ein Compliance-Verfahren gegen Younosi wurde eröffnet. Das ist ein normaler Vorgang, wenn sich Whistleblower an die Beschwerdestelle wenden – auch wenn sich später herausstellt, dass die Vorwürfe haltlos sind. In den Artikeln des Manager Magazins und von Business Insider werden Vorwürfe aus dem Compliance-Verfahren zitiert, es wird aber nicht erwähnt, dass das Verfahren nicht abgeschlossen wurde. Bei dem eingeleiteten Verfahren bleiben Fragen offen: Beschäftigte aus seinem Umfeld, die mit uns gesprochen haben, wurden nicht befragt - obwohl es um sein Führungsverhalten ging. Bei Verfahren, die unklar bleiben oder nicht abgeschlossen sind, sollte eigentlich der Rechtsgrundsatz gelten: im Zweifel für den Angeklagten. Mit Verdachtsberichterstattung, die sich über diesen Grundsatz hinwegsetzt, kann die Offenlegung eines internen Compliance-Verfahrens kaum begründet werden. Die Trennung war schon vereinbart.
- Dem Betriebsratsvorsitzenden, der häufig Anlaufstelle bei Konflikten zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden ist, sind die erhobenen Vorwürfe nicht bekannt. "Cawa Younosi agiert manchmal aufbrausend. Uns sind keine Beschwerden seiner Mitarbeiter wegen seinem Führungsverhalten bekannt", sagt Eberhard Schick, Vorsitzender des Betriebsrats SAP SE.
- Die SAP nimmt zu den vom Personalmagazin gestellten Fragen nicht Stellung. "Personalangelegenheiten werden nicht kommentiert", heißt es aus der Pressestelle trotz mehrfacher Nachfrage.
Streitbare Rolle
Bei den Recherchen des Personalmagazins entsteht das Bild eines intelligenten Managers, der unangepasst und durchsetzungsstark agierte. In seinem Umfeld ist von einer "guten Arbeitsatmosphäre" die Rede, auch wenn die Zusammenarbeit nicht immer einfach war. Er konnte bei Gesprächen emotional werden, sich nach Konflikten aber auch entschuldigen. "Sich entschuldigen zu können, ist im Management nicht weit verbreitet", kommentiert ein HR-Mitarbeiter der SAP und ergänzt: "Der Umgang war stets respektvoll." Younosi habe sich dem Mainstream nicht anpasst und Kritik auch nach oben geäußert. Rumlavieren, Aussitzen oder Taktieren, was im Management weit verbreitet ist, war nicht seine Art. Manchmal hat er sich bei Innovationen nicht in alle Richtungen abgesichert und hat über die Öffentlichkeit Tatsachen geschaffen. Das war für manche unbequem, gab seinen Initiativen aber Drive.
Als Personalchef hatte er eine Aufgabe im Unternehmen, in der Konflikte zum Rollenprofil gehören. Younosi hatte regelmäßig unangenehme Gespräche zu führen, etwa bei Kündigungen oder Abmahnungen. "Dass manche Mitarbeitende vor einem solchen Gespräch mit ihm Angst hatten, ist normal. Das hat nichts mit seiner Person, sondern mit der Sache zu tun", erläutert ein Mitglied des HR-Bereichs. Konflikte gehörten auch zu den Verhandlungen mit dem Betriebsrat, wie Eberhard Schick erläutert: "Cawa Younosi war für den Betriebsrat ein harter Verhandlungspartner. Im Umgang nicht nur einfach, hatte häufig gute Ideen und einen klaren Wertekompass. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihm geschätzt."
Der Wind drehte sich gegen Younosi
In den Coronajahren hatten Personalthemen bei der SAP einen hohen Stellenwert. Gesundheitsschutz, Homeoffice und Mitarbeiterorientierung schrieb der Konzern groß, um die Beschäftigten zu motivieren und gut durch die Krise zu bringen. Cawa Younosi war dafür ein guter Botschafter und nutzte die Chance, sich als Corporate Influencer zu profilieren. Mit seinen Posts zu Homeoffice, Leadership und HR baute er eine große Followerschaft auf, innerhalb von zwei Jahren wurde er zum "HR Influencer Nummer 1" und für viele HR-Verantwortliche zum Vorbild.
Seit Mitte 2022 drehten sich allerdings die Agenda und die Stimmung im Top-Management der SAP. Der Aktienkurs schwächelte, der Margendruck nahm zu und mit Künstlicher Intelligenz gab es neue Herausforderungen. Die Stimmung im Vorstand war angespannt. Das Manager Magazin schreibt im Juni 2022 über den CEO: "Intern heißt es, Christian Klein fahre inzwischen häufiger mal aus der Haut. So wie sein Ziehvater, SAP-Gründer Hasso Plattner, der für cholerische Episoden berüchtigt ist. 'Keiner traut sich mehr, Christian die Wahrheit zu sagen', sagt ein frustrierter Manager.'"
