Dr. iur. Christian Deckenbrock, Dr. iur. Roman Jordans
Rz. 74
Nach § 204 Abs. 1 Nr. 4a BGB wird die Verjährung nicht erst mit der Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, sondern bereits durch die Veranlassung der Bekanntgabe eines Antrags, mit dem der Anspruch bei einer staatlichen oder staatlich anerkannten Streitbeilegungsstelle geltend gemacht wird, gehemmt (zur Wirkung der Hemmung vgl. § 209 BGB). Die Anknüpfung an die formlose Bekanntgabe des Güteantrags anstelle der förmlichen Zustellung beruht darauf, dass § 15a Abs. 5 EGZPO die nähere Ausgestaltung des Güteverfahrens dem Landesrecht überlässt und dieses nicht notwendigerweise die Zustellung des Güteantrags verlangen muss. Die Veranlassung der Bekanntgabe ist erfolgt, wenn die Streitbeilegungsstelle Maßnahmen unternommen hat, durch die das Streitbeilegungsverfahren dem Schuldner bekannt werden wird; dies ist in aller Regel die Aufgabe eines Briefes an den Schuldner zur Post. Es kommt also allein auf die aktenmäßig überprüfbare Veranlassung der Bekanntgabe, nicht dagegen auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe bzw. der Zustellung des entsprechenden Schreibens an. Soweit der Schuldner den Zugang eines Schreibens von der Gütestelle bestreitet, hilft ihm das nicht weiter.
Rz. 75
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bekanntgabe "demnächst" i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 4a BGB veranlasst worden ist, kann auf die zu § 167 ZPO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Verzögerungen bei der Bekanntgabe des Güteantrags, die auf einer Arbeitsüberlastung der Gütestelle beruhen, sind dem Antragsteller grundsätzlich nicht zuzurechnen.
Rz. 76
Damit die Hemmungswirkung eintreten kann, muss der Güteantrag zum einen die formalen Anforderungen erfüllen, die von den für die Tätigkeit der jeweiligen Gütestelle maßgeblichen Verfahrensvorschriften gefordert werden. Zum anderen muss der Güteantrag für den Schuldner erkennen lassen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht werden soll, damit er prüfen kann, ob eine Verteidigung Erfolg versprechend ist und ob er in das Güteverfahren eintreten möchte. Dementsprechend muss der Güteantrag einen bestimmten Rechtsdurchsetzungswillen des Gläubigers unmissverständlich kundgeben und hierzu die Streitsache darstellen sowie das konkrete Begehren erkennen lassen.
Rz. 77
Der verfolgte Anspruch ist hinreichend genau zu bezeichnen. Freilich sind insoweit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Denn das Güteverfahren zielt – anders als die Klageerhebung oder das Mahnverfahren – auf eine außergerichtliche gütliche Beilegung des Rechtsstreits ab und führt erst im Falle einer Einigung der Parteien zur Schaffung eines dieser Einigung entsprechenden vollstreckbaren Titels; auch besteht keine strikte Antragsbindung wie im Mahn- oder Klageverfahren. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Güteantrag an die Gütestelle als neutralen Schlichter und Vermittler gerichtet wird und diese zur Wahrnehmung ihrer Funktion ausreichend über den Gegenstand des Verfahrens informiert werden muss.
Rz. 78
Die Reichweite der Hemmungswirkung beurteilt sich nicht nach dem einzelnen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern nach dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch. Dieser erfasst alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen.
Rz. 79
Im Rahmen der obligatorischen Streitschlichtung tritt die Hemmungswirkung auch dann ein, wenn beim Einreichen des Güteantrags bereits feststeht, dass der Gegner nicht bereit ist, an dem Güteverfahren mitzuwirken. Soweit der BGH die Auffassung vertreten hat, dass der Gläubiger in einem solchen Fall i.S.d. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich handele, wenn er sich auf die Hemmung der Verjährung durch den Güteantrag berufe, gilt diese nur für Verfahren vor sonstigen Gütestellen i.S.d. § 15a Abs. 3 EGZPO (Rdn 88 ff.). Der Kläger hat in den Fällen obligatorischer Streitschlichtung kein Wahlrecht, ob er zunächst einen Antrag auf Durchführung eines Streitschlichtungsverfahrens stellt oder direkt Klage erhebt. Im Gegenteil wäre eine unmittelbar erhobene Klage als unzulässig abzuweisen (Rdn 53 ff.).
Rz. 80
Hinweis:
Die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens hemmt in entsprechender Anwendung von § 204 Abs. 1 Nr. 4a BGB den Lauf materiell-rechtlicher nachbarrechtlicher Ausschlussfristen. Sinn und Zweck solcher Ausschlussfristen (etwa für Ansprüche auf Zurückschneiden von Anpflanzungen, die über die nach dem Nachbarrechtsgesetz zulässige Höhe oder den zulässigen Abstand hinausgewachsen sind), ist es, innerhalb eines Zeitraums, der die Interessen des Nachbarn und des Eigentümers der Bäume gleichermaßen berücksichtigt, eine abschließende Klärung der nachbarlichen Verhältnisse in Bezug auf das Höhenwachstum herbeizuführen. Der Nachbar erhalte eine angemessene Bedenkzeit, ob er die langsam immer größer und dichter werdenden Anpflanzungen auf Dauer dulden will. Eine zeitliche ...