Rz. 91
Das Recht zur jederzeitigen Kündigung des Anwaltsvertrages nach § 627 Abs. 1 BGB kann gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen sein.
aa) Beiordnungsfälle
Rz. 92
Wenn der Vertragsschluss auf eine gerichtliche Beiordnung des Rechtsanwalts zurückgeht (vgl. auch Rdn 192 ff.), kann dieser den Anwaltsvertrag wegen des dadurch begründeten Kontrahierungszwangs nicht ohne Weiteres kündigen. Dann muss der Rechtsanwalt zunächst die Aufhebung der Beiordnung gem. §§ 48 Abs. 2, 49 Abs. 2 BRAO beantragen. Voraussetzung ist, dass ein wichtiger Grund vorliegt, also etwa das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nachhaltig und tief greifend gestört ist. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, wegen der der Partei drohenden Nachteile, die mit der Entpflichtung verbunden wären. Denn wenn die Partei ihren beigeordneten Anwalt verliert, ohne einen anderen beigeordnet zu bekommen, weil sie das Vertrauensverhältnis durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten zerstört hat, läuft sie Gefahr, den Rechtsstreit durch Versäumnisurteil zu verlieren. Dies kann sie nur dann noch dadurch vermeiden, dass sie einen zur Vertretung bereiten Anwalt findet, der auf die vom bisher beigeordneten Anwalt verdienten Gebühren verzichtet oder den sie selbst bezahlt. Nicht jede unangemessene Äußerung, die sich auf die konkrete Vorgehensweise des Rechtsanwalts und nicht etwa seine Person oder Qualifikation bezog, kann damit bereits die Annahme eines tief greifenden Vertrauensverlustes rechtfertigen – insb. wenn die Partei ggü. dem Gericht geltend macht, weiter von dem beigeordneten Anwalt vertreten werden zu wollen.
Da der Kontrahierungszwang nur für den Rechtsanwalt gilt, ist der Mandant in seinen Kündigungsmöglichkeiten nicht beschränkt.
bb) Vertraglicher Ausschluss
Rz. 93
Das Sonderkündigungsrecht nach § 627 BGB kann auch vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden. Die in § 627 BGB vorgesehene Möglichkeit, den Anwaltsvertrag unter erleichterten Voraussetzungen zu kündigen, ist nicht schlechthin kennzeichnend für den Anwalts-Dienstvertrag, was sich bereits aus dem gesetzlichen Ausschluss für den Fall des dauernden Dienstverhältnisses mit festen Bezügen ergibt.
Der vertragliche Ausschluss des Rechts, gem. § 627 Abs. 1 BGB den Anwaltsvertrag jederzeit ohne Einhaltung einer Frist zu kündigen, muss nicht notwendig ausdrücklich vereinbart werden. Er kann sich auch eindeutig und bestimmt aus anderen Abreden ergeben. Allein aus dem Umstand, dass ein Anwaltsvertrag auf eine bestimmte Zeit geschlossen ist, lässt sich aber nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass die Parteien das Kündigungsrecht nach § 627 Abs. 1 BGB ausschließen wollten. Offenbaren die Parteien jedoch zusätzlich ein Interesse an einer schuldrechtlichen Bindung, kann dies für einen konkludenten Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts des § 627 Abs. 1 BGB sprechen. Auch ein erhebliches wirtschaftliches Interesse des beauftragten Rechtsanwalts an der Durchführung der Vereinbarung kann dafür sprechen, dass den Parteien die Möglichkeit genommen werden sollte, sich jederzeit einseitig von dem Vertrag zu lösen.
Selbst wenn das Recht zur jederzeitigen Kündigung ausgeschlossen oder beschränkt wird, bleibt es dennoch beim Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB erhalten. Diese Vorschrift ist unabdingbar.
Rz. 94
Dass das Kündigungsrecht nach § 627 Abs. 1 BGB beim Steuerberatervertrag (und damit auch beim Anwaltsvertrag) nicht durch AGB ausgeschlossen werden kann, ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt. Selbst wenn ein Steuerberater einen (nur) überwiegenden Teil seiner Dienstleistungen auf Dauer gegen feste Bezüge zu erbringen hat und dafür Betriebseinrichtungen und Personal in erheblichem Umfang vorhalten muss, wird der Mandant durch die Beschränkung auf lediglich eine Kündigungsmöglichkeit im Jahr unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Gleiches gilt, wenn das Kündigungsrecht durch AGB auf die Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) eingeschränkt werden soll.