BAG stuft Crowdworker bei arbeitnehmertypischer Steuerung als Arbeitnehmer ein
Die Arbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten hängt nach § 611a Abs. 1 BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Das Weisungsrecht kann dabei Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen.
Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Maßgeblich ist dabei die tatsächliche Durchführung, nicht die Bezeichnung im Vertrag.
Beschäftigung von Crowdworkern als Arbeitnehmer
Ob die Durchführung von Kleinstaufträgen durch Nutzer einer Auftragsplattform (Crowdworker) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber getroffenen Rahmenvereinbarung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist, hatte das BAG in einer Entscheidung vom 1.12.2020 zu beurteilen.
Crowdworker nutzten Auftragsplattform
In dem zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Kläger mit der Beklagten, die Kontrollen von Warenpräsentationen im Einzelhandel und an Tankstellen durchführte, zur Erledigung entsprechender Kontrolltätigkeiten eine Rahmenvereinbarung nebst AGB abgeschlossen. Unter Nutzung einer Auftragsplattform konnte der Kläger die dort angebotenen Aufträge durch Anklicken über die auf seinem Handy installierte App annehmen.
Mit wöchentlich etwa 20 Stunden übernahm der Kläger innerhalb von elf Monaten knapp 3.000 Aufträge und verdiente damit monatlich rund 1.750 EUR.
Vorgaben zur Auftragserledigung, Aufstieg durch Erfahrungspunkte
Ein angenommener Auftrag war in der Regel innerhalb von zwei Stunden nach näher definierten Vorgaben abzuarbeiten. Eine Verpflichtung, Aufträge anzunehmen oder eine bestimmte Menge davon zu bearbeiten bestand nicht. Für erledigte Aufträge erhielt der Kläger auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben, die den Zugang in ein höheres Level und damit zu mehr Aufträgen ermöglichten.
Für ein Arbeitsverhältnis sprach arbeitnehmertypische Steuerung des Crowdworkers
Nach Auffassung des BAG sprach für ein Arbeitsverhältnis, dass das Crowdworking-Unternehmen über die von ihm online betriebene Auftragsplattform die Zusammenarbeit so steuerte, dass der Beschäftigte seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei zu gestalten war. Dies gelte, so das BAG, obgleich der Betreffende vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet gewesen sei.
Anreizsystem macht Crowdworker zum Arbeitnehmer
Als ausschlaggebend sah das BAG die Organisationsstruktur der Auftragsplattform an. Diese sei darauf ausgerichtet gewesen, dass die über einen Account angemeldeten und eingearbeiteten Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annähmen, um diese persönlich zu erledigen.
Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem habe es den Nutzern der Auftragsplattform ermöglicht, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem sei der Kläger dazu veranlasst worden, kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.
Beklagte Firma rettet sich durch Kündigung
Die Statusklage des Crowdworkers hat das BAG gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da eine vorsorglich durch die Beklagte erklärte Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam beendet hatte. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche verwies das BAG den Rechtsstreit zur Klärung der üblichen Vergütung im Sinne von § 612 Abs. 2 BGB zurück an das LAG München.
(BAG, Urteil v. 1.12.2020, 9 AZR 102/20).
Hintergrund: Crowdworking
Beim Crowdworking handelt es sich um eine digitale Form des Outsourcing. Unternehmen schreiben einzelne Projekte oder kleine Arbeitsaufgaben über webbasierte Plattformen aus. Registrierte User haben die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft und ihre Fähigkeiten weltweit anzubieten und die ausgeschriebenen Arbeitsaufgaben ortsunabhängig abzuarbeiten. Unternehmen können personelle Engpässe in den eigenen Reihen auffangen, flexibel auf Auftragsspitzen reagieren und von der "Intelligenz der Masse" profitieren. Crowdworking ist somit eine moderne Form von Drittpersonaleinsatz, die sich der modernen Kommunikationsmittel bedient. Die rechtliche Einordnung von Crowdworking ist bislang noch wenig behandelt (Mit den Herausforderungen des Arbeitsrechts durch digitale Plattformen befassen sich Kocher/Hensel in NZA 2016, S. 984 ff.).
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