Rz. 258
Die Pflicht zu ordnungsgemäßem prozessualem Handeln ggü. dem Prozessgericht obliegt dem Prozessbevollmächtigten, nicht dem Verkehrsanwalt. Bei Unklarheiten des ihm erteilten Auftrags hat der Prozessanwalt den Verkehrsanwalt um Klarstellung zu ersuchen; dagegen ist er grds. nicht verpflichtet, unter Umgehung des Verkehrsanwalts den Mandanten selbst um Auskunft zu bitten.
Selbst wenn der Verkehrsanwalt einen Schriftsatz ausgearbeitet hat, ist die Verantwortlichkeit des Prozessbevollmächtigten für den Inhalt des Schriftsatzes nicht beschränkt. Deshalb besteht besondere Haftungsgefahr, wenn der Prozessbevollmächtigte einen vom Verkehrsanwalt entworfenen Schriftsatz ohne weitere Prüfung unterzeichnet und bei Gericht unter seinem Namen einreicht (nur "stempelt"), es sei denn, der Prozessbevollmächtigte lehnt eine Verantwortung für den Inhalt eines Schriftsatzes unmissverständlich ab.
Sind der Prozessanwalt und der Verkehrsanwalt gemeinsam für einen Schaden verantwortlich, weil jeder in seinem eigenen Verantwortungsbereich eine Schadensursache pflichtwidrig und schuldhaft gesetzt hat, haften sie als Gesamtschuldner, wobei sich die Höhe des Ausgleichsanspruchs nach dem Maß der Verursachung und des Verschuldens im Einzelfall richtet. Soweit nicht ein anderes bestimmt ist, sind die Gesamtschuldner gem. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet (vgl. Rdn 270).
Rz. 259
Lehnt der Prozessbevollmächtigte eine Verantwortung für den Inhalt eines vom Verkehrsanwalt entworfenen Schriftsatzes unmissverständlich ab, ist eine solche Erklärung als Haftungsbeschränkung (vgl. Rdn 484 ff.) zu bewerten, die inhaltlich den Anforderungen des § 52 Abs. 1 BRAO genügen muss. Eine entsprechende Haftungsbeschränkung betrifft das entsprechende Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Wenn der Prozessbevollmächtigte eine solche Erklärung auch im Außenverhältnis, d.h. ggü. dem Prozessgericht oder der gegnerischen Partei abgibt, gilt der Schriftsatz als nicht ordnungsgemäß unterschrieben.
Ein Ausweg für den Prozessanwalt kann darin bestehen, das angebotene Mandat nur zu übernehmen, wenn ihm der Mandant oder der Verkehrsanwalt die ausdrückliche Weisung erteilen, die gelieferten Schriftsatzentwürfe des Verkehrsanwalts unverändert einzureichen.
Rz. 260
In der Praxis hat sich eine weitere Übung herausgebildet, die darin besteht, dass der Prozessbevollmächtigte einen anderen Rechtsanwalt lediglich als Terminsvertreter beauftragt. Dabei ist es sowohl möglich, dass die Mandatserteilung an den Terminsvertreter im Namen des Auftraggebers (Mandanten) erfolgt oder im eigenen Namen des Prozessbevollmächtigten. Ist Letzteres der Fall, wird kein Vertragsverhältnis zwischen der Partei und dem Terminsvertreter begründet und so ein Verstoß gegen § 49b Abs. 1 BRAO vermieden. Durch die fehlende vertragliche Beziehung zwischen einem so beauftragten Terminsvertreter und dem Mandanten unterscheidet sich dieser Sonderfall von der üblichen Unterbevollmächtigung, bei der es zu einem Vertrag zwischen Mandant und Unterbevollmächtigten kommt (vgl. Rdn 294). Die Verantwortlichkeit und Haftung des Terminsvertreters ggü. seinem Auftraggeber, dem Prozessbevollmächtigten, richtet sich nach deren Vereinbarungen, ohne dass es insoweit einer Rücksichtnahme auf den Mandanten bedarf. Allerdings wird auch in diesem Zusammenhang § 52 BRAO (vgl. Rdn 479 ff.) zu beachten sein, der nicht danach differenziert, ob der Auftraggeber selbst ein Rechtsanwalt ist.
Rz. 261
Der Prozessbevollmächtigte hat nach deutschem Zivilprozessrecht eine selbstständige, eigenverantwortliche Stellung, die sich zugleich auf das vertragliche Innenverhältnis zu seinem Mandanten auswirkt. Mehrere Prozessbevollmächtigte sind berechtigt, sowohl gemeinschaftlich als auch einzeln die Partei zu vertreten (§ 84 ZPO). Eine abweichende Bestimmung der Vollmacht hat ggü. dem Prozessgegner keine rechtliche Wirkung (§ 83 ZPO). Gem. § 85 Abs. 1 ZPO sind die vom Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen worden wären. Entsprechend steht ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der vertretenen Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte, nicht der Verkehrsanwalt, verantwortet die Prozesstaktik. Gerade wenn er am Prozessgericht ansässig oder dort häufig tätig ist, kann er die Vorzüge und die Nachteile einer bestimmten Art der Prozessführung aufgrund seiner Kenntnis der örtlichen und persönlichen Eigenarten des angerufenen Gerichts hinreichend zuverlässig abschätzen. Hält der Prozessbevollmächtigte die vom Verkehrsanwalt vorgeschlagene Taktik für unzweckmäßig, riskant oder gar nachteilig, muss er seine Bedenken ggü. diesem Anwalt kundtun. Erst wenn der Verkehrsanwalt auf eine solche "Gegenvorstellung" die Weisung des Mandanten übermittelt, es solle bei der von ihm vorgeschlagenen Prozesstaktik bl...