Rz. 335

Die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen betriebsbedingter Kündigungen im Vorfeld der Insolvenz und in der Insolvenz können hier nicht umfassend dargestellt werden. Es sollen deshalb nur die wesentlichen Prüfungsstufen unter Berücksichtigung der Neuregelungen zum 1.1.2004 durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003[355] dargestellt werden.[356] Die nachstehenden Darstellungen gelten weitestgehend sowohl innerhalb als auch außerhalb des Insolvenzverfahrens.

[355] BGBl I 2003, S. 3002 ff.
[356] Vgl. etwa Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1674; Kleinebrink, ArbRB 2003, 338, 339; zur Reform per 1.1.1999 siehe Schiefer/Worzalla/Will, S. 20 ff., 34 ff.; Fechner, S. 297 ff.; Lakies, Das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, 2010, S. 135 ff.

I. Abgrenzung zu personen- und verhaltensbedingten Kündigungen

 

Rz. 336

Zunächst ist die Abgrenzung der betriebsbedingten Kündigung von der personenbedingten oder der verhaltensbedingten Kündigung von wesentlicher Bedeutung. Diese Abgrenzung kann problematisch sein bei dem Wegfall eines leidensgerechten Arbeitsplatzes ­infolge von Organisationsänderungen, Zertifizierungen, öffentlich-rechtlichen Vorgaben oder bei Änderung der Anforderungen an die Qualifikation oder die Leistungsfähigkeit.[357]

 

Rz. 337

 

Beispiel

Zu nennen sind etwa neue Zusatzanforderungen an die Qualifikation in den Bereichen Sprachkenntnisse, Ausbildereignung, EDV- und CNC-Kenntnisse, Zollkenntnisse sowie Zertifizierungserfordernisse.

II. Außer- oder innerbetriebliche Ursachen

 

Rz. 338

Die dringenden betrieblichen Erfordernisse für eine betriebsbedingte Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen Umständen oder durch außerbetriebliche Gründe ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen "dringend" sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig machen.[358] Grundsätzlich ist das Beschäftigungsbedürfnis für einen Arbeitnehmer im Sinne eines die Kündigung rechtfertigenden dringenden betrieblichen Erfordernisses entfallen, wenn keine Möglichkeit der vertragsgemäßen Weiterbeschäftigung besteht.

 

Rz. 339

Außerbetriebliche Gründe können etwa sein:

Absatzschwierigkeiten
Auftragsmangel
Umsatzrückgang
oder Absatzrückgänge.
 

Rz. 340

Innerbetriebliche Gründe können etwa bestehen in:

Betriebseinschränkungen
Umstrukturierung aus Kostengründen
Rationalisierung
Umstellung oder Einschränkung der Produktion
Verlagerung der Produktion ins Ausland
(Beabsichtigte) Betriebsstilllegung.
 

Rz. 341

 

Beispiel

Entschließt sich der Arbeitgeber, künftig bestimmte Arbeiten nicht mehr von eigenen Arbeitnehmern ausführen zu lassen (Outsourcing), so kann darin ein die Kündigung sozial rechtfertigendes betriebliches Erfordernis auch dann liegen, wenn von der unternehmerischen Entscheidung nur ein einziger Arbeitnehmer betroffen ist.

 

Rz. 342

Das BAG hat zu den außerbetrieblichen Gründen für eine betriebsbedingte Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG und die damit verbundenen Prognoseunsicherheiten in mehreren Entscheidungen vom 12.4.2002 einige wichtige Klarstellungen getroffen:[359]

Eine betriebsbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn bei Ausspruch der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Prognose zu erwarten ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins werde mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein und keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehen. Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Kündigung auf außerbetriebliche Gründe gestützt wird.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn sich ein Dienstleistungsunternehmen, dessen noch laufender Auftrag nicht verlängert worden ist, an der Neuausschreibung beteiligt und bei Ausspruch der Kündigung die Neuvergabe noch offen ist. Der Zwang zur Einhaltung längerer Kündigungsfristen rechtfertige grundsätzlich keine andere Beurteilung.
Der Prognosemaßstab kann nicht mit Rücksicht darauf gemildert werden, dass dem gekündigten Arbeitnehmer ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen kann, wenn sich die Prognose als fehlerhaft erweist. Der Anspruch auf Wiedereinstellung verleiht einen wesentlich geringeren Schutz, als er im Kündigungsschutzgesetz vorgesehen ist.
 

Rz. 343

Diese Rechtsprechung hat das BAG bestätigt und zusätzlich ausgeführt, dass auch die Beschäftigung von zahlreichen Arbeitnehmern mit langen Kündigungsfristen keine "Kündigungen auf Vorrat" rechtfertige.[360]

 

Rz. 344

Diese Vorgaben können schon bei bislang wirtschaftlich gesunden Unternehmen außerhalb einer Insolvenz dazu führen, dass bei dem Ausbleiben erhoffter Anschlussaufträge das Unternehmen insolvent wird, wenn die dann zu beachtenden Kündigungsfristen länger sind, als es dem Wegfall der bisherigen Auftragsvolumina entspricht. Für ­einen Insolvenzverwalter, der regelmäßig branchenfremd ist und dessen Prognosefähigkeit hinsichtlich etwaiger Anschlussaufträge noch weiter eingeschränkt ist, bleibt dann ggf. nur der Weg über die Erklärung der Masseunzulänglichkeit mit Freistellungen und Kündigungen.

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