2023 kam ein erstes Programm zum Abbau von 3.000 Stellen. Younosi hat das in seine Linkedin-Kommunikation eingebaut, ohne seine Agenda neu zu justieren, die ihm Beifall und einen Zuwachs an Followern versprach. Der Vorstand der SAP bereitete bereits die nächsten Schritte der Neuausrichtung der Unternehmenskultur vor: Er plante, die Mitarbeitenden zu Präsenztagen im Büro zu verpflichten, eine individuelle Leistungsbeurteilung einzuführen und weiter Personal abzubauen, was Anfang 2024 den Beschäftigten mitgeteilt wurde.
Younosi bekämpfte intern die Planung dieser Maßnahmen, auf Linkedin zeichnete er weiter ein Bild von SAP, das zunehmend in Widerspruch zu den Vorstellungen des Vorstandes geriet. Intern nahmen die Spannungen zu, seine Aktivitäten auf Linkedin, wo seine Followerzahl auf 100.000 zusteuerte, passten nicht mehr zu den Vorstellungen des Vorstands. Auch das Verhältnis des CEO zu Younosi verschlechterte sich.
Unprofessionelle Trennung
Im Februar 2023 wurde bekannt, dass der Vertrag der Personalvorständin Sabine Bendiek ausläuft und die Stelle neu zu besetzen ist. Younosi bemühte sich darum, den Posten einzunehmen, kam aber nicht zum Zuge. Aufsichtsrat und Vorstand suchten eine Frau. Im August wurde verkündet, dass die Siemens-Personalmanagerin Gina Vargiu-Breuer im Februar 2024 neue CHRO werden sollte. Die SAP-Führungsriege stand jetzt vor einem Problem, das gelöst werden musste, bevor die Neue anfängt: Wie kann sich die neue Personalchefin profilieren, wenn Younosi extern, aber auch intern als Stimme der SAP-HR wahrgenommen wird? Bei Bendiek klappte das noch, da sie mit COO und CHRO eine Doppelrolle hatte und bei Personalthemen wenig Ambitionen entwickelte. Sie akzeptierte die Rolle Younosis, was aber ihrem Ansehen schadete. Die einzige Lösung: Eine Trennung von Younosi. Das war auch ihm klar, wie er bestätigte. Es gab bereits Gespräche über einen Aufhebungsvertrag, ein Trennungstermin stand noch nicht fest.
Dann eskalierte die Lage. Am 14. September 2023 verkündete Younosi für die SAP die Einführung einer Väterzeit. "Wir wollen damit zeigen, dass Familienvereinbarkeit und Karriere machen keine Widersprüche sind", erläuterte Younosi und erzielte mit dem Thema eine gewaltige positive Resonanz in der Belegschaft wie auch in der Öffentlichkeit. Selbst die Tagesschau meldete die News, Younosi trat im Fernsehen auf. Allerdings war der Vorstand von der Maßnahme nicht überzeugt, der Ärger über Younosi nahm zu – Monate später, Anfang 2024, hat der Vorstand das Programm Väterzeit wieder gestrichen. Die HR-Pionierrolle schnappte sich Henkel, die im Januar mit einem ähnlichen Programm starteten. Younosi hatte seine letzte Schlacht geschlagen, das Verhältnis zum Vorstand war zerrüttet.
Die Trennung von einer Führungskraft ist eigentlich ein normaler Managementvorgang. Man verabschiedet sich von jemandem, für den es keine Zukunft im Unternehmen gibt. Die Führungsspitze der SAP hat es in der aufgeheizten Stimmung nicht geschafft, das professionell zu managen. Dem Konzern sind der faire Umgang mit einem Trennungskandidaten und die Kommunikation entglitten. Über einen externen Artikel erfuhren die Beschäftigten, warum sich die Firma angeblich von ihrem beliebten Top-Personaler trennt. Das durch den Artikel öffentlich gewordene Compliance-Verfahren ordnete das Unternehmen nicht ein, ließ der Spekulation freie Bahn und nahm die Rufschädigung von Younosi in Kauf. Auf Social Media-Plattformen rollte eine Solidarisierungswelle mit Younosi an, das Unternehmen schwieg weiter. SAP hat es sogar versäumt, in der Abschiedsmail an die Beschäftigten den üblichen Dank an Younosi für 14 Dienstjahre auszusprechen. Viele Beschäftigte empfanden das als respektlos und undankbar. Für ein Unternehmen, das den Anspruch hat, Top-Arbeitgeber zu sein, sind die Vorgänge rund um die Trennung von einem Manager, der nicht mehr zum neuen Unternehmenskurs passt, beschämend.
Reißerische Berichterstattung
Beschämend bleibt auch die Rolle der beiden Wirtschaftsmedien, die eine Person ins Fadenkreuz nahmen und keine Differenzierung und Zweifel aufkommen lassen wollten. Angesichts der Medienkampagne gegen Alt-Bundespräsident Christian Wulff, die sich im Nachhinein als haltlos erwies, formulierte Mathias Döpfner, CEO von Axel Springer, wozu auch der Business Insider gehört, den zynischen Satz: "Wer mit der Bild-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten." Das Heischen nach Aufmerksamkeit und Reichweite darf nicht das vorrangige Ziel für Medien sein, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit behalten wollen.
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