Rz. 134
Der Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung kann vom Betroffenen oder seinem Verteidiger formlos gestellt werden, an eine Frist ist er nicht gebunden. Aus dem Normzweck des § 73 OWiG ergibt sich, dass er frühestens mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gestellt werden kann.[280] Er kann bis zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden, also auch nach Aufruf der Sache, sofern noch nicht zur Sache verhandelt wurde.[281] Der Verteidiger muss allerdings eine Vertretungsvollmacht vorlegen, die er auch selbst unterzeichnen kann.[282] Über einen Entbindungsantrag des Betroffenen muss das Gericht entscheiden.[283] Die Entbindung gilt dann für sämtliche Hauptverhandlungstermine – nach einer Aussetzung gem. § 228 Abs. 1 StPO muss der Entbindungsantrag jedoch erneut gestellt werden.[284]
Praxistipp
Wenn der Antrag auch nicht begründet werden muss, so empfiehlt sich dies im Sinne des Wortlauts von § 73 Abs. 2 OWiG. Im Übrigen sollte der Antrag rechtzeitig vor dem Hauptverhandlungstermin gestellt werden, damit sich der Betroffene darauf einstellen kann, ob er erscheinen muss. Sofern sich im Einzelfall keine Gründe für ein persönliches Erscheinen aufdrängen und der Antrag nicht "versteckt" in rechtsmissbräuchlicher Weise eingebracht wird, sollte eine Antragsstellung am Tag der Verhandlung ausreichen.[285]
Rz. 135
Das Amtsgericht kann einen zulässig gestellten Entbindungsantrag ohne Begründung ablehnen. Im Urteil muss aber die Ablehnung begründet werden.[286] Selbst wenn an sich die Voraussetzungen für die Entbindung von der Erscheinungspflicht vorliegen, das Gericht aber nicht entbindet, muss der Betroffene erscheinen. Auf eine anderslautende Anweisung seines Verteidigers darf er nicht vertrauen.[287] Die ablehnende Entscheidung ist nicht anfechtbar, da es sich um eine prozessleitende Verfügung handelt.[288] Insoweit handelt es sich um eine Prozesshandlung konstitutiven Charakters. Nur im Rechtsbeschwerdeverfahren ist eine Überprüfung möglich.[289]
Rz. 136
Eine genügende Entschuldigung des Betroffenen verbietet eine Einspruchsverwerfung. Berufliche und private Angelegenheiten können das Ausbleiben entschuldigen, wenn sie unaufschiebbar oder unter Berücksichtigung des gegen den Betroffenen erhobenen Schuldvorwurfs von solcher Bedeutung sind, dass ihm das Erscheinen vor Gericht billigerweise nicht zugemutet werden kann.[290] Allerdings ist zu beachten, dass grundsätzlich die Erscheinungspflicht vor Gericht privaten und beruflichen Angelegenheiten vorgeht.[291] Eine Abwesenheitsentscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG ist bei Ausbleiben des Betroffenen dann nicht möglich, wenn sein Verteidiger nicht geladen wurde. Dieser hätte nämlich unter Umständen noch im Termin Entschuldigungsgründe für das Nichterscheinen des Betroffenen vortragen können.[292] Unterbleibt die Ladung des Verteidigers zur Hauptverhandlung, obwohl sich dieser rechtzeitig – auch bei der Verwaltungsbehörde – bestellt hat, ist ein Verwerfungsurteil nicht zulässig.[293] Der Grundsatz einer fairen Verhandlungsführung erfordert es, auf eine begründete und mitgeteilte Verhinderung des Verteidigers Rücksicht zu nehmen, genau wie auf eine Verspätung des Betroffenen.[294]
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