Entscheidungsstichwort (Thema)

Entbindungsantrag nach § 73 II OWiG in Hauptverhandlung

 

Leitsatz (amtlich)

Unter den Voraussetzungen des § 73 II und III OWiG kann der Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen nach § 73 II OWiG auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden. Befindet sich eine über die Verteidigungsvollmacht hinausgehende schriftliche Vertretungsvollmacht des hauptbevollmächtigten Verteidigers iSv. § 73 III OWiG bei den Akten, kann der Antrag in zulässiger Weise durch den im Temin anwesenden unterbevollmächtigten Verteidiger gestellt werden (u.a. Anschluss an OLG Celle StraFo 2009, 340 = VRS 116, 451 [2009] = NZV 2010, 420 = VRR 2009, 312 und OLG Zweirücken zfs 2011, 708).

 

Normenkette

OWiG § 73 Abs. 2, § 74 Abs. 3

 

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Das AG hat den Einspruch des Betr. gegen einen Bußgeldbescheid, mit dem gegen ihn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung neben einer Geldbuße von 160 € ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt wurde, mit Urteil vom 10.03.2014 gemäß § 74 II OWiG verworfen. Mit seiner gegen das Verwerfungsurteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel erwies sich auf die Verfahrensrüge als begründet.

 

Entscheidungsgründe

1.

Die statthafte (§ 79 I 1 Nr. 2 OWiG) Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere entspricht die mit Verteidigerschriftsatz vom 14.05.2014 neben der unausgeführten Sachrüge angebrachte Verfahrensrüge der rechtsfehlerhaften Anwendung des § 74 II OWiG den Begründungsanforderungen gemäß §§ 79 III 1 OWiG i.V.m. 344 II 2 StPO.

2.

Die Rechtsbeschwerde erweist sich aufgrund der Verfahrensrüge auch als begründet, so dass es auf die Sachrüge nicht mehr ankommt. Hierzu führt die GenStA in ihrer Antragsschrift [...] aus:

"Das AG hätte den Betr. auf den durch seinen Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden müssen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorlagen. [...] Nach § 73 II OWiG hat das Gericht den Betr. auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 II OWiG vorliegen [...]. Dies war hier der Fall. In dem durch seinen Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung vom 10.03.2014 gestellten Entbindungsantrag, welcher inhaltlich dem bereits am 05.07.2013 gestellten früheren und im Anschluss positiv beschiedenen Entbindungsantrag sowie dem Vortag im Schriftsatz vom 24.09.2013 entsprach, hat der Betr. entsprechend seinem früheren Schriftsatz vom 05.07.2013 seine Fahrereigenschaft eingeräumt, und vorgetragen, dass er keine weiteren Angaben machen werde, weder zur Sache noch zu seinen persönlichen Verhältnissen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verteidiger bereits eine schriftliche Vollmacht des Betr. (§ 73 III OWiG), die ihn auch zur Vertretung in Bußgeldsachen ermächtigte, vorgelegt. Dem zu Beginn der Hauptverhandlung vom 10.03.2014 gestellten erneuten Entbindungsantrag hätte stattgegeben werden müssen, weil nicht erkennbar ist, welche weitere Aufklärung des Sachverhaltes von der Anwesenheit des schweigenden Betr. im Hauptverhandlungstermin zu erwarten gewesen wäre. Die Entbindung hätte noch bei Beginn der Hauptverhandlung aufgrund des gestellten Antrags ausgesprochen werden können [...]."

3.

Diese zutreffenden und mit der Spruchpraxis der Bußgeldsenate des Rechtsbeschwerdegerichts im Einklang stehenden Ausführungen macht sich der Senat zu Eigen. Insbesondere durfte der Entbindungsantrag gemäß § 73 II OWiG unter den hier gegebenen Voraussetzungen, darunter einer schriftlichen Vertretungsvollmacht des hauptbevollmächtigten Verteidigers im Sinne von § 73 III OWiG (zu den Anforderungen vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2006 - 3 Ss OWi 430/06 = NStZ 2007, 180) nach richtiger Ansicht durch den im Temin anwesenden unterbevollmächtigten Verteidiger zulässigerweise auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt und deshalb nicht allein wegen 'Verspätung' abgelehnt werden (wie hier u.a. OLG Celle StraFo 2009, 340 = VRS 116, 451 [2009] = NZV 2010, 420 = VRR 2009, 312 [Burhoff] und OLG Zweibrücken zfs 2011, 708, jeweils m.w.N.; im gleiche Sinne auch Burhoff/Stephan, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 1680 f. und KK/Senge OWiG 3. Aufl. § 73 Rn. 18 f.; a.A. demgegenüber weiterhin Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 73 Rn. 4). [...]

 

Fundstellen

Haufe-Index 7387287

ZfS 2015, 50

StraFo 2014, 467

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