Rz. 96
Wenn der beauftragte Rechtsanwalt den Anwaltsvertrag gem. § 627 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigt, obliegt ihm nach § 627 Abs. 2 Satz 1 BGB, auf das Interesse des Mandanten Rücksicht zu nehmen, sich die Dienste anderweitig beschaffen zu können. Auch Nr. 3.1.4. der in der Vergangenheit bis zur Aufhebung des § 29 Abs. 1 Satz 1 BORA durch Beschl. v. 15.4.2013 mit Wirkung vom 1.11.2013 geltenden CCBE-Regeln, der bei grenzüberschreitender Tätigkeit Geltung beanspruchte, sah vor, dass der Rechtsanwalt sein Recht zur Mandatsniederlegung nur derart ausüben durfte, dass der Mandant in der Lage ist, ohne Schaden den Beistand eines anderen Kollegen in Anspruch zu nehmen.
Eine Ausnahme von dieser Einschränkung des jederzeitigen Kündigungsrechts sieht das Gesetz für den Fall vor, dass ein wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung vorliegt. Kündigt der Rechtsanwalt den Auftrag ohne einen wichtigen Grund zur Unzeit, ist er nach § 627 Abs. 2 Satz 2 BGB verpflichtet, dem Mandanten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Wirksamkeit der Kündigung bleibt davon unberührt. Der Mandant, der von dem Kündigungsrecht des § 627 Abs. 1 BGB Gebrauch macht, unterliegt im Gegensatz zum Rechtsanwalt nicht den Einschränkungen des § 627 Abs. 2 BGB.
aa) Kündigung zur Unzeit
Rz. 97
Eine Kündigung zur Unzeit liegt vor, wenn der Mandant sich notwendige Dienste eines anderen Rechtsanwalts nach Zugang der Kündigung nicht beschaffen kann. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob dem Mandanten dies in gleicher Güte und zu gleichen Bedingungen möglich ist. Maßgebend dafür, ob eine Kündigung zur Unzeit erfolgt, ist nicht der Zeitpunkt der Kündigungserklärung, sondern der der tatsächlichen Beendigung des Auftrags. Ob eine Kündigung zur Unzeit ausgesprochen worden ist, hängt von den Umständen des Falls ab. Um eine Kündigung zur Unzeit zu vermeiden, trifft den Rechtsanwalt bei einer Kündigung nach §§ 626, 627 BGB die Obliegenheit, alles zu unterlassen bzw. alles Gebotene zu unternehmen, um unabwendbare Nachteile für den Auftraggeber abzuwenden.
Rz. 98
Vor einer Mandatsniederlegung während eines anhängigen Verfahrens muss ein Rechtsanwalt den Verfahrensgegenstand anhand seiner Akte überprüfen und erforderliche fristwahrende Maßnahmen, etwa die Einlegung von Rechtsmitteln, noch veranlassen. Es kann auch eine Obliegenheit des Rechtsanwalts bestehen, eine gebotene Fristverlängerung zu beantragen und zu überwachen, ob diese auch gewährt worden ist, bevor er das Mandat kündigt. Der Rechtsanwalt kann ferner gehalten sein, einen Termin für den Mandanten wahrzunehmen, wenn er sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen will, das Mandat zur Unzeit niedergelegt zu haben. Notfalls muss der Rechtsanwalt nach einer Niederlegung des Mandats von den ihm nach § 87 Abs. 2 ZPO zustehenden Rechten Gebrauch machen.
Rz. 99
Der BGH hat einen Fall entschieden, in dem der Berufungsanwalt das Mandat niedergelegt hatte, weil der Mandant einer schriftlichen Aufforderung, bei ihm wegen der Berufungsbegründung vorzusprechen, keine Folge geleistet hatte. Der Rechtsanwalt hatte daraufhin keinen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Nach Ansicht des BGH war dem Auftraggeber eine Fristversäumung des Rechtsanwalts nach §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Für § 627 Abs. 2 BGB lässt sich daraus ableiten, dass in einem solchen Fall jedenfalls auch eine Kündigung zur Unzeit vorliegt.
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Niederlegung eines Mandats zur Unzeit vorliegen kann, wenn der Rechtsanwalt dem Mandanten nicht zugleich mitteilt, dass in Kürze der Ablauf der Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist droht. Beabsichtigt der Rechtsanwalt, das Mandat zum Ablauf einer gesetzlichen oder richterlichen Frist niederzulegen, muss er zunächst zugunsten des Mandanten eine Fristverlängerung beantragen, um diesem zu ermöglichen, noch einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen. Die Verpflichtung entfällt danach nur ausnahmsweise, wenn dem Mandanten ein schweres eigenes Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Dies ist nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht bereits dann der Fall, wenn der Mandant einen Kostenvorschuss nicht rechtzeitig zahlt.
Rz. 100
Zu einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO hat der BGH ausgeführt, dass die Kündigung eines Anwaltsvertrages durch den Prozessbevollmächtigten während bereits angelaufener Frist zur Begründung eines Rechtsmittels nicht schuldhaft erfolgt, wenn der Rechtsanwalt damit rechnen konnte, dass der Mandant bis zum Ablauf der Frist genügend Zeit und Gelegenheit zur Beauftragung eines anderen Anwalts haben werde.
Rz. 101
Das OLG Karlsruhe hat ausgeführt, dass eine Kündigung zur Unzeit nicht vorliege, wenn der Prozessbevollmächtigte im Revisionsverfahren das Mandat zwar während des L...