Rz. 356
Wenn ein Rechtsanwalt mit einem Sachverhalt konfrontiert ist, bei dem Rechtsvorschriften eines ausländischen Staates zu berücksichtigen sind, muss er sich entscheiden, ob er das ausländische Recht selbst prüft, ob er dafür einen Anwalt aus dem jeweiligen Rechtskreis hinzuzieht oder ob er das Mandat niederlegt und dem Auftraggeber einen anderen Rechtsanwalt empfiehlt, der über die nötige Kompetenz und Erfahrung im internationalen Rechtsverkehr verfügt.
Rz. 357
Nach Nr. 3.1.3 der Berufsregeln der Rechtsanwälte der EU (CCBE) muss ein Rechtsanwalt ein Mandat ablehnen, wenn er weiß oder wissen muss, dass es ihm an den erforderlichen Kenntnissen fehlt, es sei denn, er arbeitet mit einem Rechtsanwalt zusammen, der diese Kenntnisse besitzt. § 29 Abs. 1 BORA a.F. bestimmte bis zu seiner Aufhebung in der ab dem 1.7.2015 geltenden Fassung, dass die CCBE-Regeln auch in Deutschland rechtsverbindlich sind. Diese Wirkung ist durch die Aufhebung des § 29 BORA im Jahr 2015 entfallen. An die Stelle der Bezugnahme auf die CCBE-Regeln in § 29 BORA a.F. sind die §§ 29a und 29b BORA getreten. In § 29a BORA ist in Anlehnung an Nr. 5.3 CCBE-Regeln die zwischenanwaltliche Korrespondenz im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr und in § 29b BORA die Informationspflicht des Anwalts im Hinblick auf die Haftung für das Honorar zu finden. Weitere Regelungen, welche die CCBE substituieren wollen, sind nicht getroffen. Insoweit ist die Satzungsversammlung davon ausgegangen, dass "alle Fragen, die im CCBE code of conduct behandelt sind, im deutschen Berufsrecht entweder gesetzlich bzw. durch Satzung geregelt oder durch die Rechtsprechung und die Gerichte geklärt sind". Die Berufsordnung, die in anderen Mitgliedstaaten der EU weiter anzuwenden sein kann, unterscheidet – inhaltlich wenig geglückt – zwischen der Tätigkeit von Rechtsanwälten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (Nr. 1.5 CCBE-Regeln) und "sonstiger grenzüberschreitender Tätigkeit". Nur im erstgenannten Fall finden die CCBE-Regeln Anwendung. Sonst unterliegt die grenzüberschreitende Tätigkeit der Berufsordnung. Diese enthält jedoch keine Nr. 3.1.3 CCBE-Regeln entsprechende Bestimmung. Damit geht die Verweisung ins Leere. Haftungsrechtlich wirkt sich dies nicht aus, da die Normen des Berufsrechts nicht herangezogen werden können, um die von einem Rechtsanwalt zu beachtenden Sorgfaltsstandards zu konkretisieren.
Rz. 358
Wenn ein Rechtsanwalt für die Prüfung ausländischen Rechts einen ausländischen Anwalt hinzuzieht, sind zwei Fälle zu unterscheiden. Die Anwälte können auf einer ständigen vertraglichen Grundlage kooperieren (wegen der Zusammenarbeit auf dauerhafter vertraglicher Grundlage wird auf die Darstellungen zu den einzelnen Rechtsformen verwiesen, vgl. Rdn 391 ff.). Im Regelfall arbeitet der Rechtsanwalt mit dem ausländischen Kollegen aber im Einzelfall anlässlich eines konkreten Mandats zusammen.