Rz. 137

Wenn das Gericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hat, so kann sich dieser gem. § 73 Abs. 3 OWiG durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen. Hat er keinen Verteidiger, wird in diesem Fall die Hauptverhandlung gem. § 74 Abs. 1 OWiG in seiner Abwesenheit durchgeführt. Das Gleiche gilt, wenn der beauftragte Verteidiger nicht erscheint.[295] Ist der Betroffene dagegen nicht entbunden worden, so muss das Gericht gem. § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch ohne Verhandlung durch Urteil verwerfen. Dies gilt auch dann, wenn sein Verteidiger zum Termin erscheint. Dies ergibt sich aus § 73 Abs. 3 OWiG. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass eine ordnungsgemäße Ladung erfolgte und über die Folgen des Ausbleibens belehrt worden ist, § 74 Abs. 3 OWiG.

 

Praxistipp

Soll der Betroffene vom persönlichen Erscheinen entbunden werden, ist bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten in besonderem Maße auf eine ordnungsgemäße Vertretungsvollmacht zu achten.

 

Rz. 138

§ 74 Abs. 2 OWiG stellt die Vermutung auf, dass der nicht erschienene Betroffene das Rechtsmittel nicht weiterverfolgen will. Verspätet sich der geladene Betroffene dagegen im Termin, kommt es auf den Einzelfall an. In der Regel hat das Gericht mindestens 15 Minuten zuzuwarten, bevor es eine Entscheidung hierzu trifft. Sofern die Verteidigung jedoch glaubhafte Gründe für die Verspätung vorbringt und mitteilt, mit welcher Zeitspanne sich der Geladene verspäten wird, entfällt die gesetzliche Vermutung. Dann kann dem Gericht auch eine längere Wartezeit zumutbar sein.[296]

 

Praxistipp

Um ein unzulässiges Verwerfungsurteil aufgrund der Säumnis des Betroffenen überprüfen zu können, muss das OLG die weiteren Umstände prüfen können. Daher empfiehlt es sich, die näheren Umstände sowie Anhaltspunkte für die Dauer der Verhandlung über einen entsprechend begründeten (hand)schriftlichen Antrag ins Protokoll einfließen zu lassen.

 

Rz. 139

Über die Folgen des Ausbleibens soll gem. § 74 Abs. 3 OWiG nicht mehr belehrt werden müssen, wenn die Hauptverhandlung unterbrochen und ein neuer Termin bestimmt worden ist.[297] Richtiger erscheint allerdings die Auffassung, dass im Falle der Verlegung der Hauptverhandlung oder Aussetzung derselben eine Verwerfung des Einspruchs nur zulässig ist, wenn der Betroffene mit der Ladung erneut nach § 74 Abs. 3 OWiG belehrt worden ist. Ein bloßer Hinweis auf die Belehrung in einer Ladung zu einem früheren Termin ist nicht ausreichend.[298] Nur durch den Hinweis in der Ladung zum neuen Termin werden dem Betroffenen die Folgen einer Säumnis ausreichend vor Augen geführt. Ein gestellter Entbindungsantrag hat Wirkung nur für die bevorstehende Hauptverhandlung. Nach einer Aussetzung derselben muss der Antrag wiederholt werden.[299]

 

Rz. 140

Der Betroffene muss grundsätzlich von der in seiner Abwesenheit beschlossenen Fortsetzung der Hauptverhandlung in Kenntnis gesetzt werden, selbst wenn im Fortsetzungstermin nur das Urteil verkündet werden soll.[300]

 

Rz. 141

Wenn das Gericht über einen rechtzeitig gestellten Antrag des Betroffenen, ihn von der Erscheinungspflicht zu entbinden, nicht entschieden hat, so ist grundsätzlich sein Ausbleiben auf eine falsche Sachbehandlung des Gerichts zurückzuführen und ist deshalb nach der Rechtsprechung unter Umständen als genügend entschuldigt anzusehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn noch weitere Umstände vorliegen, die den Betroffenen bestärken, nicht erscheinen zu müssen.[301]

 

Rz. 142

Die Einspruchsverwerfung wegen Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung muss vom Gericht im Urteil begründet werden.[302] Mit möglichen Entschuldigungsgründen muss sich das Gericht auseinander setzen, auch mit Vertagungsanträgen der Verteidigung oder mit einem – evtl. erneut gestellten – Entbindungsantrag.[303] Dies gilt zumindest dann, wenn der Entschuldigungsgrund in einem Schriftsatz enthalten ist, der vor dem Termin bei der Geschäftsstelle eingegangen ist.[304] Es kommt nicht darauf an, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Wenn Anhaltspunkte für eine Entschuldigung bestehen, hat das Gericht eine Klärungspflicht.[305] Es liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn das Gericht nicht über den Entbindungsantrag entscheidet und sich auch mit den Gründen hierfür im Urteil nicht befasst.[306]

 

Rz. 143

Die Auseinandersetzungen mit Einwendungen oder Bedenken gegen eine Einspruchsverwerfung hat in den Urteilsgründen zu erfolgen. Eine Bezugnahme lediglich auf das Protokoll ist unzulässig.[307]

 

Rz. 144

War der Betroffene unverschuldet im Termin säumig, kann er gegen die Einspruchsverwerfung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen, worüber er im Rahmen der Urteilszustellung belehrt werden muss (§ 74 Abs. 4 OWiG).

 

Praxistipp

Neben der Rechtsbeschwerde sollte gegen ein Verwerfungsurteil wegen Ausbleiben des Betroffenen i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG stets ein Wiedereinsetzungsantrag gem. § 74 Abs. 4 OWiG gestellt werden.[308]

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?