Wolfgang Arens, Jürgen Brand
Rz. 215
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat nicht zugleich die Beendigung der bestehenden Arbeitsverhältnisse zur Folge. Das Arbeitsverhältnis besteht ohne Kündigung vielmehr über die Insolvenzeröffnung hinaus fort (vgl. § 113 InsO).
I. Wahlrecht des Insolvenzverwalters
1. Besonderheiten im Arbeitsrecht
Rz. 216
Wenn ein Arbeitnehmer, der vor Verfahrenseröffnung einen Arbeitsvertrag geschlossen hatte, die Tätigkeit noch nicht begonnen hat, soll – nach bestrittener Auffassung – der Insolvenzverwalter gem. § 103 InsO ein Erfüllungswahlrecht haben. Er könne die Erfüllung des Arbeitsvertrages wählen oder die Erfüllung ablehnen. Lehne er die Erfüllung ab, stehe dem Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu (§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO).
Rz. 217
Nach herrschender Meinung wird aber die Vorschrift des § 103 InsO von der Regelung des § 113 InsO als lex specialis auch für noch nicht angetretene Dienstverhältnisse verdrängt. Danach kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Arbeitsvertrages nicht ablehnen. Auch ein noch nicht angetretenes Arbeitsverhältnis muss der Insolvenzverwalter form- und fristgerecht kündigen.
Rz. 218
Hinweis
Ohnehin dürfte seit der Neufassung des § 623 BGB das Schriftformerfordernis für alle Beendigungstatbestände auch insoweit gelten. Eine etwaige Erfüllungsablehnung bedürfte also in jedem Fall der Schriftform und wäre insoweit auch nur ex nunc möglich.
Rz. 219
Diese Auffassung hat inzwischen auch das BAG bestätigt: Nach § 113 S. 1 InsO können Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Dies gilt nach § 279 S. 1 InsO auch bei Eigenverwaltung. Die Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO beginnt mit dem Zugang der Kündigungserklärung. Es kommt nicht darauf an, ob den vor Insolvenzeröffnung getroffenen Vereinbarungen zu entnehmen ist, dass bei einer Kündigung vor Dienstantritt die Kündigungsfrist erst ab dem vereinbarten Dienstantritt zu laufen beginnen soll. Im sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) getroffene Vereinbarungen, durch welche die Anwendung des § 113 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, sind nach § 119 InsO unwirksam. § 119 InsO bezieht sich auf alle Vereinbarungen, die "im voraus", d.h. vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, geschlossen wurden. Das Schutzschirmverfahren ist eine spezielle Variante des Eröffnungsverfahrens. Es ist auf den Zeitraum ab dem Eröffnungsantrag bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt. § 113 InsO findet auf Kündigungen vor Dienstantritt Anwendung.
2. Kein Rücktritt von einem vorinsolvenzlich vereinbarten Beendigungsvergleich
Rz. 220
Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem mit dem Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Aufhebungsvertrag zur Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, liegt regelmäßig ein gegenseitiger Vertrag vor. Die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht i.d.R. im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Abfindungszusage des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer kann deshalb nach § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich vom Aufhebungsvertrag zurücktreten, wenn der Arbeitgeber die Abfindung nicht zahlt, das Rücktrittsrecht nicht ausdrücklich oder konkludent abbedungen ist und dem Arbeitgeber ohne Erfolg eine angemessene Frist zur Zahlung der Abfindung gesetzt wurde. Das Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 1 BGB setzt allerdings die Durchsetzbarkeit der Forderung voraus. Daran fehlt es, wenn der Schuldner nicht leisten muss oder nicht leisten darf.
Rz. 221
Ähnlich hat dazu auch der 2. Senat des BAG entschieden: Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs, ist dieser Streit jedenfalls dann in demselben Verfahren auszutragen, in dem der Vergleich geschlossen wurde, wenn nicht ausschließlich Gründe geltend gemacht werden, die erst nach seinem Abschluss entstanden sind. Eine Täuschung i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war. Das subjektive Merkmal "Arglist" i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen. Es fehlt an einer unvorhergesehenen, schwerwiegenden nachträglichen Veränderung der Umstände i.S.v. § 313...