Rz. 227
Auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses (vgl. Rdn 69 ff.) treffen einen Rechtsanwalt im Einzelfall Pflichten, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch des ehemaligen Mandanten begründen kann. Hiervon sind diejenigen Sachverhalte abzugrenzen, in denen sich Beratungs- und Handlungspflichten des Rechtsanwalts aus dem laufenden Vertragsverhältnis ergeben, so etwa wenn der Rechtsanwalt den Anwaltsvertrag ohne wichtigen Grund zur Unzeit gekündigt oder die Kündigung des Vertrages durch vertragswidriges Verhalten veranlasst hat und deswegen eine Haftung nach § 627 Abs. 2 Satz 2 BGB oder § 628 Abs. 2 BGB in Betracht kommt (vgl. Rdn 95 ff.).
1. Erlöschen der Pflichten mit Beendigung des Anwaltsvertrages
Rz. 228
Grds. erlöschen die Pflichten des Rechtsanwalts aus dem Anwaltsvertrag mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses. Der Rechtsanwalt ist grds. nicht verpflichtet, seinem bisherigen Mandanten Ratschläge für die künftige Sachbehandlung zu erteilen, wenn ihm der Auftrag zu einem Zeitpunkt entzogen werde, in dem keine Nachteile durch alsbaldigen Fristablauf drohten. Das Vertragsende entbindet den Rechtsanwalt von seiner Pflicht, die zuvor vertraglich übernommene Angelegenheit auch nur zu einem provisorischen Ende zu führen. Der Auftraggeber darf ferner nicht etwa beanspruchen, über die Sach- und Rechtslage bei Mandatsende umfassend unterrichtet zu werden. Auch eine generelle Rechtspflicht, eine zuvor geschuldete Beratung nach Vertragsende unaufgefordert wieder aufzunehmen, wenn der frühere Mandant erkennbar erneut der Beratung bedarf, würde die beratenden Berufe in unzumutbarer Weise überfordern und außer Acht lassen, dass die Beratung im Allgemeinen ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzt.
2. Nachwirkende Vertragspflichten
Rz. 229
Die Pflichten des beauftragten Rechtsanwalts entfallen mit der Vertragsbeendigung nicht stets in vollem Umfang. Im Einzelfall können einem Rechtsanwalt vertragliche Pflichten auch noch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses obliegen. So kann der Rechtsanwalt ausnahmsweise unter besonderen Umständen bei Vertragsende gehalten sein, die übernommene Angelegenheit des Mandanten wenigstens so abzuschließen, dass dieser infolge der Beendigung keine einem Rechtskundigen erkennbare und vermeidbare Schäden erleidet. Dabei wird es immer eine Rolle spielen, ob gerade die (Un-)Tätigkeit des Anwalts zu der eingetretenen Gefahr beigetragen hat.
An den nachvertraglichen Pflichten des Rechtsanwalts ändert sich nichts dadurch, dass er von der Beendigung des Mandatsverhältnisses (etwa bei Insolvenz des Mandanten) keine Kenntnis hat. § 674 BGB bietet dem Rechtsanwalt keinen weiter gehenden Schutz, als wenn der Anwaltsvertrag nicht erloschen wäre.
a) Gesetzliche nachvertragliche Pflichten
Rz. 230
Nachvertragliche (Neben-)Pflichten werden dem Rechtsanwalt in §§ 203 Abs. 1 Nr. 3, 204 StGB (Schweigepflicht), § 356 StGB (Verbot des Parteiverrats), § 50 Abs. 2 BRAO (Aufbewahrung von Handakten), §§ 675 Abs. 1, 666 BGB (Rechenschaftslegung) oder §§ 675 Abs. 1, 667 BGB (Herausgabe erlangter Gegenstände) auferlegt. Diese Pflichten sind allerdings haftungsrechtlich nicht von vorrangigem Interesse.
b) Nachvertragliche Aufklärungspflichten
Rz. 231
Die Rechtsprechung hat aus § 242 BGB besondere nachwirkende Vertragspflichten zur Aufklärung und Belehrung des ehemaligen Auftraggebers abgeleitet, da kein Beteiligter den Vertragszweck nachträglich vereiteln oder gefährden darf. Hierbei geht es aber i.d.R. nur um Nebenpflichten, nicht um ein Fortdauern der – etwa auf Beratung gerichteten – vertraglichen Hauptpflicht selbst. Zu beachten ist, dass eine nachvertragliche Beratungspflicht des Rechtsanwalts regelmäßig ausscheidet, wenn der frühere Auftraggeber in derselben Sache einen anderen Rechtsanwalt eingeschaltet hat.
aa) Laufende prozessuale Fristen
Rz. 232
So muss der Rechtsanwalt seinen früheren Auftraggeber u.U. weiterhin über laufende prozessuale Fristen belehren, deren Versäumung für diesen nachteilige Folgen haben kann. Der Rechtsanwalt muss den früheren Auftraggeber dann aufklären, welche notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und welche Umstände zu beachten sind. Der Rechtsanwalt kann auch zu einer Belehrung verpflichtet sein, dass nur ein anderer Rechtsanwalt eine nötige Prozesshandlung rechtswirksam vornehmen kann. Der Rechtsanwalt, der beabsichtigt, das ihm erteilte Mandat nach Einlegung der Berufung niederzulegen, muss seinem Mandanten mitteilen...