Rz. 33
Bei der Beratung eines Mandanten vor dem Erbfall, und zwar in den Fällen der gestaltenden Beratung, bedarf es zwingend der Ermittlung des Vorliegens bereits vorhandener testamentarischer Verfügungen des Erblassers sowie der Beachtung der sich hieraus möglicherweise ergebenden Verfügungsbeschränkungen des Mandanten.
Rz. 34
Während bereits im Rahmen der Erfassung der Vermögenssituationen etwaige Verfügungsbeschränkungen aufgrund einer Vorerbenstellung oder aufgrund gesellschaftsrechtlicher Beschränkungen zu ermitteln waren, ist hier die Ermittlung einer möglicherweise vorliegenden Bindungswirkung auf der Grundlage eines gemeinschaftlichen Testamentes bzw. Erbvertrags notwendig. Soweit sich für den Rechtsanwalt irgendwelche Anhaltspunkte für das Vorliegen früherer testamentarischer oder erbvertraglicher Verfügungen ergeben, ist zwingend deren inhaltliche Prüfung vorzunehmen. Im Bereich der Testamentsgestaltung ist letztlich jede Gestaltungsberatung hinfällig, sollte der Mandant durch ein gemeinschaftliches Testament aufgrund des Versterbens des Ehegatten gem. § 2271 Abs. 2 BGB an eine wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung gebunden sein. Gleiches gilt hinsichtlich etwaiger erbvertraglicher Bindungen bzw. der Prüfung der Möglichkeiten des Rücktritts vom Erbvertrag. Möglicherweise führt dies dann auch zur Notwendigkeit der Prüfung etwaiger Ausschlagungsmöglichkeiten zur Wiedererlangung der Testierfähigkeit (§ 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB) sowie Anfechtungsmöglichkeiten, wie z.B. aus § 2079 BGB wegen der Übergehung eines weiteren vorhandenen Pflichtteilsberechtigten. Zuletzt sollte nicht vergessen werden, dass bei einer neuen Testamentserrichtung vorsorglich vorhandene frühere – ggf. nicht bindend wirkende – letztwillige Anordnungen zu widerrufen sind.
Rz. 35
Nach Vorliegen des Erbfalls ist die Überprüfung des Vorhandenseins von testamentarischen Verfügungen bereits zur Ermittlung der Erbfolge erforderlich. Dabei kann sich der Rechtsanwalt sicherlich nicht darauf beschränken, lediglich das zeitlich zuletzt errichtete Testament einer Prüfung zu unterziehen, da dies – ausgenommen in Fällen des ausdrücklichen Widerrufes früherer Verfügungen – lediglich insoweit ein früheres Testament aufhebt, als das spätere Testament mit diesem in Widerspruch steht, § 2258 Abs. 1 BGB. Auch weitere Ermittlungen hinsichtlich möglicherweise vorliegender anderer testamentarischer Verfügungen sind vor dem Hintergrund etwaiger entgegenstehender Bindungswirkungen von erheblicher Bedeutung. Wegen der in § 2259 BGB geregelten Ablieferungsverpflichtung hilft auch hier in der Regel die Einsicht in die Nachlassakte. Zudem soll der Rechtsanwalt durch eingehende Befragung des Mandanten klären, ob noch weitere u.U. bislang noch nicht bekannte testamentarische Verfügungen vorliegen.